BUENOS AIRES: Der Motorsägen schwingende Exzentriker hat sich nach seinem Wahlsieg vor drei Wochen erstaunlich schnell gemäßigt. Er holte erfahrene Politiker ins Kabinett und rückte von seinen radikalen Plänen ab. Wie viel bleibt von der versprochenen 180-Grad-Wende übrig?
Der Frust der Wähler über die seit Jahren anhaltende Wirtschaftskrise und die Wut auf das politische Establishment haben den ultraliberalen Ökonomen Javier Milei in das höchste Staatsamt Argentiniens gespült, jetzt muss der selbst ernannte «Anarchokapitalist» beweisen, dass er tatsächlich in der Lage ist, die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas in eine bessere Zukunft zu steuern. Am Sonntag (10. Dezember) tritt er seine vierjährige Amtszeit als Präsident an.
Im Wahlkampf begeisterte er seine Anhänger mit exzentrischen Auftritten und versprach einen radikalen Neuanfang: Er wollte den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank sowie viele Ministerien abschaffen und die Sozialausgaben drastisch kürzen. Doch bereits kurz nach seinem Sieg in der Stichwahl vor drei Wochen mäßigte sich Milei deutlich im Ton. «Viele der ursprünglichen Pläne wurden verschoben oder abgeschwächt», sagte der argentinische Wirtschaftswissenschaftler Eduardo Levy Yeyati von der Universität Torcuato Di Tella im Podcast der Fachzeitschrift «Americas Quarterly».
Allianz mit der politischen «Kaste»
Erstaunlich schnell ist Milei im politischen Establishment angekommen. Nachdem der künftige Präsident vor kurzem noch gegen die von ihm verhasste politische «Kaste» wetterte, zeigt er sich jetzt überraschend pragmatisch und holt erfahrene Politiker in sein Kabinett. So nominierte er den früheren Finanzminister und Notenbankchef Luis Caputo als Wirtschaftsminister - ein renommierter Finanzexperte, der im internationalen Bankenwesen und der argentinischen Politik bestens vernetzt ist. Die Konservative Patricia Bullrich, die Milei bei der Wahl als Kandidatin der Konservativen unterlegen war, soll erneut Sicherheitsministerin werden.
Größte Herausforderungen nach Amtsantritt
Milei übernimmt Argentinien in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate liegt bei über 140 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Als eine der wichtigsten Herausforderungen zählt der Kampf gegen die Inflation und das Haushaltsdefizit. Milei dämpfte bereits die Erwartungen auf schnelle wirtschaftliche Erholung. Der Ökonom prognostizierte sogar eine Phase der Stagflation zu Beginn seiner Amtszeit. Dabei stagniert oder sinkt die wirtschaftliche Aktivität, während die Preise weiter steigen. «Die Neuordnung des Haushalts wird sich zunächst negativ auf die Wirtschaft auswirken», warnte Milei. Auch die Inflation werde erst einmal hoch bleiben. Der künftige Präsident kündigte an, die Ausweitung der Geldmenge in den kommenden 18 bis 24 Monaten zu stoppen.
Erste Schritte des neuen Präsidenten
Gleich nach Amtsantritt will Milei Medienberichten zufolge ein umfangreiches Gesetzespaket ins Parlament einbringen, das den argentinischen Staat grundlegend umbauen soll. Dazu gehören demnach eine deutliche Reduzierung von Ministerien und Behörden, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und ein starker Bürokratieabbau zu Erleichterung von Investitionen. «Ich weiß nicht, wie viele Gesetze wir aufheben werden, aber es werden sehr viele sein», sagte die künftige Außenministerin Diana Mondino kürzlich im Radio. Da Milei nicht über eine eigene Mehrheit verfügt, sucht er bereits nach Verbündeten in allen politischen Lagern, um sein ambitioniertes Gesetzespaket durch das Parlament zu bekommen.
Dollarisierung in der Warteschleife
Eines seiner wichtigsten Versprechen im Wahlkampf, die Einführung des US-Dollars als gesetzliches Zahlungsmittel, hat Milei offenbar erst einmal zurückgestellt. In den vergangenen Wochen erwähnte er sein früheres Herzensprojekt kaum noch. «Das ist nur realistisch, denn das Land verfügt einfach nicht über genügend Devisen, um eine Dollarisierung vernünftig umzusetzen», sagte Ökonom Levy Yeyati.
Erwartete internationale Kehrtwenden
Im Gegensatz zu der scheidenden Regierung befürwortet der ultraliberale Ökonom das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur und der Europäischen Union. Dem Staatenbund Brics will er im Gegensatz zu seinem Vorgänger allerdings nicht beitreten. Ob er wirklich wie im Wahlkampf angekündigt mit China und Brasilien - den wichtigsten Handelspartner Argentiniens - bricht, ist angesichts seines neuen Pragmatismus eher fraglich. Deutlich ändern dürfte sich aber die Position der argentinischen Regierung in Bezug auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten: Im Gegensatz zur linken Vorgängerregierung gilt Milei als entschlossener Unterstützer der Ukraine und Israels.