Krieg: Nur riskante Optionen für Biden

Afghanische Sicherheitskräfte bei einem Einsatz gegen militante Taliban. Foto: epa/Watan Yar
Afghanische Sicherheitskräfte bei einem Einsatz gegen militante Taliban. Foto: epa/Watan Yar

WASHINGTON/KABUL: Vor fast 20 Jahren begann der US-geführte Einsatz in Afghanistan, nun sollen die Soldaten abziehen - das sieht zumindest das Abkommen der Trump-Regierung mit den Taliban vor. Trump-Nachfolger Biden steht vor einer schwierigen Entscheidung. Geht der Krieg in die Verlängerung?

Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban sollte Afghanistan endlich Frieden bringen. Vor einem Jahr (29. Februar) unterzeichneten Vertreter beider Seiten im Golf-Emirat Doha die Vereinbarung. Damals war Donald Trump US-Präsident, er hatte versprochen, «Amerikas längsten Krieg» zu beenden und die Truppen nach Hause zu bringen. Inzwischen hat Trump-Nachfolger Joe Biden nicht nur den anhaltenden Konflikt, sondern auch das umstrittene Abkommen geerbt, das einen Abzug aller ausländischen Soldaten schon in zwei Monaten festschreibt. Der neue Präsident sieht sich deswegen zu einer seiner bislang heikelsten außenpolitischen Entscheidungen gezwungen - und Biden hat nur hochriskante Optionen zur Auswahl.

Die Taliban haben sich in dem Abkommen von Doha dazu verpflichtet, dass von Afghanistan aus keine Terrorbedrohung gegen die USA und ihre Verbündeten ausgeht. Außerdem haben sie Friedensverhandlungen mit der Regierung in Kabul zugesagt, die zu einem dauerhaften Waffenstillstand und einem politischen Fahrplan für die Zukunft Afghanistans führen sollen. Im Gegenzug haben sich die USA dazu verpflichtet, dass ihre Truppen und die ihrer internationalen Verbündeten bis zum 1. Mai vollständig aus Afghanistan abgezogen werden - fast 20 Jahre nach Beginn des Einsatzes im Oktober 2001.

Zwei Monate vor dem geplanten Truppenabzug kann allerdings von einer Waffenruhe keine Rede sein. Eine innerafghanische Verhandlungslösung ist erst recht nicht in Sicht. Die Aufsichtsbehörde der US-Regierung für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) schrieb Ende Januar: «Friedensgespräche zwischen der Islamischen Republik Afghanistan und den Taliban haben bisher wenig substanzielle Ergebnisse gebracht. Es gab kein Waffenstillstandsabkommen, und ein hohes Maß an aufständischer und extremistischer Gewalt in Afghanistan dauerte in diesem Quartal an.» Auch gebe es keine Anzeichen dafür, dass die Taliban ihre Verbindungen zum Terrornetz Al-Kaida gekappt hätten.

Trump ging trotzdem in Vorleistung: Obwohl das Doha-Abkommen einen solchen Schritt gar nicht vorsah, reduzierte er die Zahl der US-Truppen in Afghanistan noch in den letzten Tagen seiner Amtszeit auf 2500. Zusätzlich sind nach Nato-Angaben derzeit noch rund 7000 internationale Soldaten am Hindukusch im Einsatz, darunter bis zu 1300 aus Deutschland. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren noch rund 14.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan, zum Höhepunkt vor zehn Jahren waren es rund 100.000. Die Nato vertagte vor einigen Tagen eine Entscheidung über ein Ende ihres Afghanistan-Einsatzes.

Seit dem Abkommen von Doha ist kein US-Soldat mehr bei Angriffen oder Anschlägen der Taliban ums Leben gekommen. Für afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten gilt das aber keineswegs. Auch wenn ein Gewaltverzicht der Taliban in dem Abkommen von Doha nicht ausdrücklich festgehalten wurde, wirft die Biden-Regierung den Islamisten vor, sich nicht an ihre Zusagen zu halten.

Pentagon-Sprecher John Kirby kritisierte Ende Januar: «Die Taliban haben ihre Verpflichtungen nicht erfüllt. Ohne dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen, dem Terrorismus abzuschwören und die gewaltsamen Angriffe auf die afghanischen Sicherheitskräfte und damit auf das afghanische Volk einzustellen, ist es sehr schwer, einen konkreten Weg für eine Verhandlungslösung zu sehen.»

Biden steht nun vor einem Dilemma: Holt er die Soldaten zum 1. Mai zurück und riskiert, dass Afghanistan wieder in den Bürgerkrieg abrutscht? Oder lässt er den Krieg nach fast 2000 bei Anschlägen und Angriffen getöteten US-Soldaten ein weiteres Mal in die Verlängerung gehen, wofür er sich in der Heimat wird rechtfertigen müssen? Die vom US-Kongress eingesetzte «Studiengruppe Afghanistan» hat Anfang Februar ihren Abschlussbericht vorgelegt, der vier mögliche Wege aufzeigt - die alle ein erhebliches Risiko bergen:

DIE US-REGIERUNG BLEIBT IM DOHA-ABKOMMEN, zieht die Truppen aber nicht zum 1. Mai ab, sondern erst dann, wenn die Taliban ihre Verpflichtungen erfüllt haben. Dieses Vorgehen empfiehlt die Expertengruppe, die unter anderem vom früheren Generalstabschef und US-Befehlshaber in Afghanistan, Joseph Dunford, geleitet wurde.

