Die Menschen

Spannendes Buch über den Isaan

Die Menschen

Vor allem wird jede Gelegenheit zum Feiern - was auch immer der Anlass ist - voll genutzt. Sobald bei solchen Feiern Musik vorhanden ist, egal, ob aus demKofferradio oder mit irgend welchenInstrumenten selbst fabriziert, wird getanzt, und zwar der typische thailändische Ram-Wong. Das ist ein Tanz, bei dem sich die Paare nicht berühren, sondern unter graziöser Verdrehung der Händeund Finger einander umtanzen. Den Ram-Wong tanzen nicht nur Paare miteinander, sondern auch Männer mit Männern und Frauen mit Frauen. Die unglaubliche Leichtigkeit der Bewegungen verleitet dannoft den bei einem solchen Fest anwesenden Farang dazu, es auch einmal zu versuchen, vor allem, wenn er von netten Mädchen dazu aufgefordert wird. Dabei macht er sich dann unweigerlich zumAffen, wenn er mit der Grazie eines liebeskranken Elefanten ein zierliches Isaan-Girl umtanzt. Dagegen ist man erstaunt, mit welcher Grazie sich selbst dicke Marktfrauen beim Ram-Wong bewegen.

Und es gibt über das ganze Jahr eine Vielzahl von Gelegenheiten für ein Fest. Da sind zum einen die hohen buddhistischen Feiertage, bei denen das ganze Dorf im feierlichen Umzug zum Klosterzieht, um dort zu opfern. Dabei wird aber nicht wie bei uns in einer Kirchenprozession still oder Gebete murmelnd dahingeschlichen, sondern mit einer Kapelle vornweg legt die ganze Gesellschaftden Weg tanzend zurück. Aber auch andere Gelegenheiten zum Feiern gibt es. Hochzeiten, Kindtaufen, Mönchsweihe, Geburtstage, ja sogar eine Beerdigung, oder besser Einäscherung ist ein Fest, beidem die jeweilige Familie keine Kosten scheut, auch wenn sie sich das Geld leihen muss, um alle Gäste mit Speise und Trank zu bewirten. Meist beginnen die Frauen schon einen Tag vorher mit denVorbereitungen, und auch am Festtag sind die Frauen der Familie und einige Nachbarsfrauen pausenlos damit beschäftigt, zu kochen und zu braten, während die Männer derweil auf den auf den Bodengelegten Matten herumsitzen und sich an den immer neu herangeschleppten Köstlichkeiten sowie dem ebenfalls immer reichlich angebotenen Reisschnaps und Bier gütlich tun. Unter Sanuk verstehendie Menschen im Isaan vor allem, zusammen mit Freunden und Bekannten gut essen und trinken. Jeder Fremde, der vorbeikommt, wird freundlich eingeladen, sich hinzuhocken und mitzumachen. Wenn ichdurchs Dorf gehe, sagt kaum jemand, den ich treffe, „sawadee“ (guten Tag), sondern meist wird gefragt „gin khao laeo“ (hast du schon gegessen).

Auf den Dörfern gibt es ausser den Festen, die man selber feiert, wenig Gelegenheit zur Zerstreuung. Es gibt keine Disco, kein Kino und nicht mal eine Bar. Alle paar Wochen kommt mal einewandernde Schauspieltruppe in die Gegend, um eine Likay-Schau aufzuführen. Das ist ein populäres Volkstheater, im wesentlichen eine burleske Abwandlung des klassischen Tanztheaters und vorallem auf dem Lande sehr beliebt. Eine andere Wanderschau bietet Mor-Lam-Aufführungen, bei denen Sängerinnen und Sänger, umrahmt von kurzberockten und sexy gekleideten Tänzerinnen, Lieder ausdem Isaan darbieten. Aus den Dörfern der Umgebung kommen dann die Leute meist mit Kind und Kegel angefahren, um sich bei dem meist über drei bis vierStunden bis nach Mitternacht dauerndenSpektakel zu amüsieren. Aber auch bei festlichen Anlässen im Dorf, wie etwa beim Klostereintritt eines jungen Mannes, bei Neujahrs- oder Tempelfesten, ja sogar bei der Kremationsfeier für einenVerstorbenen, wird von etwas begüterten Familien solch eine Truppe verpflichtet.

