Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu Ukraine-Besuch von Olaf Scholz

Die Brüsseler Kommission wird diesen Freitag das Kiewer Beitrittsgesuch bewerten, und das Quartett um Scholz hat vor Ort erklärt, dass es dem Kandidatenstatus des Landes positiv gegenübersteht.

Diese Zusage ist für die Ukraine bedeutsam. (...) Trotzdem ist sie erst einmal nur symbolischer Natur. Eine wirkliche Aufnahme, die dann auch mit einer militärischen Beistandspflicht verbunden wäre, liegt noch in weiter Ferne. Wer sich vom Besuch von Kanzler & Co. eine fulminante Wende in den komplizierten deutsch-ukrainischen Beziehungen oder gar des Kriegsverlaufs erwartet hat, sieht sich wenig überraschend getäuscht. Atmosphärisch mag es ein wenig Linderung geben, da Kiews Präsident WolodymyrSelenskyj seiner Bevölkerung nun eine wenn auch vage Zukunftsperspektive bieten kann. An der harten Gegenwart des Landes und den Interessenunterschieden mit seinen europäischen Verbündeten ändert sich vorerst wenig.


«Süddeutsche Zeitung» zu Scholz-Reise nach Kiew

Doch auch politisch kann sich das Ergebnis sehen lassen.

Deutschland, Frankreich, Italien und Rumänien sind dafür, dass die Ukraine den Status eines Kandidaten für die EU erhält. Das ist eine bemerkenswerte Einheit aus Dränglern und Zauderern, aus Ost und West in Europa. Der Weg in die EU ist damit für die Ukraine kein Automatismus (die Türkei hat den Kandidatenstatus seit mehr als 22 Jahren). Aber auch hier spielt die politische Symbolik eine wichtige Rolle.


«Frankfurter Rundschau» zu Besuch europäischer Regierungschefs in Kiew

Das europäische Quartett hat mit seiner Visite in Kiew die Solidarität mit dem überfallenen Land unterstrichen.

Den Menschen in der Ukraine hilft es sicherlich moralisch bei ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor, wenn sich Verantwortliche der westlichen Verbündeten zerstörte Orte anschauen und die zahlreichen Kriegsverbrechen durch Putins Regime unmissverständlich verurteilen und deren Aufklärung fordern. Die teils vergifteten deutsch-ukrainischen Beziehungen entspannt Scholz, wenn er dafür plädiert, der Ukraine und ihrer Nachbarrepublik Moldau den Status von EU-Beitrittskandidaten zuzusprechen. So nötig solche positiven Perspektiven für Ukrainerinnen und Ukrainer für deren Durchhaltewillen auch sein mögen, drohen doch Enttäuschungen. Mit diesem Status ist formal wenig verbunden. Nimmt die EU diesen Schritt ernst, beginnt ein jahrelanger Prozess, der schon andere Länder wie die Türkei oder Balkan-Staaten frustriert hat. Zudem droht innerhalb der EU ein handfester Streit darüber.


«Lidove noviny»: Für baldiges Kriegsende wäre Kompromiss nötig

PRAG: Zur Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor beiden Kammern des tschechischen Parlaments schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Donnerstag:

«Manchmal ist es nützlich, einen Blick hinter das Pathos zu wagen. Selenskyj sagt, dass Russlands Soldaten gegen die europäischen Werte kämpfen. Doch in Wirklichkeit geht es gar nicht so sehr um europäische Werte. Auf dem ukrainischen Schlachtfeld geht es um Konzepte wie Souveränität, die Unberührbarkeit der Grenzen und die Verteidigung eines Staates - also um das, was Befürworter der europäischen Integration als historischen Krempel abtun würden. (...)

Wenn der Ukraine-Krieg bald enden soll, dann mit irgendeinem Kompromiss. Soll er indes mit einem Sieg der Ukraine enden, wird das nicht bald gelingen. Das müssen wir uns eingestehen.»


«Göteborgs-Posten»: Europa soll britisches Asylverfahren studieren

GÖTEBORG: Die schwedische Tageszeitung «Göteborgs-Posten» meint zum umstrittenen Plan der britischen Regierung, Asylsuchende nach Ruanda auszufliegen:

«Europa sollte seine Grenzen nicht komplett schließen. Wie Großbritannien und Kanada sollte man sie für die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte offen halten. Europa kann seine Grenzen auch - wie im Fall der Ukraine - bei Konflikten in der unmittelbaren Umgebung öffnen müssen.

Aber darüber hinaus kann Europa keine große Asyleinwanderung aus dem Rest der Welt haben. Das ist sozial nicht tragbar und es gibt keinen moralischen Zweifel daran, die Asylprüfung in Länder in beispielsweise Afrika auszulagern, solange diese einigermaßen stabil sind und die Verfahren legal stattfinden können. Die EU hat allen Grund dazu, das britische Beispiel zu studieren und zu schauen, wie es weiterentwickelt werden kann.»


«Tages-Anzeiger»: Geschäftsmodell der AfD könnte bedroht sein

ZÜRICH: Zum AfD-Parteitag, der am Freitag in Riesa beginnt, schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Donnerstag:

«Das Erfolgsrezept der AfD bestand in den neun Jahren ihres bisherigen Bestehens darin, dass das bürgerliche und das extremistische Lager in der Partei nicht nur koexistierten, sondern wechselseitig wussten, dass sie nur als Allianz politischen Erfolg haben würden. Mit dieser Haltung zog die Alternative ab 2014 nicht nur in alle 16 Landtage der Republik ein, sondern 2017 auf Anhieb auch als größte Oppositionspartei in den Bundestag. Doch seit 2020 lahmt die AfD, trotz der populistischen Möglichkeiten, die ihr die Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine zuletzt boten. (...)

