Erste Flüchtlinge aus Berg-Karabach kommen nach Armenien

Armeen protestieren gegen das militärische Vorgehen Aserbaidschans in Berg-Karabach. Foto: epa/Narek Aleksanyan
Armeen protestieren gegen das militärische Vorgehen Aserbaidschans in Berg-Karabach. Foto: epa/Narek Aleksanyan

ERIWAN/BAKU: Tausende Armenier aus der Konfliktregion Berg-Karabach sind auf der Flucht. Die Regierung in Eriwan muss nun eine Möglichkeit finden, sie unterzubringen. Zugleich muss sie Proteste überstehen, die nach der Eroberung Karabachs durch den Erzfeind Aserbaidschan im Land toben.

Nach der Eroberung des Gebietes Berg-Karabach durch Aserbaidschan wächst die Zahl der nach Armenien flüchtenden Menschen schnell. Bis Montagmittag seien bereits 6650 Flüchtlinge registriert worden, teilte die armenische Regierung auf Facebook mit. Am Abend zuvor waren es noch etwa 1000 Menschen.

Die Regierung versprach allen Bedürftigen, sie mit entsprechendem Wohnraum zu versorgen. Der Bedarf von knapp 4000 Flüchtlingen sei bereits festgestellt worden, die Daten der übrigen würden noch geprüft, hieß es. Regierungschef Nikol Paschinjan hatte schon zuvor einen wachsenden Strom an Flüchtlingen vorausgesagt. Dieser wird seinen Angaben zufolge durch ethnische Säuberungen Aserbaidschans in Berg-Karabach provoziert.

Nach kurzen heftigen Angriffen des aserbaidschanischen Militärs vergangene Woche hatten die Verteidiger der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach im Südkaukasus vergangene Woche die Waffen strecken müssen. Aserbaidschan will nun die Macht übernehmen in der Region, die zwar auf seinem Staatsgebiet liegt, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird. Die Karabach-Armenier befürchten eine Vertreibung oder nach Jahrzehnten des Konflikts die Rache des autoritär geführten Aserbaidschans.

In Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert drängen sich nach den Angriffen Flüchtlinge auch aus anderen Teilen des Gebiets. Damit wurden in Stepanakert Lebensmittel und Medikamente noch knapper, als sie es nach Monaten der Blockade ohnehin sind. «Familien, die nach der jüngsten Militäroperation obdachlos sind und die aus der Republik ausreisen wollen, werden nach Armenien gebracht», versprach die Führung in Stepanakert am Sonntag. Dies werde in Begleitung russischer Truppen in der Region geschehen.

Vertreter Berg-Karabachs und Aserbaidschans trafen sich am Montag in Xocali (deutsch: Chodschali) unter Vermittlung der Russen ein zweites Mal. Das erste Treffen endete vor wenigen Tagen in der aserbaidschanischen Stadt Yevlax ohne greifbares Ergebnis. Über die Resultate des neuen Treffens ist noch nichts bekannt.

Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev versicherte, dass es keine ethnischen Verfolgungen der Armenier geben werde. Bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Recep Erdogan erklärte er, dass alle Bewohner Karabachs ungeachtet ihrer Nationalität als Aserbaidschaner gelten würden.

Aliyev und Paschinjan sollen am 5. Oktober im Rahmen des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im spanischen Granada für Gespräche zusammenkommen. In Vorbereitung dieser treffen sich Vertreter Armeniens, Aserbaidschans, Deutschlands, Frankreichs und der EU am kommenden Dienstag in Brüssel, wie die armenische Nachrichtenagentur Armenpress unter Berufung auf die Regierung am Sonntag berichtete.

Die Spannungen zwischen Armenien und seiner langjährigen Schutzmacht Russland wachsen. Moskau wies den von Paschinjan jüngst erhobenen Vorwurf zurück, die vor Ort stationierten russischen Soldaten hätten die Karabach-Armenier nicht so geschützt, wie das nach dem letzten Karabach-Krieg 2020 vereinbart worden sei. Dies sei «ein Versuch, die Verantwortung von Desastern in der Innen- und Außenpolitik von sich abzuwälzen und die Schuld auf Russland zu schieben», hieß es in einer Erklärung des russischen Außenministeriums am Montag.

Tatsächlich sieht sich Paschinjan auch wegen der Niederlage im Karabach-Konflikt mit Massenprotesten im eigenen Land konfrontiert. Am Montag gingen in Eriwan erneut viele Menschen auf die Straße. Sie errichteten dabei auch Straßensperren. Nach Angaben der Behörden wurden bis zur Mittagszeit etwa 170 Menschen in Polizeigewahrsam genommen. Für den Abend waren weitere Demonstrationen angekündigt.

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