Feldratten sind ein Leckerbissen

Insekten schmecken am besten frisch gefangen und geröstet

Vielen Thais schmecken proteinreiche Insekten
Vielen Thais schmecken proteinreiche Insekten

Von Günther Ruffert

Im Isaan wird alles gegessen, was nicht schnell genug weg laufen oder wegfliegen kann. Geröstete Heuschrecken, Grillen, Wasserkäfer, Seidenwürmer und Ameiseneier sind seit jeher ein Leckerbissen im Isaan. Tiere und Insekten, vor denen wir Farang normalerweise Abscheu haben und sie nicht anfassen, geschweige denn in den Mund nehmen würden, gelten hier als Leckerbissen.

Das gilt nicht nur für die Feldratten, sondern auf den Märkten und am Strassenrand bieten fliegende Händler all das als Delikatesse an, was wir normalerweise mit der Fliegenklatsche erschlagenoder mit der Spraydose erledigen. In Öl frittierte Käfer, Heuschrecken und Larven werden hier genau so geknabbert wie bei uns Popkorn, Chips oder Erdnüsse.

Besonders beliebt sind auch gekochte oder gebratene Seidenraupen. Wenn bei uns die Oma von den gekochten Seidenraupen die feinen Seidenfäden abspult, dann sitzen die Kinder daneben und streitensich um die abgespulten Tierchen, die dann so vernascht werden.

In manchen Gegenden, wo es ein reiches Angebot von fliegendem Käfergetier gibt, ist das Fangen und der Verkauf der Insekten für die hier wohnenden Leute ein regelrechter Broterwerb geworden. Heuschrecken und Käfer werden hier bei Nacht mit blauvioletten, fluoreszierenden Lampen angelockt, in Netzen gefangen, unter Zugabe von Salz und verschiedenen Kräutern geröstet und dann an Aufkäufer verkauft. Sie schmecken natürlich am besten täglich frisch gefangen und geröstet. Man kann sie neuerdings aber sogar als Konserven im Supermarkt kaufen.

Wenn auch die an der Strasse angebotenen frittierten Käfer für uns wie plattgetretene Kakerlaken aussehen, so sind sie doch für die Leute aus dem Isaan ein nahrhafter Leckerbissen. Tatsächlichenthalten die angebotenen Insekten zwei bis dreimal soviel Protein, bezogen aufs Körpergewicht, als Fleisch oder Fisch, haben aber weniger als den halben Fettgehalt der gebräuchlichen tierischen Produkte und sind ausserdem reich an für das Wohlbefinden wichtigen Spurenelementen wie z.B., Eisen und Phosphor.

Wenn man es über sich brächte, das Krabbelzeug runterzuschlucken, wäre es also die geeignete Diät für den mit Übergewicht belasteten Farang. Mit dem Zufluss von Leuten aus dem Isaan, die in Bangkok und in den Touristenzentren Arbeit suchen, begannen auch hier die Strassenhändler geröstete Insekten zu verkaufen.

Mit der zunehmenden Anwendung von Insektiziden treten aber Probleme und Gesundheitsgefahren auf. Die Regierung hat sogar vor dem Verzehr von Heuschrecken gewarnt. Bei dem starken Verbrauch vontoxischen Insektenvertilgungsmitteln ist allerdings die Ausbeute in Thailand immer geringer geworden, so dass heute die meisten Tiere aus Kambodscha importiert und dann oft mit der Zusicherung „garantiert frei von Insektiziden“ angeboten werden.

Eines abends sassen wir mit ein paar Nachbarn gemütlich bei einer Flasche Bier, als plötzlich der Strom ausfiel und das Licht ausging. Da so etwas öfter passiert, waren aber gleich ein paar Kerzen zur Hand und wurden angezündet. Am Tage hatte es etwas geregnet, so dass jetzt eine Menge Viehzeug in der Luft herumschwirrte. Es waren besonders mottenähnliche Insekten mit grossen Flügeln, die um die Kerzen herum tanzten und immer dann, wenn sie der Flamme zu nahe kamen, sich die Flügel ansengten und auf die Tischplatte fielen. Dort blieben sie aber nicht lange liegen, denn die um den Tisch herumsitzenden Kinder nahmen sie bei den Flügeln, hielten den Körper der Tiere einen Augenblick in die Kerzenflamme und verspeisten sie dann als Leckerbissen.

