Du sollst nicht lügen!

Du sollst nicht lügen!

Dieses Gebot einzuhalten ist nicht nur schwierig, es ist einfach unmöglich. Jeder von uns lügt täglich. Das beginnt schon, wenn wir einem unfreundlichen Menschen aus der Nachbarschaft einen „Guten Tag“ wünschen – um des lieben Friedens willen – den wir eigentlich zum Teufel wünschen.

Zu spät zur Arbeit gekommen: Der Wecker hat nicht geklingelt. Um eine Verabredung nicht einzuhalten: Sorry, aber es geht mir heute leider nicht gut. Das sind kleine Notlügen, aber die Lüge hat mehr Kinder, als die nachwachsenden Köpfe der Hydra. Wenn ein Freund mich fragt, wie ich sein abscheulich aussehendes neues Hemd finde und ich antworte: „Sehr chic“, dann wird das den Freund wahrscheinlich erfreuen. Es ist trotzdem eine überflüssige Lüge und sogar verwerflich, weil sie den Freund daran hindert seinen schlechten Geschmack zu erkennen. Jede Lüge ist zugleich eine absichtliche Täuschung oder Manipulation mit dem Ziel, beim anderen etwas zu erreichen, gut dazustehen oder man will einfach keinen Ärger haben. Kürzlich traf ich in Deutschland einen alten Bekannten. Ich fragte ihn ob er in Urlaub war, weil er so gebräunt aussah. Ohne lange zu überlegen antwortete er: „Ja, wir waren in Italien.“ Zufällig begegnete mir kurz darauf seine Frau und klagte: „Dieses Jahr können wir leider nicht in Urlaub fahren. Stattdessen hat mein Mann sich eine Sonnenbank gekauft.“ Lügen erfordert Intelligenz und ein gutes Gedächtnis. Wer sich an seine Lügen nicht ständig erinnert, der verplappert sich leicht.

Dann heißt es: Lügen haben kurze Beine. Das Gegenteil von Lüge ist nicht Wahrheit, sondern Wahrhaftigkeit. Man kann z. B. etwas Falsches behaupten, weil man sich geirrt hat. Aber das lässt sich per Google schnell auflösen. Vor Gericht darf man auch lügen, um sich nicht selbst zu belasten. Sollte diese Aussage sich jedoch als falsch erweisen, muss man mit einer Bestrafung rechnen. Unser Leben wird von Lügen begleitet und ist deshalb schwierig. Wie erkenne ich einen Lügner? Wann muss ich lügen, um mich aus einer schwierigen Situation zu befreien? Wie oft sind wir schon betrogen worden? Wie oft haben wir andere betrogen? Ein Beispiel: Er küsst seine Frau, beteuert noch einmal, wie sehr er sie liebt und entschwebt statt zum Kegelabend zu seiner neuen Sirene. Er lügt nicht nur, er täuscht gleichzeitig und würdigt sie und sich selbst ab.

Wenn Nietzsche sagt, wir lügen von morgens bis abends, dann hat er nicht nur recht, dann spricht er über die Wahrhaftigkeit der Menschen, die den Unterschied zwischen all ihren täglichen Lügen und der Wahrhaftigkeit längst verloren haben. Aber das führt uns zur Gegenfrage: Wäre unser Leben ohne Lüge besser? Wenn wir ohne Rücksicht unsere Meinung frei sagen würden? Wären wir in dem Fall nicht von unzähligen Feinden umgeben? Würde uns das nicht wieder zurückführen in den innersten Clan unseres Lebens? Okay, auch in den Familiengibt es massenweise Streit und Lügen. Die Gerichte sind überhäuft von Erbschaftsstreitereien unter Familienangehörigen. Hier wird fast genauso gelogen wie auf Beerdigungen. Wie kann man sich dem entziehen? Wer sich zurückzieht, alle Kontakte abbricht, der ist nur noch mit seiner eigenen Lebenslüge konfrontiert. Sie entscheidet letztlich, ob ein Leben gelungen ist. Wer vor sich selbst zugeben muss, dass er sein Leben lang ein Arschloch war, der wird schwerlich an ein glückliches Leben denken. Ob da noch schnell ein paar Spenden an hilfsbedürftige Organisationen helfen, wage ich in Frage zu stellen.

