Eine mythische Pflanze

Die Lotosblume ist das Sinnbild des Buddhismus in Reinkultur

Die Lotosblume ist ein Seerosengewächs
Die Lotosblume ist ein Seerosengewächs

Von Wilfried Stevens

Wir begegnen der Lotosblume jeden Tag in Thailand. In unzähligen Teichen, Seen und Kanälen sieht man die edle Lotospflanze mit ihren prachtvollen Blumen. Selbst in schlammigen und schmutzigenTümpeln bildet sie einen angenehmen Kontrast im Landschaftsbild. Jeden Tag werden Tausende Lotosblumen in den zahlreichen Wats in Thailand geopfert.

Die Lotosblume gilt als Inbegriff einer mythischen Pflanze. Nach altindischer Kosmologie ist der Lotosstängel die aus den Urwassern aufsteigende Weltachse, auf der die Erde ruht. Die Blume giltin vielen Teilen Ostasiens sogar als Symbol des Absoluten, der Wiedergeburt, der Reinheit und Vollkommenheit, sie ist das Sinnbild des Buddhismus in Reinkultur.

Der Legende zufolge wurde Buddha auf einer Lotosblume geboren. Es gibt deshalb auch unzählige Buddha-Abbildungen, wo Buddha auf einem Lotosblatt im so genannten Lotossitz meditiert.

So wie sich die Lotosblume aus dem Grund schlammiger Teiche und Seen rein und unbefleckt entfaltet, so soll sich auch die Seele des Menschen aus dem Staub der materiellen Welt in die reineWesenslosigkeit des Nirwana erheben. So lautet die Philosophie des Buddhismus.

An dem im Schlamm kriechenden Wurzelstock stehen auf 1 - 2 m langen Stielen die 20 - 40 cm grossen blaugrün bereiften, flach trichterförmigen, rundenBlätter. Die Blätter sind mit einer Art Wachsschicht überzogen, was den Blättern ein mattes Aussehen verleiht. Die Pflanze besitzt somit ein Schildblatt, an dessen wachsüberzogenenAussenflächen die Wassertropfen wie kleine Quecksilberkugeln abrollen.

Lotos hat auch profane Werte. Sein Wurzelstock kann getrocknet und zu Mehl verarbeitet werden oder in Scheiben zerschnitten und auf verschiedene Weise zubereitet werden. Die Wurzeln sollensogar in früheren Zeiten zu einer Medizin verarbeitet worden sein.

Selbst die Samen sind essbar

Die Blätter dienen als Tee, zum Frischhalten von Nahrungsmitteln oder früher sogar als Kopfbedeckung. Man isst die Stängel gekocht oder roh. Die Samen sind ebenfalls essbar. Entweder werden siegetrocknet geknabbert oder als kandierte Nüsse verzehrt.

Warum perlen die Wassertropfen wie Quecksilber ab und warum bleiben die Blätter der Lotosblume immer sauberer als bei anderen Pflanzenarten

Diese Frage beschäftigte auch Wissenschaftler in Deutschland. Man stellte immer wieder verblüfft fest, dass Lotosblätter anscheinend immun gegen Verunreinigungen sind.

An der Oberfläche der Blätter perlt das Wasser ab, und die Tropfen nehmen jeden Schmutz mit. Alles fliesst, sagten schon die altindischen Weisen.

In einer Versuchsreihe haben Wissenschaftler die Blätter mit Staub, Russ, Bakterien, Algen und sogar mit Klebstoff, Pilzsporen und Farbe beschmutzt. Man bespritzte die Blätter mit Wasser, undsiehe da, jegliche Verunreinigung perlte mit dem Wasser ab. Die Blätter bleiben, gegenüber den Blättern anderer tropischer Pflanzen, immer sauber.

Eine Pflanze mit Selbstreinigungseffekt. Wieder einmal gibt uns die Natur ein verblüffendes und praktisches Beispiel - wie schon so oft.

