Annäherung bei Geiselverhandlungen

Foto: Pixabay/Konevi
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DOHA/TEL AVIV/GAZA: Israels Verteidigungsminister will von den USA neue Waffen. Der Verbündete hadert aber wegen der Invasionspläne für Rafah. Der UN-Chef findet deutliche Worte. - Die Ereignisse der Nacht im Überblick

In die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über eine befristete Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln ist israelischen Medienberichten zufolge etwas Bewegung gekommen. Israel sei den Islamisten bei der Zahl der palästinensischen Häftlinge, die gegen 40 israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas auszutauschen wären, entgegengekommen, berichteten der Fernsehsender Channel 12 und das Portal «walla.co.il» am Samstagabend. Verteidigungsminister Joav Galant bricht nach Angaben seines Ministeriums an diesem Sonntag nach Washington auf. Bei den Gesprächen mit Israels wichtigstem Verbündeten geht es um eine geplante Bodenoffensive in der südlichen Gaza-Stadt Rafah. Die USA lehnen eine solche ab, weil sich dort derzeit rund 1,5 Millionen Menschen befinden.

Das Ausmaß des Fortschritts bei den Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha, bei denen die USA, Ägypten und Katar zwischen Israel und der Hamas vermitteln, war zunächst nicht klar. Die israelische Delegation habe einen Kompromissvorschlag der amerikanischen Vermittler akzeptiert, hieß es. Dieser muss nun von der Hamas gebilligt werden. Das könne mehrere Tage in Anspruch nehmen. Als positives Zeichen werten Beobachter, dass der israelische Delegationsleiter David Barnea und sein Team voraussichtlich die nächsten Tage in Doha bleiben werden.

Auslöser des Gaza-Krieges war der Überfall der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober im Süden Israels. Die Terroristen töteten bei dem Massaker 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Israel griff das Küstengebiet an, um die Hamas zu zerschlagen. Dabei kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 32.000 Palästinenser ums Leben - sowohl Zivilisten als auch Kämpfer.

Viele Unstimmigkeiten zwischen Israel und dem Verbündeten USA

Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet sieht sich Israel zunehmend internationalem Druck ausgesetzt - auch durch den Verbündeten USA. Uneins sind sich die USA und Israel über die von Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu geplante Bodenoffensive in Rafah. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin beabsichtigt, der israelischen Delegation in Washington alternative militärische Handlungsoptionen nahezubringen. Eine größere Militäroffensive, so die Befürchtungen, könnten mit viel Blutvergießen einhergehen.

Netanjahu hatte die Rafah-Offensive bereits Anfang Februar angekündigt und die Pläne des Militärs dafür mehrfach genehmigt. Sie sei notwendig, um die letzten vier Bataillone der Hamas zu zerschlagen und damit die militärische Kampffähigkeit der Islamistenorganisation zu vernichten, hieß es. Die Zivilbevölkerung in Rafah werde vor dem Beginn einer solchen Offensive in Sicherheit gebracht. Wie das genau funktionieren würde, hat Israel bislang nicht verdeutlicht. Militärexperten in Israel weisen darauf hin, dass es bis zum Beginn einer solchen Offensive noch Wochen dauern würde, weil das Militär zu diesem Zwecke viel stärkere Truppenverbände in Gaza zusammenziehen müsste.

Zugleich möchte der israelische Gast in Washington wegen neuer Waffenbeschaffungen vorstellig werden. Nach einem Bericht des Nachrichtenportals «axios.com» von Donnerstag stehe nicht nur der Nachschub an Munition und Waffen für den Gaza-Krieg auf Galants Wunschliste, sondern auch langfristiger Bedarf wie etwa weitere F-35- und F-15-Kampfflugzeuge.

UN-Chef brandmarkt Behinderung humanitärer Hilfe als «moralische Schmach»

UN-Generalsekretär António Guterres besuchte am Samstag die ägyptische Seite des Grenzübergangs Rafah, über den der Großteil der humanitären Hilfe den Gazastreifen erreicht - oder erreichen sollte. Aufgrund eines Abkommens zwischen Israel und Ägypten muss jede einzelne Lieferung vom israelischen Militär genehmigt werden. Hilfsorganisationen werfen Israel vor, die formalen Prozeduren zu verschleppen. Israel weist die Vorwürfe zurück und moniert, die Hilfsorganisationen würden die Güter ineffizient verteilen.

Im ägyptischen Rafah - die Stadt ist zwischen Ägypten und Gaza geteilt - verschaffte sich Guterres selbst ein Bild von der Lage, als er eine Kolonne von Lkws beobachtete, die auf die Einfahrt nach Gaza warteten. «Hier sehen wir das Herzzerreißende und die Herzlosigkeit von all dem», sagte er auf einer Pressekonferenz vor dem Grenzübergang. Auf der einen Seite der Grenze seien die blockierten Hilfsgüter zu sehen, «auf der anderen Seite der Schatten des Hungers». «Das ist mehr als tragisch, das ist eine moralische Schmach.»

Israelis demonstrieren für Geiseln und gegen Netanjahu

Tausende Menschen demonstrierten am Samstagabend in Israel für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen die Netanjahu-Regierung. In Tel Aviv riefen sie «Die Zeit läuft ab, bringt sie nach Hause!», wie israelische Medien berichteten. Die Demonstranten legten auf den Straßen im Zentrum der Küstenmetropole mehrere kleine Feuer und blockierten eine Hauptstraße.

Die Parolen richteten sich auch gegen Netanjahu, dem Kritiker vorwerfen, beim Krisenmanagement nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober auf den Süden Israels versagt zu haben. Zudem würde der Regierungschef das Schicksal der Geiseln den Notwendigkeiten seines politischen Überlebens unterordnen. Wie schon an den vorangegangenen Samstagen forderten sie den Rücktritt der Netanjahu-Regierung und Neuwahlen. Eine der Rednerinnen sagte: «Mein Cousin Ofer ist seit 169 Tagen ein Gefangener der Hamas. Und wir sind seit 169 Tagen Gefangene unserer Regierung.»

Mehrere Hundert Menschen demonstrierten am Samstagabend vor dem Amtssitz Netanjahus in Jerusalem. «Entscheidende Verhandlungen finden in diesen Tagen in Katar statt», sagte ein Redner, dessen Bruder unter den Geiseln ist. «Israels Regierung darf diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.».

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