Geduld ist eine wichtige Tugend

Über den Zeitbegriff der Thais und die Musterung junger Männer

Von Günther Ruffert

Die Menschen im Isaan haben einen wesentlich anderen Zeitbegriff als wir Ausländer. Mit unserer Auffassung „Zeit ist Geld“ können sie wenig anfangen. Vor allem auf dem Land - woher ja fast alle Thais stammen, mit denen man als Tourist zu tun hat - ist Zeit im Überfluss vorhanden, wogegen Geld mehr als knapp ist.

Man darf sich also nicht wundern, wenn Zeitangaben, die Thais machen, nicht unbedingt wörtlich zu verstehen sind. Die Zusicherung „in ein bis zwei Stunden“ bedeutet oft „irgendwann im Laufe des Tages“, und „morgen“ heisst nicht etwa am nächsten Tag, sondern an irgend einem der nächsten Tage.

Planung und Vorausdenken sind nicht so wichtig wie in der Gegenwart zu leben. Es spielt keine Rolle, ob ein Bus in fünf Minuten oder später abfährt. Geduld ist eine der wichtigsten Tugenden. Was sich hier und jetzt abspielt, ist von grösserer Bedeutung als ein imaginäres Ziel in der Zukunft. Unsere Ungeduld, wenn wir über die angegebene Zeit hinaus auf etwas warten müssen, können Thais deshalb nicht verstehen.

Erst recht können sie nicht verstehen - und sind vielleicht sogar beleidigt -, wenn ein ungeduldiger Farang etwa anfängt zu schimpfen oder sich zu beschweren. Über wartende Farangs, die auf Biegen und Brechen auf die Einhaltung eines angegebenen Termins beharren, kann man sich bestenfalls nur amüsieren. Sie verlieren nicht nur die Fassung, sondern auch ihr Gesicht. Wenn man etwas erreichen will, verhandelt man besser geduldig mit einem Lächeln im Gesicht und ohne Rücksicht auf die Zeit.

Eine rühmliche Ausnahme vom weitherzigen Umgang mit der Zeit sind allerdings die meisten öffentlichen Verkehrsmittel im Land. Die Überlandbusse von den verschiedenen zentralen Busbahnhöfen in Bangkok und in den grossen Städten fahren in der Regel pünktlich zur fahrplanmässigen Zeit ab, und sowohl Züge als auch Flüge haben in der Regel nicht mehr Verspätung als bei uns auch.


Für die jungen Männer im Isaan gilt die allgemeine Wehrpflicht, das heisst, mit 20 müssen sie alle zur Musterung antreten. Da aber nur ein Teil der Wehrpflichtigen gebraucht wird, werden diejenigen, die tatsächlich ihre zwei Jahre abzudienen haben, im Losverfahren ermittelt. Das geht dann so vor sich:

Eines Tages erfahre ich, dass am nächsten Tag allgemein nicht gearbeitet wird, weil die Musterung der jungen Männer ansteht. Am nächsten Morgen fahren wir also mit vollbesetztem Pick-up ins Nachbardorf, wo in der offenen Versammlungshalle der Schule die Musterung und Auslosung für unseren Tambon stattfindet. In der Halle sitzt an einer Reihe von Tischen die Musterungskommission. Vor der Halle stehen in mehreren Reihen, nach Dörfern getrennt, die jungen Männer, barfuss, ohne Hemd und nur mit einer Hose bekleidet. Um die offene Halle herum steht in mehreren Reihen die halbe Bevölkerung des Bezirks, vor allem Frauen und Mädchen, und schaut der ganzen Prozedur nicht nur interessiert zu, sondern beteiligt sich auch mit lauten Zurufen und begeistertem Geklatsche, wenn wieder einmal jemand beim Auslosen Glück gehabt hat.

Einer nach dem anderen treten nun die jungen Männer vor die Musterungskommission, werden zunächst registriert und bekommen eine Nummer. Dann geht es weiter zur ärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung. Der Musterungskandidat wird gemessen, gewogen und gefragt, ob er irgendwelche Krankheiten hat. Hat er hier bestanden, setzt er sich zu den schon in langer Reihe auf dem Boden der Halle hockenden Kollegen und wartet auf die Auslosung.

Alle Nummern werden in eine Trommel geworfen, dann wird jeweils eine Nummer gezogen und vorgelesen, deren Inhaber von der Wehrpflicht befreit ist. Das ganze um die Halle stehende Volk verfolgt die Auslosung und jedesmal, wenn ein Familienmitglied oder Bekannter ein Freilos gezogen hat, erhebt sich lautes Jubelgeschrei.

Vor der Halle und auf dem Schulhof ist ein richtiger Markt mit Verkaufsbuden und offenen Garküchen aufgestellt. Hier herrscht den ganzen Tag über, denn so lange dauert die Angelegenheit, reger Betrieb. Es kommt ein Dorf nach dem anderen an die Reihe und jedesmal, wenn ein Dorf fertig ist, hocken sich die glücklichen Gewinner mit ihren Freunden vor die Theken und müssen dann auf die Gunst des Schicksals einen ausgeben.

Am Nachmittag hat die Stimmung einen solchen Höhepunkt erreicht und die Freilosgewinner ihr Glück sowie die Pechvögel ihren Kummer soweit begossen, dass die in erheblicher Stärke anwesende Polizei alle Hände voll zu tun hat, um Streitigkeiten zu schlichten.

Noch ein interessanter Aspekt ist zu erwähnen. Wer ein Freilos gezogen hat, kann dies an einen der nicht so glücklichen Kollegen verkaufen und an dessen Stelle die zwei Jahre abdienen. Wer sich so seine Freiheit erkaufen will, muss dafür natürlich eine schöne Summe blechen, und es gibt eine regelrechte Börse, wo Freiplätze angeboten und verkauft werden.

Spannendes Buch über den Isaan

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau und Tochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau und Ernte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf in seinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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