Der Adschahn und die Geister

Bei allen wichtigen Entscheidungen wird der Dorf-Schamane hinzugezogen

Das Geister, und alles was zu ihnen gehört, im Leben der Menschen im Isaan eine grosse Rolle spielen, dürfte jedem, der sich etwas mit dem Land und seinen Menschen befasst hat, klar sein. Für den ordnungsgemässen Verkehr mit der Geisterwelt ist bei uns im Dorf ein Schamane, der „Adschahn“ zuständig.

Bei jeder Gelegenheit, bei der es wichtig erscheint, den Segen der Geister zu erhalten oder zumindest sich nicht ihren Unwillen zuzuziehen, ob bei einer Hochzeit, der Geburt eines Kindes, demBaubeginn oder der Einweihung eines Hauses, wird der Adschahn gerufen.

Der lässt nun eine nach bestimmten, aber keinem ausser ihm bekannten Regeln eine Zeremonie ablaufen. Dabei wechseln sich lange Rezitationen in einer unbekannten Sprache, Sprüche, in denen der Segen der Geister herabgefleht wird und ein Einsprühen der gesamten anwesenden Gesellschaft mit geweihtem Wasser ab.

Auf meine Frage, warum denn die Zeremonie so lange dauert und er immer wieder von neuem mit seinen Sprüchen anfängt, erklärte mir unser Dorf-Adschahn – der im übrigen immer gerne eine FlascheBier mit mir trinkt – er dürfe schliesslich keinen der anwesenden Geister vergessen, sonst wäre der womöglich böse. Aber auch beim Bau eines Hauses, beim Kauf eines Autos oder anderen wichtigen Vorhaben muss der Adschahn gefragt werden, welches der günstigste Tag dafür ist. Als wir beschlossen hatten, uns einen Pick-up zuzulegen, wurde zuerst der Dorfschamane befragt, welcher Tag dennam günstigsten für die Auslieferung des Wagens wäre.

An Hand meines Geburtsdatums und nach Konsultation der Tabellen in einem dicken Buch wurde uns ein Datum etwa zwei Wochen später genannt. Erst dann gingen wir zum Autohändler, und bei den Verhandlungen spielte das richtige Lieferdatum genau so eine Rolle wie der Preisnachlass und wurde auch im Kaufvertrag festgeschrieben.

Nun ergab es sich aber, dass der Händler eine Woche vor dem vereinbarten Termin anrief und mitteilte, dass das gekaufte Fahrzeug schon angeliefert sei und bei ihm auf dem Hof zur Abholungbereitstünde. Jetzt war guter Rat teuer, denn ich hätte das Fahrzeug am liebsten sofort abgeholt. Wir gingen aber erst zum Schamanen, erklärten ihm die neue Lage und baten ihn, noch mal zuprüfen, ob wir das Fahrzeug nicht schon am nächsten Tag abholen könnten.

Nach nochmaligem Studium seiner klugen Bücher war er auch der Meinung, dass der nächste Tag zwar nicht ganz so günstig wie der ursprünglich genannte Termin sei, dass die Sache aber gut gehenwürde, wenn wir den Wagen erst nach 15 Uhr abholen würden. Wir gingen also am nächsten Nachmittag zum Händler, holten den Wagen ab und fuhren beruhigt damit nach Hause.

Der jüngste Bruder meiner Frau hatte vor zwei Jahren ein Bauernmädchen aus dem Nachbardorf geheiratet und war, wie das hier so üblich ist, in das Haus der Schwiegereltern gezogen. Zuerst gingauch alles gut, der Junge bestellte die Äcker seiner Schwiegereltern und auch seine junge Frau, denn nach pünktlich neun Monaten war schon eine kleine Tochter da. Umso erstaunter war ich, alssich eines Tages der Junge wieder bei uns einquartierte, ohne Frau und Kind. Auf meine Frage, warum er seine Familie verlassen hat, bekam ich von meiner Frau die Auskunft, dass der Bruder esnicht mehr mit der Schwiegermutter ausgehalten habe. Sie wäre von morgens bis abends am Schimpfen und Keifen.

Als ein paar Wochen später beim Kamnan (Bezirksbürgermeister) ein Versöhnungstermin stattfand, konnte ich den Bruder meiner Frau verstehen. Die Alte war eine richtige Hexe, wenn man sie ansah,und erst recht, wenn sie den Mund aufmachte. Man konnte gar nicht verstehen, woher sie eine so nette Tochter hatte. Vor allem wegen der keifenden Alten wurde es nichts mit der Versöhnung.

Da der Junge gerne wieder mit Frau und Kind zusammen sein, aber nicht in das Haus seiner Schwiegermutter zurück wollte, hatte meine Frau sich eine andere Lösung ausgedacht. Da sie mit ihremProduktehandel und der Zuckerrohrpflanzerei oft den ganzen Tag ausser Haus beschäftigt war, brauchten wir ein Hausmädchen, um das Haus sauber zu halten und für die Familie zu waschen und zukochen. Wir boten der Frau des Bruders also an, mit ihrem Mann zusammen bei uns zu wohnen und gegen ein Monatsgehalt die Hausbesorgung zu übernehmen. Das Mädchen hätte das auch gerne gemacht,die Hexe sperrte sich jedoch dagegen, und als gute Tochter hörte sie auf ihre Mutter.

So wurde also im Familienrat beschlossen, noch einen Versöhnungsversuch, diesmal aber unter Zuhilfenahme der Geister zu unternehmen. Eines nachmittags wurde also die ganze Familie - Bruder,Schwester, Onkel, Tanten, der Grossvater und ein ganze Schar Kinder - auf zwei Fahrzeuge verladen. Dazu ein grosser gekochter Schweinskopf für die Geister und zwei Kisten Chang-Bier nebst einpaar Flaschen Reisschnaps für die Menschen.

Mit von der Partie waren noch der Dorfälteste und der Dorfschamane.

Am Haus der Schwiegermutter angekommen, kletterte alles aus den Fahrzeugen und hockte sich im Halbkreis auf den Boden. Gegenüber platzierte sich die andere Partei, die Familie derSchwiegermutter. Dann fing ein grosses Palaver an, mit viel Geschrei und Geschimpfe von Seiten der Hexe. Nach einer Stunde hatte man sich aber soweit geeinigt, dass man die Sache den Geisternübergeben konnte.

Eine Schale mit dem mitgebrachten Schweinskopf wurde in die Mitte der beiden Parteien auf den Boden gestellt, und in jedes Nasenloch eine Kerze gesteckt und angezündet. Es war inzwischen dunkelgeworden, und die einzige Beleuchtung kam von den Kerzen im Schweinskopf. Es sah richtig geisterhaft aus, und die Kinder kuschelten sich an ihre Mütter. Dann begann eine Beschwörungszeremonie,bei der der Schamane langsam eine Flasche Bier in die Schale mit dem Schweinskopf leerte und dabei Beschwörungssprüche murmelte.

Nach einer Weile hatten die Geister wohl die Gabe gnädig angenommen und ihre Zustimmung zur Umsiedlung der Tochter gegeben, und man konnte zum gemütlichen Teil übergehen.

Die Bier- und Schnapsflaschen wurden jetzt geöffnet, und die Familien tranken kräftig auf das neue Glück. Als alle Vorräte geleert waren, kletterte die ganze Gesellschaft wieder auf dieFahrzeuge, diesmal mit der verlassenen Ehefrau nebst Kind. Und ich hatte von da an zwei Personen mehr in meinem schon gut bevölkerten Haus wohnen.

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