Das Leben besteht aber nicht nur aus Feiern, sondern für den Lebensunterhalt muss auch gearbeitet werden. Die einzige Arbeit, die es auf dem Dorf gibt, ist die Landwirtschaft, überwiegend derReisanbau. 85% der Bevölkerung des Isaan sind mit Reisanbau beschäftigt, der Rest sind Händler, Lehrer usw.

Reis und Reisanbau sind in der thailändischen Tradition so fest verwurzelt, dass bis in die 30er Jahre des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts der Rang eines Regierungsbeamten bestimmte,wieviel Reisfelder er mit der Erlaubnis des Königs besitzen durfte. Reisanbau gilt in Thailand als ein sehr achtbarer Beruf, wenn auch heute kaum noch Reichtümer damit erworben werden können.Man sagt sogar manchmal, dass jemand, der nicht auf seinen eigenen Feldern Reis anbaut, gar kein richtiger Thai ist. Das stimmt heute zwar nur noch mit Einschränkungen, denn die Bauern im Isaanhaben ihre Felder oft arg mit Schulden belastet, um dringend benötigtes Werkzeug, Saatgut oder Kunstdünger kaufen zu können. Ja, sie müssen sogar nicht selten ihre eigenen Äcker von den Bankenpachten, denen sie die Felder als Sicherheit für in schlechten Jahren aufgenommene Darlehen verpfändet haben. Es klingt für unsere Begriffe wie Wucher, aber Jahreszinsen von 50% sind im Isaanfür aufgenommenes Geld oft die Regel.

Der ganze Lebensrhythmus der Reisbauern wird durch die Jahreszeiten und das Wetter bestimmt. Wenn zu Beginn der Regenzeit, die in der vorhergehenden monatelangen Sonnenglut steinhart gebackenenFelder weit genug aufgeweicht sind, um gepflügt werden zu können, laufen die Männer von morgens früh bis abends spät im knietiefen Wasser auf den Feldern hinter Pflug und Egge her.Währenddessen fangen die Frauen an, in kleinen Feldabschnitten den Reis auszusäen, der ein Paar Wochen später, wenn die Regenzeit voll im Gang ist, das Pflanzgut für die Reisfelder abgibt. DasSaatgut wird unter genauer Einhaltung magischer Vorschriften sehr dicht ausgesät und muss dann nach zirka vierWochen verpflanzt werden. Auch das Reispflanzen ist eine Knochenarbeit, meist fürdie Frauen. Sie gehen von morgens bis abends gebückt in einer langen Reihe über die knietief mit Wasser bedeckten Reisfelder und drücken in zehn Zentimetern Abstand die jungen Reisschösslingein den Boden. Wer sich einmal die Füsse seiner Freundin in Phuket oder Pattaya ansieht, der wird leicht feststellen, ob das Mädchen die Tochter eines Reisbauern ist, die von klein an in denunter Wasser stehenden Reisfeldern herumwaten musste. Es gibt - wenn nicht gerade ein hoher buddhistischer Feiertag ansteht - keinen Sonntag und keinen Ruhetag, solange der Reis nicht fertiggepflanzt ist.

Ist der Reis gepflanzt, bleibt aber für die Menschen im Dorf für ein paar Monate nichts anderes zu tun, als dem Reis beim Wachsen zuzusehen. Männlein und Weiblein liegen dann mehr oder wenigerden ganzen Tag herum und warten, bis der Reis reif zur Ernte ist. Dann geht die Knochenarbeit wieder los, denn da im Isaan die Felder nur etwas mehr als Handtuchgrösse haben und jeweils durchErddämme eingeschlossen sind, um das kostbare Regenwasser festzuhalten, können keine Maschinen eingesetzt werden. Der Reis muss also von Hand geschnitten werden. Ist die Reisernte vorbei, istwieder für ein paar Monate Ruhe angesagt, bis die Trockenzeit vorüber ist, und die Felder genug aufgeweicht sind, um wieder gepflügt werden zu können.

Die Menschen im Isaan lieben die Geselligkeit. Während der Monate, in denen keine Arbeit ansteht, sitzt man manchmal den ganzen Tag zusammen und unterhält sich. Mit dem Wechsel von der Tausch-zur Geldwirtschaft haben sich die nachbarlichen Beziehungen in den Dörfern allerdings nicht zum besseren entwickelt. Während früher die Felder in Gemeinschaftsarbeit bewirtschaftet wurden, undman reihum ging, um alle Felder des Dorfes zu bestellen, will heute jeder, der auf dem Feld eines Nachbarn arbeitet, dafür bezahlt werden.

