Die Menschen im Isaan

Spannendes Buch über den Isaan

Die Menschen im Isaan

Die 1997eingetretene Wirtschaftskrise hat allerdings die Situation der Menschen, die aus dem Isaan in die grosse Stadt strömen, erheblich verschlechtert. Einige Schätzungen geben die Zahl der Arbeitslosen in Thailand mit drei bis vierMillionen an, davon dürfte der grösste Teil auf ungelernte Arbeitskräfte aus dem Isaan entfallen. Da es aber keine Arbeitslosenstatistik, und Sozialleistungen nur für einen kleinen Teil der Arbeiter gibt, sind solche Arbeitslosenzahlen nichtssagend. Weil es keine Arbeitslosenunterstützung gibt, müssen die Leute jeden schlecht bezahlten Gelegenheitsjob annehmen, den sie finden können. Der Rückgang der Verdienstmöglichkeiten, sowohl in ländlichen Gegenden als auch in den Städten, hat unter anderem dazu geführt, dass viele Kinder weiterführende Schulen verlassen müssen, weil die Eltern das Schulgeld nicht mehr bezahlen können. Die sogenannte Asienkrise hat die Kluft zwischen Arm und Reich im Lande noch grösser gemacht, als sie schon vorher war. Die Regierung versucht mit Geldern des IWF die thailändische Wirtschaft zu restrukturieren. „Restrukturierung“ bedeutet hier aber die Verstaatlichung der Schulden reicher Privatleute und Banken, die durch Aktien- und Immobilienspekulationen entstanden sind. Faule Kredite, die sich im Bankenwesen aufgehäuft hatten, wurden mit öffentlichen Geldern übernommen. Da die Reichen aber kaum Steuern bezahlen, fällt die Last auf die arbeitende Bevölkerung. Tatsächlich haben also die Reichen ihre Schulden auf die Armen übertragen.

Ein wichtiger Aspekt des Lebens im Isaan ist der Familienzusammenhalt. Kinder werden allgemein milder und duldsamer erzogen und mehr verwöhnt als bei uns. Ich habe manchmal verwundert geschaut, wenn eine Mutter, die den ganzen Tag auf unserem Zuckerrohrfeld hart gearbeitet hat und abends ihre 100Baht Tageslohn in Empfang nahm, ihrer bettelnden Göre 10Baht von dem mühsam verdienten Geld in die Hand drückte, damit die sich im nächsten Kramladen Bonbons kaufen konnte. Andererseits wird schon in der Schule der Respekt vor den Älteren gelehrt. Ebenso wie die Eltern geniessen auch Lehrer, religiöse und politische Oberhäupter, oft auch Vorgesetzte in Betrieben, hohe Autorität.

Die Pflicht der Kinder, später für ihre Eltern zu sorgen, ist in einem Land, wo es keine Sozialversicherung und keine Rente gibt (zumindest nicht für die Leute auf dem Land), selbstverständlich, auch wenn die Kinder weit weggezogen sind. Sie sind bei unzureichender Renten- und Krankenversorgung die einzige Absicherung und Stütze im Alter. Der Farang, der eine Thai-Frau geheiratet hat, wird das oft nicht verstehen. Für seine Frau ist das aber eine Selbstverständlichkeit, und sie würde sich ihren Eltern gegenüber, die sie gross gezogen haben, undankbar erweisen und ihr Gesicht verlieren, wenn sie ihnen nicht regelmässig aus dem fernen Deutschland Geld schickte. " float: right;">

Auch die dem Buddhismus eigene Vorstellung vom Kharma, dass nämlich alle verschiedenen Leben eine einzige Folge sind, und dass all unser Tun und Lassen in diesem Leben zwangsläufig Auswirkungen auf das nächste Leben haben muss, bestimmt stark das Wesen der Menschen im Isaan. Daher ihr Bemühen, jede Gelegenheit zum „tam buun“ zu nutzen, das heisst, Gutes zu tun, egal, ob man den Mönchen morgens etwas in den Napf legt, beim Tempelbesuch einen Vogel oder Fisch in Freiheit setzt oder für den immer prächtigeren Ausbau eines Tempels spendet. Indem man „tam buun” tut, zahlt man sozusagen auf ein Bankkonto ein, von dem man im nächsten Leben abheben kann.