Unter den Delegierten schätzt man die Lager von Extremisten, Bürgerlichen und Unentschiedenen auf jeweils ein Drittel. Wie sich die Kräfteverhältnisse an der Spitze und im 14-köpfigen Vorstand abbilden werden, wird die eigentlich spannende Frage des Parteitags sein. Bleibt es nicht beim Patt und gewinnen die Extremisten sichtbar die Oberhand, ist auf Dauer jedenfalls jenes politische Geschäftsmodell bedroht, das die AfD bis anhin mit so viel Erfolg betrieben hat.»


«Le Monde»: EU darf gegenüber Johnson nicht schwach werden

PARIS: Zu Plänen des britischen Premierministers Boris Johnson, die das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens mit der EU untergraben könnten, schreibt die französische Tageszeitung «Le Monde» am Donnerstag:

«Die von der Regierung Johnson vorgebrachten Begründungen - das Nordirland-Protokoll habe das Land destabilisiert - sind wenig glaubwürdig. In Wirklichkeit versucht der Premierminister nur, vom knappen Misstrauensvotum gegen ihn abzulenken. Noch ist ungewiss, ob das Unterhaus dem Gesetzentwurf zustimmen wird.

Aus diesem Grund darf die Europäische Union nicht schwach werden. Die EU muss weiterhin den Frieden in Irland garantieren. Die Mitgliedsstaaten können nicht akzeptieren, dass ein Riss im europäischen Binnenmarkt entsteht. Boris Johnson setzt auf Konfrontation mit seinen Nachbarn, während der Ukraine-Krieg eine uneingeschränkte europäische Solidarität erfordert. Ein Zeichen für seinen Zynismus und das Risiko der Isolation, das er für das Vereinigte Königreich darstellt.»


«Guardian»: Johnson könnte sich mit Ruanda-Plan verkalkulieren

LONDON: Großbritanniens konservativer Premierminister Boris Johnson will trotz viel Kritik an seinem Plan zur Abschiebung von Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern nach Ruanda festhalten. Dazu meint die britische Tageszeitung «Guardian» am Donnerstag:

«Der Premierminister weiß, dass sein Asylplan in der Praxis nicht funktionieren kann, doch er setzt darauf, dass er in der Theorie populär sein wird. Das ist eine grotesk zynische Art zu regieren, und es könnte auch eine politische Fehlkalkulation sein. Diejenigen, die Abschiebungen nach Ruanda bejubeln, mögen die lauteste Gruppierung der Tory-Partei sein. Aber es gibt auch eine andere, leisere Wählerschaft, die sich von der gefühllosen Behandlung von Menschen abgestoßen fühlt, die dringend Hilfe aus einem Land benötigen, das sich einen stärkeren Sinn für Anstand und Mitgefühl bewahrt hat, als er durch Boris Johnsons Regierung repräsentiert wird.»


«NZZ»: Karlsruher Urteil Fingerzeig für Umgang mit AfD

ZÜRICH: Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Äußerungen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel über die AfD meint am Donnerstag die «Neue Zürcher Zeitung» (Online-Ausgabe):

«Die AfD verdient scharfe Kritik für ihre Positionen, aber eben auch eine faire Berichterstattung und keine programmatische Ungleichbehandlung - dies gilt übrigens auch für den Bundestag, wo ihr das Amt eines stellvertretenden Präsidenten hartnäckig verweigert wird. Liberal ist solche Ausgrenzung der Opposition durch die Mehrheit nicht, demokratisch auch nicht.

So ist das Karlsruher Urteil ein Fingerzeig für einen erwachsenen Umgang mit der rechten Partei. Die Republik steht nicht vor dem Kollaps, wenn die AfD auf kommunaler Ebene punktuell mit anderen Parteien zusammenarbeitet; in Ostdeutschland lässt sich eine solche anlassbezogene Kooperation aufgrund der Stärke der AfD ohnehin nicht dauerhaft verhindern.

Kein Staatsbürger und kein Parteipolitiker muss sich an das Neutralitätsgebot halten, gegen das Angela Merkel verstieß. Einer souveränen Republik aus mündigen Bürgern aber steht es gut zu Gesicht, Kritik und Ablehnung zu begründen und nicht lediglich der Antipathie die Zügel schießen zu lassen. Nur so gelingt, woran Merkel nicht nur bei ihrer Reise nach Südafrika scheiterte: die Stärkung der Demokratie.»


«El País»: Die EZB muss sich mehr anstrengen

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Donnerstag das von der Europäischen Zentralbank angekündigte neue Anti-Kriseninstrument:

«Die EZB will eine «Fragmentierung» des Euroraums vermeiden und damit eine Rückkehr zu hohen Risikoaufschlägen, also zu höheren Kosten der Geldbeschaffung für Länder des Südens als für Deutschland. Die Bank bekräftigt zugleich implizit, dass sie bei Fälligkeit der aktuellen Verbindlichkeiten so viele italienische, spanische, griechische und portugiesische Anleihen wie nötig aufkaufen wird. Sonst würde der Euro in Turbulenzen geraten wie seit langem nicht.

Der Spread griechischer Anleihen gegenüber deutschen ist schon auf 298 Punkte geklettert, auf 247 Punkte bei Italien, 137 Punkte für Spanien und 135 für Portugal. Während die Vorteile einer geldpolitischen Straffung zur Eindämmung der Inflation noch abzuwarten sind, wird der Schaden für die Staatsfinanzen dieser Länder bereits sichtbar. Die Risikoaufschläge sind durch die neuen Ankündigungen bisher nur auf das Niveau vergangener Woche gesunken. Die EZB muss sich mehr anstrengen.»

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