Wenn man in der Regenzeit in den Isaan kommt und die endlos grünen Reisfelder sieht, dann könnte man meinen, dass eine freundliche Natur die Menschen mit überquellenden Ernteerträgen verwöhnt.Das ist aber keineswegs der Fall. Die Bauern haben zwar, sofern sie über genug eigenes oder gepachtetes Land verfügen, die Grundnahrungsmittel aus eigener Erzeugung. Die niedrigen Reispreisegestatten es ihnen jedoch nicht, die nötigen Ausgaben zu bezahlen. Das Jahreseinkommen einer Familie liegt in den ärmeren Dörfern oft unter 10.000Baht = 500DM, und davon müssen dann Vater,Mutter, 5Kinder, 3Hunde, 4Katzen und 5Enten leben (von ein paar Tausend Moskitos ganz zu schweigen). Die Reisbauern sind deshalb oft stark bei Banken und Geldverleihern verschuldet. Um dieimmens hohen Zinsen zu bezahlen, müssen sie ihren Reis sofort nach der Ernte verkaufen. Das plötzliche Überangebot zur Erntezeit drückt natürlich die Preise, die von Aufkäufern und Reismühlengezahlt werden. Wären die Bauern in der Lage, ihre Ernte für ein paar Monate in ihren eigenen kleinen Silos einzulagern, könnten sie einen wesentlich besseren Preis erzielen. So nährt die Armutweitere Armut.

Da in den Dörfern des Isaan nur drei bis vierMonate im Jahr Arbeit ansteht, und in der Wartezeit natürlich kein Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen ist, strömen in diesenbeschäftigungslosen Monaten viele Hunderttausende aus dem Isaan in die grosse Stadt, um in Bangkok als Hilfsarbeiter in Fabriken oder auf dem Bau etwas Bargeld zu verdienen. Wenn dieEinwohnerzahl Bangkoks manchmal mit 10Millionen und manchmal mit 8Millionen angegeben wird, so können beide Zahlen stimmen. Niedriges Einkommen, hohe Pachtzinsen für das den Banken oderGeldverleihern als Sicherheit überlassene Land, mangelnde schulische Ausbildung, keine Chance, einen Beruf zu erlernen, all das treibt die Menschen aus dem Isaan in die Stadt, auch wenn ihrGlück nur darin besteht, dass sie die Slums vergrössern. So niedrig die Löhne auch sein mögen, sie betragen aber immer noch ein Mehrfaches von dem, was in ihren Dörfern zu verdienen wäre. Fastalle diese Leute haben nur eine rudimentäre Schul- und keine berufliche Ausbildung. Wenn sie Arbeit finden, dann als Tuk-Tuk- oder Taxifahrer, als Dienstmädchen, Strassenverkäufer oder alsBauarbeiter. Fast jeder Taxifahrer oder Obstverkäufer in Bangkok stammt aus dem Nordosten. Die jüngeren und hübscheren Mädchen arbeiten meist in den Bars. Sie bilden zusammen das untersteProletariat der Millionenstadt, und da sie sich sowohl durch ihre Heimatsprache als auch durch ihre Sitten und Gebräuche von den Kernland-Thais unterscheiden, leben sie auch meist getrennt vondiesen im eigenen Clan zusammen.

Viele jüngere Leute versuchen auch eine Arbeit im Ausland zu bekommen, zum Beispiel in den arabischen Ländern, Taiwan oder Singapur, wo wesentlich mehr Geld verdient werden kann. Es gibt imIsaan eine ganze Reihe obskurer Arbeitsvermittlungsbüros, die hierfür ihre Dienste anbieten. Um die horrenden Vermittlungsgebühren von bis zu 100.000Baht pro Job aufzubringen, die dieseVermittler verlangen, muss sich oft die ganze Familie verschulden. Häufig wird der ins Ausland vermittelte Arbeiter auch das erste Jahr nur dafür arbeiten müssen, um die Vermittlungsgebührenund die Kosten für das Flugticket zurückzuzahlen. Oft stranden die Vermittelten auch schon in Bangkok, weil die Vermittler sie betrogen haben und gar keine Stellen nachweisen können. "page_image" src="54-10.jpg','2002/14" alt="Günther Ruffert">

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau undTochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau undErnte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf inseinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten ausunterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und imCentral Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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