PHNOM PENH: Pol Pot und sein Steinzeit-Kommunismus haben Kambodscha ins Grauen gestürzt. Sein Tod im Dschungel wirft bis heute Fragen auf. Sicher ist: Im Gegensatz zu anderen Schlächtern der Roten Khmer wurde ihm nie der Prozess gemacht. Aber sein Scheiterhaufen sprach Bände.
Die Kambodschaner haben einen «Tag der Wut». Seit den 1980er Jahren wird damit immer am 20. Mai an das Schreckensregime der Roten Khmer unter Diktator Pol Pot erinnert. Schwarz gekleidete Schauspieler stellen dann auf den berüchtigten Killing Fields vor den Toren von Phnom Penh Massenhinrichtungen der Roten Khmer nach. Manche Schlächter wurden zur Rechenschaft gezogen - nicht aber «Bruder Nr. 1»: Pol Pot starb vor 25 Jahren - am 15. April 1998 - an der Grenze zu Thailand. An Herzversagen, wie es offiziell hieß.
Wer in Kambodscha unterwegs ist, wird bis heute von dem Gefühl begleitet, dass die Wunden dieser grauenvollen Zeit nie verheilt sind. Was die Kambodschaner erlebt haben, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft.
Ein Rückblick: Der spätere Gewaltherrscher Pol Pot wird wahrscheinlich am 19. Mai 1925 in Zentral-Kambodscha als Sohn eines wohlhabenden Reisbauern geboren. Von 1949 bis 1953 studiert er dank eines Stipendiums Radioelektronik in Paris - erfolglos. Statt für Prüfungen zu büffeln, entwickelt er seine kommunistischen Ideen und interessiert sich zunehmend für Maos Idee von der Bauernrevolution.
In Frankreich begegnet er auch einigen seiner Mitstreiter wie Ieng Sary, dem späteren Außenminister der Roten Khmer, genannt «Bruder Nr. 3». Die Roten Khmer benutzten neben den offiziellen Titeln das Bruder-System zur Kennzeichnung der Rangfolge ihrer Führungsriege.
Nach Jahren des Guerillakampfes marschieren die Roten Khmer am 17. April 1975 mit ihren typischen schwarzen Pyjama-Uniformen in Phnom Penh ein. Es ist das «Jahr Null» einer neuen Zeitrechnung, in der Kambodscha in eine kommunistische Bauerngesellschaft verwandelt werden soll. Die Städte werden evakuiert, die Bevölkerung wird aufs Land getrieben. Intellektuelle, oder wer auch nur eine Brille trägt, wird ermordet oder zur Arbeit auf den Feldern gezwungen, ebenso wie alle «Parasiten», die der Utopie der Agrarnation im Weg stehen.
Aus Kambodscha, dem kulturell so reichen Land mit den berühmten Tempeln von Angkor, wird das «Demokratische Kampuchea». In Folterlagern werden Bürger so lange gequält, bis sie irgendein Geständnis ablegen. Symbol des unaussprechlichen Terrors sind die Killing Fields, auf denen die paranoiden und verblendeten Rebellen der Roten Khmer unzählige Menschen bestialisch massakrieren.
Am Ende sind nach Schätzungen zwischen 1,7 und 2,2 Millionen Menschen durch Erschießungen, Folter und Hungersnot tot. Ein Viertel der Bevölkerung. Ein Massenmord. Der frühere König Norodom Sihanouk bezeichnete Pol Pot einmal als «eines des mächtigsten Monster, die die Menschheit je hervorgebracht hat». Nach drei Jahren, acht Monaten und 20 Tagen marschieren schließlich vietnamesische Invasionstruppen ein und übernehmen die Macht.
Pol Pot und seine Schergen fliehen in den Dschungel. Von dort führen sie den Kampf weiter. Zuletzt aber haben sich auch die meisten Getreuen von ihrem Anführer abgewendet. In Anlong Veng an der kambodschanisch-thailändischen Grenze wird er unter Hausarrest gestellt und von einem Volkstribunal der Roten Khmer zu lebenslanger Haft verurteilt.
1997 gibt Pol Pot dem Journalisten Nate Thayer vom «Far Eastern Economic Review» ein letztes Interview. Von Reue keine Spur. «Alles, was ich getan habe, tat ich für mein Land. Mein Gewissen ist rein», sagt er. «Sehen Sie mich an, bin ich ein Wilder?»
Ein Jahr vor seinem Tod schrieb der «Spiegel»: «Würde er wegen seiner Verbrechen vor ein internationales Gericht gestellt, wäre das ungefähr so dramatisch, als hätte Hitler sich in Nürnberg verantworten müssen.» Ein öffentlicher Prozess gegen Pol Pot hätte enorm zum Heilungsprozess des gebeutelten Landes beigetragen, ist Youk Chhang überzeugt. Er ist selbst ein Überlebender der Roten Khmer und Leiter des Kambodschanischen Dokumentationszentrums, das den Genozid erforscht und Gerechtigkeit einfordert.
Aber dazu kam es nicht: Am 15. April 1998 soll Pol Pot informiert worden sein, dass er an die USA ausgeliefert werden sollte. Am gleichen Abend wurde er tot in seinem Bett gefunden. Bis heute sind die Umstände nicht geklärt. «Es bleibt ein Rätsel, aber heute, ein Vierteljahrhundert später, haben die Menschen das akzeptiert», sagte Chhang der Deutschen Presse-Agentur.
Auf einem Video ist zu sehen, was dann passiert. Drei Tage später liegt der Leichnam in einer Hütte, Eisblöcke sollen ihn konservieren, damit Journalisten bestätigen können, dass Pol Pot wirklich tot ist. Beige Hose und weißes Hemd, der Mund steht offen, so packen ein paar Helfer ihn ohne Umschweife in einen Leichensack und legen ihn in eine eilig zusammengezimmerte Holzkiste.
Draußen wird Zündmaterial aufgetürmt, acht Autoreifen, darauf Pol Pots Matratze und der Sarg. Sein Korbstuhl, sein Bettzeug und Äste runden den Scheiterhaufen ab. Ein einziger Mann legt einen weiß-rosa Blumenstrauß auf das surreale Ensemble. Dann brennt der skrupellose Diktator lichterloh.
Die Beschreibungen dieses Moments in kambodschanischen Medien zeigen die ganze Wut eines Volkes auf seine Unterdrücker. «Das war ein Müllfeuer, keine Einäscherung», schrieb die «Phnom Penh Post». Dann fügte der Reporter hinzu: «Sogar die Asche seines von Krankheiten zerfressenen Körpers, der in Formaldehyd getränkt war, wird dem Boden wahrscheinlich nicht viel Nahrung geben - jenem Boden, in dem er einst die Zukunft des kambodschanischen Proletariats sah.»