In der kalten Jahreszeit, also im Dezember und Januar, kann es im Isaan morgens sehr frisch sein. Man sieht dann überall hinter den Häusern kleine Feuer brennen, und die ganze Familie hockt im Kreis darum herum, um sich zu wärmen. Es ist ein malerischer Anblick, wenn man morgens um 6 Uhr – es ist um diese Jahreszeit noch dunkel - aus dem Haus tritt und die um das Feuer hockenden Gruppen sieht, alle mit Sarong und einer um den Oberkörper geschwungenen Decke oder einem grossen Handtuch bekleidet.

Eines morgens, als ich mir gerade eine Tasse Kaffee aufgebrüht habe und vor die Tür trete, um sie in der langsam herauskommenden und wärmenden Morgensonne zu geniessen, sitzen im Hof ein paar Jungen um solch ein Feuer und sind damit beschäftigt, etwas über dem Feuer zu rösten. Als ich neugierig dazu trete, um zu sehen was sie da treiben, sehe ich, dass sie dabei sind, ein paar fetten Ratten das Fell abzusengen. Als mir bei diesem Anblick fast der Morgenkaffe wieder hochkommt, bekomme ich erklärt, dass man nachts in den Feldern auf Rattenjagd war und jetzt dabei sei, die Beute zum Braten vorzubereiten.

Dem Farang, dem sich ob dieses Leckerbissens der Magen umdreht, muss man aber sagen, dass es sich hier nicht um unsere Unrat fressenden Kanalratten handelt, sondern um Feldratten, die sich ausschliesslich von Reis und anderen Feldfrüchten ernähren. Sie werden hier so gejagt wie bei uns die Kaninchen.

Tatsächlich sind Ratten im Isaan ein Leckerbissen und stellen eine willkommene Ergänzung der sonst sehr kargen Kost dar, die oft nur aus Reis, ein paar gerösteten Fischen und kleingestampften Curryschoten besteht. Wer selbst nachts keine Ratten jagen kann, der kann sie auch kaufen. Für 20 Baht bekommt man schon eine schöne fette Ratte; ein Spottpreis wenn man bedenkt, was bei uns ein Kaninchen kostet, das auch nicht viel grösser ist.

Ich lebe nun schon einige Jahre im Isaan und habe mir angewöhnt, alles so zu nehmen, wie es kommt und alles zu essen und zu trinken, was die anderen Leute auch zu sich nehmen, denn offensichtlich ist noch niemand daran gestorben. Wenn ich aber morgens den grossen Familienkühlschrank aufmache und eine direkt neben meiner Butter liegende fette, tote Ratte starrt mich mit ihren gebrochenen Augen an, dann vergeht mir der Appetit. Ich habe mir also einen Extra-Kühlschrank nur für meine Vorräte gekauft, der nicht nur für tote Ratten gesperrt ist, sondern auch für den Zugriff der ganzen Familie.

Wenn in der Regenzeit manchmal gewaltige Gewittergüsse herunterströmen und die Felder überfluten, stehen am Morgen nach der Sintflut Frauen und Kinder bis zur Brust im Wasser vor Bach- undStrassen-durchlässen, durch die das in den Feldern aufgestaute Wasser abströmt. In vorgespannten Netzen fangen sich dann eimerweise kleine Fische von Fingergrösse. Die Fische werden zu Hause ingrosse Steinguttöpfe gepackt, dann abgedeckt und weggestellt.

Nach einem Monat ist der gesamte Inhalt verfault und bildet eine, gelinde ausgedrückt, streng riechende Masse, die als Pla Lah unentbehrlicher Bestandteil des Isaan-Nationalgerichts Som Tam ist. Wenn man im Isaan über einen Markt geht, merkt man schon am Gestank, dass man sich einem Stand nähert, wo Pla Lah verkauft wird.

Nun ist die Auffassung, was wir noch als genussfähig halten, sehr relativ. Als ich mir einmal im Supermarkt einen schon etwas reifen Camembert gekauft hatte und ihn abends aus dem Kühlschrank holen wollte, um mir ein leckeres Käsebrot zu machen, war der Camembert verschwunden. Auf meine Frage, wo das kostbare Stück geblieben sei, sagte meine Frau, dass sie morgens den Kühlschrank saubergemacht und dabei das stinkende Etwas weggeworfen habe, da man so etwas Verfaultes doch nicht mehr essen könne.

Spannendes Buch über den Isaan

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau und Tochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau und Ernte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf in seinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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