Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

«La Vanguardia»: Europa braucht Merkels Führungskraft

BARCELONA: «La Vanguardia» kommentiert am Samstag Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der in Barcelona erscheinenden Zeitung und anderen europäischen Medien:

«Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt in dem (...) Interview das proeuropäischste Profil Deutschlands heraus und nennt die Beweggründe für die Hinwendung ihres Landes zu mehr Solidarität unter den Mitgliedern der Europäischen Union (EU). Vor etwas mehr als einem Monat überraschte Merkel alle, als sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für einen Hilfsfonds (...) warb, der die Aufnahme von Krediten durch die Europäische Union vorsieht, um Ländern Subventionen zu gewähren, die diese am dringendsten benötigen. Niemals zuvor in der europäischen Geschichte hatte Deutschland diese Gegenseitigkeit der Gemeinschaftsverschuldung akzeptiert. Damit setzte sich Deutschland auch erstmals von den Ländern ab, die es bisher angeführt hatte und die sich am meisten dagegen sträuben, Risiken zu teilen.

Merkel erklärt diesen Kurswechsel mit der besonderen Herausforderung durch die Coronavirus-Pandemie, die auch besondere Maßnahmen erfordere, nicht nur aus Gründen der Solidarität, sondern auch im Interesse Deutschlands selbst an einem starken Binnenmarkt. (...) Derzeit ist diese Feststellung noch treffender als zuvor, weil ihr Land einen dynamischeren europäischen Markt braucht, der den wachsenden internationalen Protektionismus, für den Trump eintritt, kompensiert. (...)

Zusammenfassend lässt sich sagen, das sich Angela Merkel mit diesem Interview, in dem sie auch die Rolle der EU auf internationalem Parkett und die Beziehungen der Union zu den USA, Russland und China analysiert, als die große Anführerin bestätigt hat, die Europa ausgerechnet in dem Augenblick braucht, in dem sie sich zum Rückzug aus der Politik entschieden hat.»


«Berliner Morgenpost» zu Bundesliga

Die 57. Saison in der Fußball-Bundesliga ist Geschichte, und sie wird aufgrund der Coronavirus-Krise tatsächlich in die Historie eingehen. Mit ihrem überzeugenden Hygienekonzept war die Deutsche Fußball Liga (DFL) weltweit beispielgebend für die Wiederaufnahme des Wettkampfsports mit Geisterkulisse. Darauf darf sie stolz sein. Nun aber müssen die Verantwortlichen die Lehren aus der Krise ziehen. In den vergangenen Jahren hatte sich die Fußballblase immer mehr von der Basis entfernt. In der Krise versprach man nun, künftig demütiger zu sein und in allen Bereichen sorgsamer vorzugehen. Das dürfen keine Worthülsen bleiben.


«The Guardian»: Johnson möchte politische Verantwortung vermeiden

LONDON: Zum Umgang mit der Corona-Pandemie in den USA und in Großbritannien meint der Londoner «Guardian» am Samstag:

«Auf die Pandemie hat (US-Präsident) Donald Trump reagiert, indem er sie kleinredete, die Realität des Lockdowns herunterspielte, während er damit prahlte, was für einen «fantastischen» Job er doch mache, und indem er Verschwörungstheorien verbreitete. Heute finden nahezu alle Aufwallungen des Coronavirus in Landesteilen mit hohem Anteil von Trump-Wählern statt, die am schnellsten Schutzmaßnahmen aufgehoben hatten - und sie nun wieder einführen müssen.

Je populistischer ein Anführer, desto misstrauischer ist er gegenüber der Bevölkerung. (Der britische Premierminister) Boris Johnson schwelgt in der prinzipienlosen Tyrannei seiner parlamentarischen Mehrheit. Er versucht, sämtliche Entscheidung zu vermeiden, für die er politische Verantwortung übernehmen müsste, und verlangt von seinen Beratern unzweideutige Antworten, die ihn vor Kritik bewahren. Doch damit kann er die umfassende Mitwirkung und Zustimmung der Bevölkerung, die erforderlich sind, um Großbritannien aus dem Griff der Pandemie zu lösen, nicht erlangen.»


«NZZ»: Respekt vor dem Gewaltmonopol des Staates ist geschrumpft

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Samstag die in Teilen der Gesellschaft verbreitete Ablehnung der Polizei:

«Es ist Zeit, sich einzugestehen, dass Teile der Gesellschaft den Respekt vor dem Gewaltmonopol des Staates verloren haben. Diese Personengruppen können politisch motiviert sein wie Rechts- und Linksextreme oder völlig apolitisch wie der Party-Mob in Stuttgart und Zürich, der es einfach nicht akzeptieren will, wenn die Polizei gegen Drogenkonsum und die Störung der öffentlichen Ordnung vorgeht. Wie aber bekämpft man die Verachtung der staatlichen Institutionen? Der erste Schritt wäre, mit der Verdrängung Schluss zu machen. Zur demokratischen Mitte gehört, wer alle Gewaltformen gleichermassen verurteilt - gleichgültig, ob von Rechten, Linken, Migranten, Islamisten oder zugedröhnten Hedonisten. Sobald jemand einzelne Gewaltformen beschönigt oder gar rechtfertigt, ist dies ein Indiz dafür, dass er zu den geistigen Brandstiftern gehört.»


«Tages-Anzeiger»: Eine Schande für Russlands Justiz

ZÜRICH: Zum Prozess gegen den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow heißt es am Samstag im Zürcher «Tages-Anzeiger»:

«Anders als oft behauptet, war er gerade nicht der modellhaft oppositionelle Künstler. Ohne wohlwollende staatliche Förderung unter dem damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew hätte er weder das Moskauer Gogol-Zentrum übernehmen noch «Plattform» ins Leben rufen können. Dass seine Kunst zu politisch, zu modern oder auch «zu schwul» sei, kann höchstens ein Teil der Wahrheit sein.

Umso eindeutiger war die abschreckende Wirkung des Verfahrens: Wenn sich der Wind dreht und neue Mächtige ans Ruder kommen, sind die Gönner von gestern weit weg. Das Verfahren gegen Serebrennikow war eine Schande für die Justiz, ein Schlag gegen die Kunst, eine Katastrophe für Russland. Die Bewährungsstrafe lässt ahnen, dass das erkannt wurde. Russlands Kunst wird überleben. Aber die Künstler? Das bleibt offen.»


«de Volkskrant»: Bürger und Markt fordern Freiheiten zurück

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «De Volkskrant» beschäftigt sich am Samstag mit dem Herangehen an die Corona-Krise:

«Die Regierung erweckt den Eindruck, von den immer widerwilligeren Bürgern in die Ecke gedrängt zu werden. So gesehen war die «intelligente Abriegelung» ein typisches Produkt der niederländischen Verwaltungskultur: das Ergebnis eines Ringens von Bürgern, Regierung und Markt. Zunächst übernahm die Regierung mit Hilfe von Experten die Führung. Sobald die Infektionszahlen des Nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) es zuließen, forderten Bürger und Markt ihre abgetretenen Freiheiten wieder ein. (...)

In dieser Wolke nationaler Selbstzufriedenheit kann leicht vergessen werden, dass die Krise noch lange nicht vorbei ist. Die durch Corona verursachten sozialen Schäden werden erst in einigen Jahren vollständig sichtbar sein.»

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