Vor wenigen Tagen hat der deutsche Bundestag den Holocaust-Gedenktag begangen, 76 Jahre nach der Befreiung der Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die rote Armee.
Viele Deutsche haben die Vergangenheit verdrängt. Viele wollen nichts mehr hören und sehen von der schlimmsten Zeit, die Deutschland erlebt hat. Es nervt sie, wieder einmal einen Film oder eine Fernsehsendung über das sogenannte 3. Reich vorgesetzt zu bekommen. Sie haben es satt, hatten meistens ja auch nichts damit zu tun oder wie Bundeskanzler Kohl es ausdrückte: sie verdankten es „der Gnade der späten Geburt“. Es waren ihre Eltern oder Großeltern, die entweder für oder gegen das Nazi-Regime waren. So wie meine Eltern, die Mutter total dagegen, der Vater im inneren Widerstand. Er hat es nur zum Gefreiten gebracht. Er wollte nicht mehr werden in Nazi-Deutschland. Meine Eltern wussten, dass Juden abtransportiert wurden. Nähere Informationen hatten sie nicht. Aber sie dachten sich wohl ihren Teil. Als 1945 die Wahrheit ans Licht kam, gab es viele Menschen, die diese Wahrheit nicht glaubten, nicht wahrhaben wollten. Sie behaupteten, diese Bilder seien gefälscht, obwohl viele deutsche Bürger von den Alliierten gezwungen worden waren, dieses grauenvolle Ergebnis in den Lagern anzusehen und zu dokumentieren. So wie es heute noch Menschen gibt, die die erste Mondlandung für eine Fiktion halten, so gibt es auch heute noch Menschen, die dieses KZ-Elend bestreiten. Haben diese Leute die Überlebenden nie gesehen? Haben sie nie die KZ-Nummer auf dem Unterarm der Leute gesehen, die das Grauen dieser Lager überlebt haben? Ich bin davon überzeugt, dass die Erinnerung an diese Zeit unbedingt erhalten bleiben muss. Gerade in einer Zeit, in der Rechtsradikalismus wieder Verbreitung erfährt. Unser Credo heißt immer noch: „Nie wieder! Nie wieder Rassismus, nie wieder Vertreibung, nie wieder Diktatur!“
Einige Überlebende der KZs sind bis heute in Schulen oder anderen Gruppen unterwegs, um über die Grausamkeiten, denen sie ausgesetzt waren, Zeugnis abzulegen. Es ist wichtig, diese Zeit nicht zu vergessen. Aus dieser Zeit müssen wir Erkenntnisse ziehen, die uns zu neuen Einsichten führen. Das beginnt damit, dass wir dem Rechtsradikalismus entgegentreten. Das geht weiter, indem wir Parteien und Organisationen unterstützen, die sich für weltweite Abrüstung und Frieden engagieren. Unser Ziel ist eine Welt, die sozial und friedlich ist und allen Menschen die gleichen Chancen bietet. Mag sein, dass dieser Wunsch zurzeit noch utopisch klingt, aber er ist ein Langzeitwunsch. Wenn wir die Welt retten wollen, dann gelingt es nur, wenn alle, die sich diesem Ziel verpflichtet fühlen, gemeinsam dafür arbeiten. Natürlich werden diese Träumer und Idealisten dafür belächelt und verspottet. Nur mit diesen Zielen wird die Welt überleben.
Wir erleben seit einem Jahr große Herausforderungen. Die weltweite Corona-Pandemie bedroht alle Länder und Kontinente. Nur gemeinsam werden wir dieses Virus besiegen. Auch wenn Corona das Thema der KZ-Gräuel überdeckt hat, sollten wir es doch im Gedächtnis bewahren und was es ausgelöst hat. Die allermeisten dieser Lager-Schinder sind inzwischen verstorben. Aber es sollen auch keine nachwachsen mit dieser Ideologie.
Ich sage es immer wieder, wir wollen eine Welt ohne Diktatur, eine Welt, in der jeder Bürger seine Freiheit ausleben kann, ohne andere in ihrer Freiheit einzuschränken. Wir wollen eine Welt ohne Hunger und Durst, eine Welt, in der alle Menschen Anspruch auf Bildung haben. Wir werden dafür kämpfen. Es ist das Testament des 2. Weltkrieges, und es ist die Erkenntnis aus den Todeslagern. Vielleicht führen die Einschränkungen, die uns allen auferlegt sind, um das Corona-Virus auszuschalten, zu der Einsicht, dass wir zukünftig sorgsamer miteinander umgehen.