DIE USA ZIEHEN SICH AUS DEM ABKOMMEN ZURÜCK und bekräftigen ihre Unterstützung für die Regierung in Kabul. Sie signalisieren den Taliban, dass sie für Verhandlungen eines neuen Abkommens offen sind, das die Erfüllung bestimmter Bedingungen vorsieht und den USA weiterhin die Terrorismusbekämpfung im Land erlaubt. Nicht nur würde der Abzug gestoppt, die Zahl der Soldaten müsste womöglich wieder erhöht werden. Ein Ende des Einsatzes stünde erneut in den Sternen.

EIN KALKULIERTER MILITÄRISCHER RÜCKZUG BIS ZUM 1. MAI bei gleichzeitigen Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts. Hier droht nach Einschätzung der Experten unter anderem die Gefahr einer Machtübernahme der Taliban, eines erneuten Bürgerkrieges, einer terroristischen Bedrohung für die USA und einer weiteren Flüchtlingskrise mit Auswirkungen auch auf die EU.

EIN BEDINGUNGSLOSER UND SOFORTIGER MILITÄRISCHER RÜCKZUG - mit potenziell noch katastrophaleren Folgen als bei Option Nummer drei.

Die zentrale Frage bei all diesen Szenarien: Wie reagieren die Taliban? Denn auch sie stecken in einem Dilemma. Während die politische Führung und die Unterhändler bei den Friedensgesprächen anfangs noch Signale für Hoffnung auf Frieden gesendet hatten, erwarten die geschätzt rund 70.000 Kämpfer der militanten Gruppe nun einen Truppenabzug. «Unsere Kämpfer werden niemals einer Verlängerung zustimmen», erklärte jüngst ein Taliban-Sprecher und warnte die USA vor einer «Vertragsverletzung». «Wenn der diplomatische Weg verschlossen ist, gibt es keinen anderen Weg als den des Krieges.»

Experten und Diplomaten hatten vor diesem Zwiespalt schon bei der Aufnahme der Friedensverhandlungen gewarnt. Denn die interne Sprache der Taliban unterscheidet sich gravierend von ihrem Auftritt auf internationaler Bühne. Einen Abzug der ausländischen Soldaten hatten die Islamisten ihren mehrheitlich jungen Kämpfern, die mit dem Krieg aufgewachsen sind, immer als Sieg gegen eine Besatzungsmacht verkauft. Die Angst vor einer neuen Eskalation wächst in Afghanistan mit jedem Tag. Die Stimmung ist zunehmend bedrückt und hoffnungslos.

Der Sender CNN urteilt angesichts der näher rückenden Abzugsfrist, Bidens Optionen erschienen «schlecht, schlechter und am schlechtesten». Auch die «Washington Post» schrieb kürzlich, Biden «hat keine «beste» Option« - nur eine, die am wenigsten schlecht für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ist. Diese ist wahrscheinlich, die Truppen noch eine Weile im Land zu lassen, um einen chaotischen Abzug zu vermeiden.»

Immerhin befasst sich Biden nicht zum ersten Mal mit Afghanistan - schon als Senator besuchte er das Land, das ihn auch nach seinem Antritt als Vizepräsident unter Barack Obama beschäftigte. Ende Januar 2009 - Obama hatte wenige Tage zuvor George W. Bush im Weißen Haus abgelöst - sagte Biden dem Sender CBS mit Blick auf den Konflikt am Hindukusch: «Unterm Strich haben wir hier ein echtes Chaos geerbt.» Zwölf Jahre später trifft diese Aussage erneut zu.

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Michael Krispin 28.02.21 14:49
Lasst die Muslime es unter sich ausmachen
Der Westen, insbesondere die USA, bekämpft den islamistischen Terror auch gegen sich selber am Besten dadurch indem sie sich aus diesen Ländern raushalten.
Man kann den Islam nicht nach westlich/christlichen Denkmuster demokratisieren.
Dort wo es halbwegs demokratische Strukturen gibt/gab werden die gewählten Präsidenten gerne von den USA abgewählt.
Was dann daei herauskommt sieht man am Iran/Irak/Syrien/Afghanistan.
Libyen waere mit Gaddafi heute auch ruhig.
Den haben allerdings ausnahmsweise die Franzmaenner abgewaehlt.
Europa hat auch lange durch Glaubenskriege gehen müssen bevor es den heutigen Frieden gab. Die Muslimische Welt braucht erst ihre Aufklärung. Die sind noch nicht so weit.
Da koennte der Westen am ehesten ansetzen.
Bomben haben nur einmal Demokratie gebracht und das war eine einmalige Sache mit DE.
Alle weiteren Versuche dieser Art sind jämmerlich fuer die USA ausgegangen.
Die wollen nicht auf Einstein hoeren