Das Dorf Nour im syrischen Kriegsgebiet

Zufluchtsort für Blinde

Blick auf das Lager von Al Kamouneh, in denen die Vertriebenen in der Gouvernement Idlib untergebracht sind. Foto: Anas Alkharboutli/dpa
Blick auf das Lager von Al Kamouneh, in denen die Vertriebenen in der Gouvernement Idlib untergebracht sind. Foto: Anas Alkharboutli/dpa

IDLIB: Nour ist der Name eines ganz besonderen Dorfes im Nordwesten Syriens. Denn «Nour» bedeutet Licht auf Arabisch. Nour ist «das Dorf der Blinden». Es wurde gebaut für diejenigen, die in dem seit Jahren andauernden Bürgerkrieg ganz oder teilweise ihr Augenlicht verloren haben. Schon für Menschen ohne Einschränkungen ist das Leben in Syrien eine Herausforderung: «Für uns Blinde ist die Situation im Land nur noch schlimmer», sagt Amer Jarad, der Vorsteher des Dorfes, der ebenfalls blind ist. «Blinde sind auf die Hilfe anderer angewiesen, insbesondere in einem Kriegsgebiet wie Syrien», sagt er.

Derzeit leben im Dorf Nour rund 100 Familien, aus denen jeweils mindestens eine Person sehbehindert oder blind ist. Platz gebe es für knapp 80 weitere Häuser, sagt Jarad. Die Idee für das Projekt kam von der kuwaitischen Hilfsorganisation Basaier. Diese war es auch, die das Blindendorf baute. Seit April 2020 ist Nour zum Zuhause für Menschen geworden, die entweder durch den Krieg ihr Augenlicht verloren haben oder bereits seit der Geburt blind oder seheingeschränkt sind. Dennoch lebt hier nur ein sehr geringer Teil der erblindeten Menschen aus Syrien. Nach Angaben der zuständigen Gesundheitsbehörde in Idlib im Nordwesten des Landes leben knapp 2000 Blinde und Sehbehinderte allein in der Provinz Ildib.

Das Leben in Nour soll den Alltag für seine Bewohner einfacher machen. «Wir haben hier verschiedene Bildungsinitiativen», sagt Jarad. Alle seien auf das Leben mit Sehbehinderungen ausgerichtet. «Wir bringen den Kindern bei, Brailleschrift zu lesen und im Alltag zu nutzen», sagt er. Derzeit würden rund 40 Kinder an dem Braille-Unterricht teilnehmen. Danach folge der Unterricht für die höhere Bildung. Ziel sei es, auch den Jüngsten die Möglichkeit zur Bildung zu geben - trotz ihres Lebens mit einer Sehbehinderung im Kriegsgebiet.

Die zehnjährige Roukia Ahmed Al-Mokhder und ihre Familie kommen aus der Region um Aleppo, etwa eine Stunde vom Dorf entfernt. «Mein Bruder, meine Schwester und ich sind blind», sagt sie. Zuvor hätten sie in Flüchtlingszelten leben müssen - ein beschwerliches Leben, besonders für Kinder mit eingeschränkter Sehkraft. «Seitdem wir hier sind, ist unser Leben viel besser. Mein Herz ist hier wieder zum Leben erwacht», sagt sie. «Wir gehören hier wieder zur Gesellschaft, wir haben Freunde, wir lernen und wir spielen.» Dank des Braille-Unterrichts wagt sie es wieder, von einer Zukunft zu träumen: Wenn sie erwachsen ist, möchte sie selbst Lehrerin werden, um anderen blinden Kindern zu helfen.

Das Dorf Nour gehört zu einer der letzten Hochburgen von Oppositionskräften in Syrien - der Provinz Idlib im dicht besiedelten Nordwesten des Landes. Der seit 2011 tobende Bürgerkrieg forderte bisher mehr als 350.000 Todesopfer, rund 13 Millionen Menschen wurden innerhalb Syriens vertrieben oder flüchteten in andere Länder. Syriens Machthaber Baschar Al-Assad kontrolliert mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes.

Auch Ahmed Al-Hamid musste aus seinem Heimatdorf Al Hawash im Westen des Landes fliehen. 2016 verlor er sein Augenlicht, nachdem Kampfflugzeuge sein Haus zerbombt hatten. Auch seine Frau wurde bei dem Angriff schwer verletzt. Das Bildungszentrum des Dorfes bietet Kurse für die Angehörigen der Blinden an, um diesen das Leben zu erleichtern. Für viele Blinde sei es schwierig, Arbeit zu finden und somit für ihre Familien zu sorgen, sagt der Dorfvorsteher Jarad. Daher würden die Kurse insbesondere den Ehefrauen helfen, eine Beschäftigung zu finden, um ihre Familien finanziell zu unterstützen.

Dank der Initiative der kuwaitischen Hilfsorganisation seien auch die Straßen in Nour leicht für Blinde begehbar. Es gebe besondere Fußwege und in den Häusern spezielle Fliesen, die den Blinden den Weg weisen. «Als Blinde wollen wir produktive Mitglieder der Gesellschaft sein, also werden wir es auch sein, wenn wir das Recht dazu haben», sagt Jarad.

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