Die Überzeugung, dass letztlich alles, was einem im Leben widerfährt, nur eine Folge dessen ist, was man in seinen vorhergegangenen Existenzen an Gutem oder Schlechtem getan hat, ist sicher auch der Grund dafür, dass die Menschen hier sich ohne gross zu klagen in dieses ärmliche Leben fügen. Schliesslich hat man für alles, was einem widerfährt, ja selbst im früheren Leben die Ursachen gesetzt. Das ist aber auch der Hintergrund für das thailändische Wertsystem, nachdem jeder Mensch einen Wert zugemessen bekommt, der durch sein Kharma grundsätzlich gerechtfertigt ist.

Der Glaube an das Kharma und daran, dass die Verhältnisse in diesem Leben von den guten oder schlechten Taten im letzten Leben bestimmt werden, hat aber auch seine Kehrseite. Reiche Leute sind weniger geneigt, ihren ärmeren Zeitgenossen zu helfen, da diese ja ihr miserables Los durch schlechte Taten im letzten Leben selbst verschuldet haben. Das gleiche gilt auch für Körperbehinderte. Auch hier wird das natürliche Mitleid dadurch eingeschränkt, dass man der Meinung ist, dass auch sie ihr miserables Los durch schlechte Taten im letzten Leben selbst verschuldet haben. Man tut also besser „tam buun“ und gewinnt damit Verdienste, wenn man seine Almosen dem Kloster gibt. Das Kloster kann dann damit die „Krüppel“ unterstützen.

Wenn aber in den vergangenen Jahrhunderten die Masse der Landbevölkerung ihre Machtlosigkeit und Armut weitgehend klaglos hingenommen hat, so hat sich hier in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Vor allem durch das Fernsehen bekommen die Leute auf dem flachen Land heute alle Tage vorgeführt, dass die Macht und der zu ihrer Armut in krassem Gegensatz stehende Reichtum der oberen Zehntausend im Lande weniger durch gute Taten im vergangenen Leben, sondern eher durch Korruption und Betrug erworben wurde. Eine Studie der Fakultät für politische Wissenschaften der Chulalongkorn-Universität ermittelte, dass die Hälfte der Posten im Öffentlichen Dienst von Generaldirektoren und Generalsekretären verkauft werden. Die Bereitschaft, gegen diese Situation aufzubegehren, ist daher gewachsen, und man erfährt heute fast alle Tage aus den Zeitungen oder dem Fernsehen von Protestaktionen armer Farmer aus dem Isaan gegen Massnahmen oder auch gegen die Untätigkeit der Regierung in Bangkok.

Der Farang mag nun meinen, dass das Leben im Isaan hart und primitiv ist. Das ist es aber nur, wenn wir dabei unsere eigenen Wertmassstäbe anlegen. Die Leute sind zwar arm, aber keineswegs unglücklich, noch hadern sie gar mit ihrem Schicksal. Im Gegenteil, sie versuchen aus ihren für unsere Begriffe mühseligen Lebensumständen soviel Sanuk wie möglich herauszuholen. Die Ruhe und der Frieden, die sich aus diesem gemächlichen Leben und der Notwendigkeit, in ärmlichen Verhältnissen dicht zusammenzuleben ergeben, sind den in der Hetze unserer Welt lebenden Menschen leider meist abhanden gekommen.

Die Leute im Isaan sind mit ihrem Los allgemein wohl sicher nicht unzufriedener als wir Europäer mit unserem höheren Lebensstandard. Gewiss hätte man gerne mehr Geld, aber wenn nicht, dann ist das eben Schicksal, Kharma, und es hat überhaupt keinen Sinn, sich darüber zu grämen. Eine der dümmsten Bemerkungen, die ich in einer Fernsehreportage über die armen Leute im Isaan gehört habe, war der Ausspruch „Es ist unglaublich, wie fröhlich die Kinder trotz ihrer Armut sind”. Aus dieser Ansicht, andere Völker, die einen ganz anderen Entwicklungsweg genommen und eine völlig andere Mentalität haben als wir, könnten nur dann glücklich und zufrieden sein, wenn sie den gleichen Lebensstandard geniessen wie wir, spricht ein satter Hochmut. Menschen, die so etwas sagen, sollten sich doch zuerst mal in ihrer eigenen Familie und unter Nachbarn und Bekannten zu Hause umsehen, um festzustellen, wie wenig glücklich und zufrieden das macht, was wir als unverzichtbaren Lebensstandard ansehen.

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau und Tochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau und Ernte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf in seinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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