TUNIS: Der mächtige tunesische Gewerkschaftsverband UGTT geht im Streit mit dem Präsidenten Kais Saied einen Schritt auf den Staatschef zu. Die Gewerkschaftler wollen ihm eine Initiative vorlegen, um das Land gemeinsam aus der Krise zu führen, wie UGTT-Generalsekretär Noureddine Taboubi am Dienstag ankündigte.
Der Gewerkschaftsbund mit rund einer Millionen Mitglieder hatte die Auflösung des Parlaments durch Saied zunächst mitgetragen. Gegen andere Schritte des Präsidenten, mit denen dieser seine Macht ausbaute, wehrte sich der UGTT jedoch. Der Staatschef hatte die Gewerkschaftler bei vielen Reformen nicht miteinbezogen. So führte er etwa eine umstrittene Verfassung ein, dank der er auch eigenmächtig Richter ernennen und entlassen darf. «Wir wollen eine unabhängige Justiz, die von niemandem Anweisungen bekommt», betonte Taboubi.
Am Samstag demonstrierten Tausende bei einer von der UGTT organisierten Kundgebung in der Hauptstadt Tunis gegen den politischen Kurs Saieds. Am Sonntag gingen zudem Hunderte bei einem Protest der Opposition auf die Straße, darunter viele Anhänger der islamistischen Ennahda-Partei, die im Land allerdings stark an Zuspruch verloren hat. Die Gewerkschaftler betonten ihre Distanz von der Opposition: «Wir stehen auf niemandes Seite», so Taboubi.
Saied bekämpft seine politischen Gegner immer härter. Dutzende Kritiker wie Oppositionspolitiker, Richter, ein Journalist sowie ein UGTT-Vertreter wurden festgenommen. Ihnen werden etwa Korruption und «Verschwörung gegen die Staatssicherheit» vorgeworfen. Human Rights Watch kritisierte, es gebe keine stichhaltigen Beweise dafür.
Saied und der UGTT streiten auch über einen Milliarden-Kredit, den Tunesiens Führung beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragt hat. Die Gewerkschaftler lehnen die dafür vom IWF geforderten Reformen ab. Sie fürchten, dass diese für viele ohnehin unter der Wirtschaftskrise leidende Tunesier sehr schmerzhaft werden könnten.