Juan Guaidó sucht nach neuem Schwung

Foto: epa/Olivier Hoslet
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CARACAS (dpa) - Seit einem Jahr nennt er sich Interimspräsident, doch in Venezuela hat Guaidó nichts zu sagen. Gestützt vom Militär sitzt Staatschef Maduro fest im Sattel. Jetzt will dessen Rivale einen neuen Anlauf wagen und mit der Hilfe des Auslands den Machtwechsel erzwingen.

Juan Guaidó zieht es in die Welt hinaus. Ein Jahr, nachdem er sich zum Interimspräsidenten Venezuelas ernannt und dem sozialistischen Staatschef Nicolás Maduro den Fehdehandschuh hingeworfen hat, lässt der junge Abgeordnete die tropische Tristesse von Caracas hinter sich und tourt durch Europa. London, Brüssel, Davos - nichts erinnert ihn hier daran, dass es ihm trotz Massenprotesten, Solidaritätskonzerten und internationaler Unterstützung noch immer nicht gelungen ist, Maduro aus dem Präsidentenpalast Miraflores zu vertreiben.

Jetzt will Guaidó weitere Allianzen schmieden und einen neuen Anlauf wagen. «2019 haben wir Fähigkeiten entwickelt und gelernt. Dieses Jahr muss ein Jahr der Aktionen werden», ließ er vor seiner Abreise wissen. «Wir sind entschlossen, Freiheit für unser Land zu erringen. Es wird nicht leicht. Es wird viele Mühen kosten, aber wir werden es schaffen, koste es, was es wolle.»

Unter dem tosenden Jubel Tausender Anhänger hatte sich Guaidó am 23. Januar 2019 zum Interimspräsidenten erklärt und Maduro nach dessen umstrittener Wiederwahl offen herausgefordert. Fast 60 Länder erkannten ihn als legitimen Übergangsstaatschef an, die USA und die EU verhängten Sanktionen gegen die sozialistische Regierung, mit der Hilfe übergelaufener Soldaten wurde der Oppositionsführer Leopoldo López aus dem Hausarrest befreit.

Doch der entscheidende Schlag gegen Maduro wollte Guaidó einfach nicht gelingen. Die mächtigen Militärs halten dem Präsidenten weiterhin die Treue, die Massenproteste ebben immer mehr ab, mit Ermittlungen, Anklagen und Festnahmen machen Polizei und Staatsanwaltschaft die Opposition mürbe. Wieder einmal sitzt Maduro den Machtkampf einfach aus - und Guaidó verliert sein Momentum.

«Das Ringen um Demokratie kennt kein Momentum. Wir suchen Wege, Alternativen, sammeln Kräfte», sagte Guaidó nach einem Treffen mit US-Außenminister Mike Pompeo. Nachdem es zuletzt so schien, als habe US-Präsident Donald Trump angesichts mangelnder Fortschritte das Interesse an Venezuela verloren, stärkte Pompeo dem selbst ernannten Interimspräsidenten Guaidó nun wieder den Rücken. «Die Welt muss das venezolanische Volk weiter in seinem Bemühen unterstützen, die Demokratie wieder herzustellen und Maduros Tyrannei zu beenden», sagte der US-Chefdiplomat.

Während Maduro und Guaidó um die Macht im Miraflores-Palast ringen, kämpfen viele Venezolaner jeden Tag ums Überleben. Das einst reiche Land mit den größten Erdölreserven der Welt steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Aus Mangel an Devisen können kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importiert werden. Immer wieder fällt der Strom aus. 4,5 Millionen der gut 30 Millionen Venezolaner haben das Land bereits verlassen.

«Die Lage ist sehr schwierig. Die Menschen sterben, weil es kein Essen und keine Medikamente gibt», sagt die Putzfrau Dilia Ortiz aus Caracas. Die 56-Jährige unterstützt Guaidó und wünscht sich einen Machtwechsel in Venezuela. «Wir müssen für unsere Freiheit kämpfen. Unser Land ist in den Händen von Kuba, China und Russland - das dürfen wir nicht zulassen.» Auch die Rentnerin Elizabeth Rodríguez hofft auf einen Ausweg aus der Krise. «Wir bräuchten demokratische Wahlen. Aber mit dieser Regierung wird das nicht funktionieren - sie muss rausgeworfen werden», sagt die 67-Jährige.

Die Regierungsanhängerin Miriam Bolívar sieht das ganz anders: «Wir sind im Krieg. Wir werden von dem Imperium und seinen faschistischen Lakaien angegriffen.» Auch Sergio Sosa unterstützt Präsident Maduro. Er macht die US-Sanktionen für die schlechte wirtschaftliche Lage Venezuelas verantwortlich. «Die Blockade muss aufhören, damit es hier wieder vorangeht. Guaidó tut nichts für uns.»

Die Lage ist festgefahren: Maduro ist weltweit weitgehend isoliert, sitzt durch die Unterstützung des mächtigen Militärs aber weiterhin fest im Sattel. Guaidó wiederum hat zwar Zugriff auf die Geschäftskonten der venezolanischen Regierung in den USA und entsendet fleißig Botschafter in alle Welt - nur daheim in Venezuela bekommt er keinen Fuß auf den Boden.

«Venezuela braucht dringend eine politische Einigung, um die Grundlage für eine wirtschaftliche Erholung und den Wiederaufbau der Institutionen zu legen», heißt es in einer Analyse des Forschungsinstituts International Crisis Group. Von der norwegischen Regierung vermittelte Gespräche zwischen der Regierung und der Opposition scheiterten im vergangenen Jahr allerdings. Guaidó will nicht mehr reden, er wirft Maduro vor, nur Zeit zu schinden.

Den ersten Jahrestag seiner Ausrufung als Interimspräsident will Guaidó nicht in Venezuela verbringen - zu augenfällig wäre, wie wenig er bislang erreicht hat. Stattdessen nimmt er das Heft des Handelns in die Hand, setzt sich über das Ausreiseverbot hinweg und besucht seine Verbündeten im fernen Europa. Doch der Machtkampf wird in Caracas auf der Straße entschieden - nicht in den Hinterzimmern von London, Brüssel und Davos.

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Thomas Sylten 24.01.20 15:44
Wahl zwischen Pest und Cholera
Guaidó vertritt vor allem die Interessen der (sehr) reichen Oberschicht, weshalb er viel zu wenig Unterstützung von der großen Masse der Bevölkerung bekommt um Maduro zu stürzen, dem eben diese Masse noch die gravierende Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse unter Chavez zugute hält. Maduro kann zu Recht darauf verweisen dass der Devisenmangel durch die von Guaidó stets geforderten Sanktionen verursacht ist - eine Rückkehr zu den Verhältnissen VOR Chavez, die Guaidó repräsentiert, will in Venezuela (außer den Reichen) kaum jemand. Solange die Bevölkerung erkennbar nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat, sollte man daher nicht allzuviel Umsturz-Engagement erwarten - das ist nur rational..
Ingo Kerp 24.01.20 14:42
Um Guaidó nicht zum Märtyrer werden zu lassen, werden ihn die Behoerden nicht bei der Rückreise nach Venezuela verhaft. Sie koennen seinen Paß für ungültig erklären und ihm die Einreise verweigern. Menschlich moegen seine Bemühungen verständlich sein, weiergegkommen ist er damit nicht. Außer Moralbekundungen anderer Staaten hat er nichts zu bieten.