Ziel von 1,5 Grad nicht realistisch

Mehr Klimaschutz nötig

Foto: Christophe Gateau/dpa
Foto: Christophe Gateau/dpa

HAMBURG: Ungeachtet von Abkommen, Gesetzen und Protesten für das Klima wird die globale Temperatur um mehr als 1,5 Grad steigen. Das sagen Hamburger Sozial- und Klimawissenschaftler. Die Schuld sehen sie bei Konsumenten und Unternehmen, aber auch bei Medien.

Das Klimaziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist nach Ansicht von Hamburger Wissenschaftlern unrealistisch. «Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ist derzeit nicht plausibel», heißt es in einer Mitteilung der Universität Hamburg zum «Hamburg Climate Futures Outlook 2023».

Für die am Mittwoch vorgestellte Studie haben rund 60 Sozial- und Naturwissenschaftler in einem interdisziplinären Team zehn gesellschaftliche, klimarelevante Faktoren untersucht. Dazu zählen die UN-Klimapolitik, die Gesetzgebung zum Klimaschutz, Proteste, soziale Bewegungen, transnationale Initiativen, Klagen vor Gericht, Konsumverhalten, den Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft, die Wissensproduktion und die Medien.

Es sei einiges in Bewegung gekommen, heißt es. Doch vor allem das Verhalten von Konsumenten und Unternehmen bremse den weltweit dringend notwendigen Klimaschutz. «Die notwendige umfassende Dekarbonisierung verläuft einfach zu langsam», erklärte die Leiterin des Exzellenzclusters «Klima, Klimawandel und Gesellschaft» (Cliccs), Anita Engels. Dekarbonisierung bedeutet die Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen.

Auch die Medien verhalten sich nach Ansicht der Autoren ambivalent: Mal unterstützten sie das Ziel einer CO2-neutralen Gesellschaft, mal unterminierten sie es. Engels sieht dabei den professionellen Journalismus eher positiv. Anders als in den USA verzichteten Medien in Europa zunehmend auf ein «Ausbalancieren» zwischen der Mehrheitsmeinung der Wissenschaft und «randständigen» Stimmen. «Das ist ein sehr wichtiger Punkt», sagte die Soziologin am Mittwoch. In sozialen Medien fänden sich dagegen viele Fake-News, vor allem Autoren aus dem rechten Spektrum verbreiteten unzutreffende Berichte.

Die physikalischen Prozesse wie der Verlust des arktische Meereises, das Schmelzen der Eisschilde und die regionalen Klimaveränderungen halten die Wissenschaftler zwar für gravierend. «Auf die globale mittlere Temperatur bis 2050 hätten sie aber kaum Einfluss», hieß es. «Es gibt für das Schmelzen des arktischen Meereises keinen Kipppunkt», sagte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke. Eis bilde sich neu, wenn es kälter werde.

Durch das Schmelzen des Eises entstehe zwar eine dunklere Oberfläche, die sich theoretisch im Sonnenlicht mehr erwärme. Ein Blick aus dem All auf die Erde zeige aber: Wolken schirmten das Meer oft ab. Der Rückkopplungseffekt auf das Klima sei viel geringer als angenommen. «Die globale Auswirkung (auf das Klima) ist sehr gering», sagte Marotzke.

Entscheidend für eine Eindämmung der Erderwärmung ist nach Auffassung der Wissenschaftler der soziale Wandel. Der reiche bislang nicht aus. «Wir sind nicht mal in Ansätzen auf dem richtigen Pfad», sagte Engels. Die staatlichen Investitionen, um die Folgen der Corona-Krise und des russischen Einmarsches in die Ukraine abzumildern, hätten die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen noch verfestigt. «Verfehlen wir die Klimaziele, wird es umso wichtiger, sich an die Folgen anzupassen», betonte die Soziologin. Dennoch müssten die Bemühungen um Klimaschutz weitergehen. Jedes halbe Grad globaler Klimaerwärmung sei wahrnehmbar, warnte Marotzke.