Einmal Arschloch immer Arschloch, oder wie wir in Deutschland sagen: Wer einmal lügt, dem traut man nicht. Dummes Zeug! Jeder hat die Chance, sein Leben zu ändern, anderen zu helfen oder als Zeuge vor Gericht der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Das ändert allerdings nichts an der Behauptung, jeder Mensch lügt, aus welchen Gründen auch immer. Ob mein Vermieter mir zu viele Nebenkosten berechnet oder ob jemand ein wertloses Objekt für viel Geld verkauft, immer ist es eine Lüge, eine Täuschung. Und immer ist es das, was unseren Alltag ausmacht: Wir betrügen und lügen, oder wir werden betrogen und belogen. Ich kann nicht erkennen, wie dieses gegenseitige Spiel endet. Aber ich weiß, dass die Lüge in diese Welt kam, als die ersten Menschen sich auf der Erde breit machten. Das hat sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Erinnern Sie sich noch an die Worte des damaligen DDR-Vorsitzenden: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Aber da waren die Materialien schon bestellt und die Arbeiter engagiert. Wir wollen nicht lange drum herumlügen, ohne Lüge wäre unser Leben schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Wer würde denn nicht böse werden, wenn die Nächsten ihm ihre Meinung über ihn klar sagten? Nein, wir leben mit der Lüge, und wir brauchen sie auch zu unserem Schutz. Sollte es einmal eine Generation der Roboter geben, auf deren Stirn geschrieben steht: Ich liebe dich oder ich hasse dich, dann beginnt der eigentliche Krieg der Menschen ohne Lüge. Wenn jeder weiß, was der andere von ihm hält dann „Gute Nacht“! Dann geht nicht nur das Licht aus, dann bringt jeder jeden um. Dafür brauchen wir nicht einmal die Natur. Das erledigen die Menschen unter sich. Von den Lügen, die viele Politiker uns täglich einzureden versuchen, will ich hier gar nicht reden. Sie sind das Paradebeispiel dieser Kolumne. Leider wachsen ihnen keine kurzen Beine.

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Kurt Wurst 24.08.20 22:46
Für den Beschuldigten
bzw. Angeklagten ist das einfach. Er muss weder die Wahrheit sagen, noch kann er vereidigt werden und demzufolge auch nicht bestraft werden. Für Zeugen stimmt's.
Ling Uaan 24.08.20 22:18
Tja wenn es denn so einfach wäre
Die Gesetze enthalten in der Tat keine Wahrheitspflicht für den Beschuldigten. Aber es ist im Gesetz auch kein Recht zur Lüge als Beschuldigter verankert.

Juristen, Philosophen, Politiker usw. streiten dazu unentwegt. Die entsprechenden Kommentare füllen Regale. Da ist schon mal die grundsätzliche Frage was ist wahr und was falsch (oft Aussage gegen Aussage), deshalb ist man ja oft vor Gericht und der Richter muss es letztendlich klären.
Sollte man sich in diese Untiefen wagen, dann nur mit Anwalt denn die Verstehen das Handwerk. Und spätestens unter Eid ist sowieso Schluss mit Lustig.

Vor Gericht unterscheidet man zwischen uneidlicher Falschaussage und Meineid. Der Meineid gilt im Strafrecht als die schwerwiegendere Straftat. Der Grund: Hierbei handelt es sich nicht nur um eine wissentlich falsche Aussage – sondern um eine falsche Aussage unter Eid. Sprich: Der Angeklagte hat geschworen, die Wahrheit zu sagen, und sich dennoch falsch geäußert.

Über das Strafmaß gibt das Strafgesetzbuch (StGB) Auskunft. Bei falscher uneidlicher Aussage drohen laut § 153 StGB Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Für die Falschaussage unter Eid – den Meineid – ist laut § 154 StGB ein Jahr Freiheitsstrafe das Minimum. „Damit wird dieser Straftatbestand als Verbrechen eingeordnet“. Die höchstmögliche Strafe für die falsche Angabe unter Eid liegt laut Strafrecht sogar bei 15 Jahren Freiheitsentzug.
Kurt Wurst 24.08.20 18:17
Richtig und Falsch @ Ling Uaan
Der Angeklagte darf straffrei lügen. Seine nachgewiesenen Lügen dürfen nicht einmal bei einer eventuellen Strafbemessung berücksichtigt werden. Ihre Aussage betreffen lediglich Zeugen.
Marcel Edouard Petter 23.08.20 14:02
Neulich bei Facebook
"Du sollst nicht lügen, nicht stehlen und nicht betrügen - Die Regierung duldet keine Konkurrenz."
Ling Uaan 23.08.20 12:22
Na sowas
"Vor Gericht darf man auch lügen, um sich nicht selbst zu belasten." --> Falsch! Darf man nicht!
Vor Gericht, der Polizei, etc. darf man die Aussage verweigern, um sich oder nahe Verwandte nicht zu belasten.
Stichwort: Aussageverweigerungsrecht und Zeugnisverweigerungsrecht
Andere Aussagen dieses Artikels sind auch zumindest Fragwürdig aber nicht so einfach zu widerlegen. Und würden den Rahmen eines Leserkommentar definitiv sprengen.