Dem Geheimnis auf die Spur kam der deutsche Botaniker Wilhelm Barthlott vom Botanisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn per Zufall. Er untersuchte verschiedenePflanzen unter dem Rasterelektronenmikroskop, um aus den Oberflächenstrukturen mögliche Verwandtschafts verhältnisse zu ermitteln.

Wenn er einige Pflanzen aus dem Gewächshaus holte, wunderte er sich immer wieder, warum ausgerechnet die Lotosblätter aussahen wie frisch gewaschen, während andere Pflanzen unter gleichen Bedingungen mit Lehm- und Kalkflecken beschmutzt waren.

Diese Entdeckung machte ihn neugierig. Nach einem genaueren Vergleich unter dem Mikroskop konnte Barthlott das Rätsel lösen. Die Lotosblätter haben auf ihrer Oberfläche winzige, 20 Mikrometerkleine noppenartige Wachskristalloide.

Weil die genoppte Oberfläche mit Tausenden von Zwischenräumen wenig Haftung bietet, perlen Tropfen und Schmutzteilchen sofort ab. Diese Erkenntnis verblüffte den Botaniker und die Wissenschaft.

Gegen jede bisherige Lehrmeinung fand man nun heraus, dass nicht möglichst glatte, sondern mikroskopisch rauhe Oberflächen unverschmutzbar sind. Die sensationelle Entdeckung wird Lotos-Effektgenannt, und eröffnet geradezu ungeahnte Möglichkeiten:

Ob verschmutztes Geschirr, verunreinigte Toiletten oder Waschbecken, ob Dreck auf Autos und Fenstern, Graffiti an Hauswänden, Russ auf Steinen - wenn die Oberfläche extrem fein genoppt wäre,könnte ein kurzer Wasserstrahl alles wegspülen, ohne dass man zu einem umweltschädlichen Reinigungsmittel greifen müsste.

Das Team um Wilhelm Barthlott, das dieses Millionen Jahre alte Patent der Natur mit neuen Werkstoffen nachahmte, musste seine Entdeckung der Industrie allerdings förmlich aufdrängen, eheverstanden wurde, um was es geht. Denn die Industrie hatte in Sachen Schmutzresistenz bislang immer nur an glatten Oberflächen gearbeitet und keinen wesentlichen Durchbruch mehr erreicht. Dochdies scheint sich jetzt zu ändern.

Demnächst kommen Farblacke und Fassadenanstriche auf den Markt, die immer schneller sauber bleiben. Abspritzen mit Wasser - und die Fassade muss bei Verschmutzungen nicht mehr überstrichenwerden. Auch Hersteller von Waschbecken und Badewannen wollen ihre Produktion bald umstellen. Die zögerliche Autoindustrie hält sich noch bedeckt, da bisherige Lackmikrostruktur-Oberflächen nurbei matten Lacken funktioniert. Man fürchtet mangelndes Kaufinteresse bei den Spiegellack verwöhnten Kunden. Zudem würde die Autowaschanlagen-Industrie und Autowaschmittel-Industrie immenseMillionenverluste einfahren, da dann der Bedarf erheblich reduziert werden könnte. Die Umwelt wird es danken.

<brEndlich mal eine Entdeckung, die publik und nicht aufgekauft wurde, um wieder in einer Schublade zu verschwinden. "Thailand-Autor Wilfried Stevens" reist seit zwei Jahrzehnten nach und durch Thailand. Der 44-jährige lebt mit seiner thailändischen Frau und den drei Kindern in Düsseldorf. Mit seinem Freund Axel Ertelt hat er zwölf Jahre erfolgreich das Siam-Journal herausgebracht. Seit 15 Jahren schreibt er über Thailand. Schreiben ist sein Hobby, deshalb
sieht er sich auch nicht als Fachautor: „Ich habe sicherlich einiges gesehen und erlebt, aber nicht alles gesehen. Ich lerne laufend hinzu.” Der FARANG wird künftig vom deutschen Thailand-Autor
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