Von «Kipppunkten» hält der Physiker aber nichts. «Dieser Begriff ist so aufgeweicht, dass er als wissenschaftlicher Begriff nicht mehr taugt», sagte Marotzke, der auch Mitautor der jüngsten Berichte des Weltklimarats (IPCC) war. Die Entwicklung der globalen Temperatur hänge sowohl von den Emissionen als auch von der Reaktion des Klimas darauf ab.

Diese Rückkopplungen zeigten die Klimasensitivität. So sei etwa die Furcht vor einem Tauen des Permafrostes komplett unbegründet. Eine erwärmte Erdatmosphäre strahle auch mehr Energie in den Weltraum ab. Dieser Effekt sei 40-mal so stark wie der Klimaeffekt des Methans, das beim Tauen des Permafrosts frei werde.

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Thomas Sylten 02.02.23 19:30
@Heller
Wer in Trump'scher Manier längst bewiesene Fakten leugnet, stellt sich außerhalb eines sinnvollen Diskurses - es macht einfach keinen Sinn, mit Ignoranten und VT'lern zu diskutieren, die nicht an Aufklärung und Wahrheit interessiert sind, sondern an der Durchsetzung ihres FALSCHEN Dogmas, um sich notwendiger Verhaltensänderungen zu entziehen. Das ist unverantwortlich den zukünftigen Generationen gegenüber und einfach kein erwachsenes Verhalten, sondern ego-bezogene Bockigkeit, die zur Freude der Carbonindustrie nur ablenkt von dem, was jetzt zu tun wäre.

Carbon-Industrie und von ihr gesponsorte Regierungen sind freilich dankbar für diese Schützenhilfe, da sie so weiterhin ihre korrupten Milliardengeschäfte mit Klimaschädigung machen können.
Jürgen Franke 02.02.23 19:10
Jedem Menschen, der sich mit diesem Thema
intensiv befaßt hat, weiß, dass das tägliche Wetter mit dem Klima der Welt nichts zu tun hat. Da jedoch mit der Klimaproblematik wieder sehr viel Geld zu verdienen ist, wird die Politik dieses Thema weiter anheizen. Ich erinnere mich, dass bereits vor 50 Jahren der Weltuntergang vorausgesagt wurde. Damals blieb es bei autofreien Sonntagen. Ein anderes Thema ist die Verschmutzung der Umwelt insbesondere der Meere von den Menschen.
Hans-Dieter Volkmann 02.02.23 19:10
Frank Heller 1,5 Grad
Herr Heller, ihr Kommentar und der Bezug auf einen "ambitionierten Klimaforscher" ist nichts wert. Es bedarf schon nachvollziehbare und naturgesetztreue Hinweise für eine solche Behauptung.
Thomas Sylten 02.02.23 16:50
@Ingo
Es sind zwar "die Menschen", die so widersprüchlich handeln - aber meist nicht DIESELBEN Menschen. Soviel muss man schon differenzieren - auch dass ein nicht-angetretener Bali-Flug den Klimawandel aufhalten könnte, gehört eher in den Bereich des Bashings der jungen Generation, die sich ja vollkommen zu Recht Sorgen um ihre Zukunft macht.

Solche nonchalante Relativiererei bringt uns da nicht weiter -
schon eher die Feststellung, dass nicht individuelle Gutwilligkeit und vereinzelte Askese das Problem lösen können, sondern klare gesetzliche Vorgaben nötig wären, nach denen sich nicht nur "Gutmenschen", sondern eben ALLE zu richten hätten. Denn nur kollektive Verhaltensänderungen können das Steuer noch rumreißen - andernfalls gehen wir den Weg aller Spezies, die sich nicht rechtzeitig anpassen konnten.
Ingo Kerp 02.02.23 13:20
Wenn sog. Klimaretter sich nach erfolgtem Protest in einen Langstreckenflug nach Bali setzten, um Urlaub zu machen statt zum Gerichtstermin zu erscheinen, dann dürfte deren Glaubwürdigkeit am Boden zerstoert sein. Wasser predigen und Wein trinken, nennt man sowas.