Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Die Presse»: Hass und überbordende Emotionalität sind nicht gut

WIEN: Nach dem Suizid einer Ärztin in Österreich, die von Impfgegnern und Corona-Leugnern bedroht wurde, schreibt die österreichische Zeitung «Die Presse»:

«Unter dem Deckmantel der Impfgegner und Corona-Leugner fanden viele zusammen, die prinzipiell und gerne gegen die Obrigkeit aufbegehren, da kamen jene hinzu, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrückt und zu wenig gehört fühlen, die Wohlstandsverlierer, Menschen, die tatsächlich Existenzängste haben. Und sehr viele Rechte, die mit der Destabilisierung der Gesellschaft ihr Geschäft betreiben. (...)

Der Hass und diese überbordende Emotionalität sind nicht gut. Zügeln wir die Wut, gehen wir aufeinander zu - wo es geht. Hören wir einander zu, versuchen wir, einander zu verstehen. Manchmal geht das nicht. Es gibt Grenzen. Da darf es keine Toleranz geben. Auch da sollten wir ganz klar ein.»


«Süddeutsche Zeitung» zu Artenschutz gegen Klimaschutz

Artenschützer und Klimaschützer stehen sich häufig ähnlich feindselig gegenüber wie Coronaleugner und Impfbefürworter.

Den einen sind Windräder ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende, den anderen eine Art Mordmaschinerie für Vögel. Aber statt sich erbittert zu bekämpfen, müssen sich beide Seiten aus ihrer jeweiligen Blase befreien, das große Ganze sehen und Kompromisse eingehen. Wenn sie das nicht schaffen, kommt man beim Kampf gegen die Zwillingskrisen nicht voran. Anders geht es nicht. Und viel Zeit bleibt nicht mehr.


«Münchner Merkur» zu AKW-Betrieb

Zur AKW-Verlängerung gibt es nun Gutachten, Gegengutachten und Greenpeacegefälligkeitsgutachten.

Es sind Nachwehen einer Schlacht, die bereits entschieden ist: In dieser beispiellosen Krise kann es sich das Land vorerst nicht leisten, auf den Weiterbetrieb zu verzichten. Noch wird gerungen, ob man das «Streckbetrieb» tauft oder anders, jedenfalls ist es angemessen, damit über ein, zwei Winter die Gas-Verstromung zu ersetzen. Die Grünen-Spitze hat sich in der Frage bewegt. Nun braucht es ein kluges Konzept: welche Kraftwerke, welche Laufzeiten? Teil davon darf sein, sich die Gewinne der Energiekonzerne anzuschauen, die durch einen Weiterbetrieb der vollständig abgeschriebenen Meiler entstehen. Wären sie exorbitant, hunderte Millionen Euro etwa, darf der Staat in diesem konkreten, außergewöhnlichen Einzelfall über ein Abschöpfen debattieren.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Ukrainekrieg

(...) Jetzt mehren sich die Zeichen, dass Moskau auf eine weitere Brutalisierung setzt.

Wenn für die zweite Phase treffend vorausgesagt wurde, sie werde (als große Artillerieschlacht) «blutiger» sein als die erste, so droht die dritte Phase nun «schmutziger» zu werden. Die Tötung von etwa 50 unter russischer Oberaufsicht stehenden ukrainischen Kriegsgefangenen am Freitag, aus russischer Sicht durch ukrainischen Raketenbeschuss, könnte eines dieser Signale sein. (...) Auch ein entsetzliches Video, in dem offenbar ein russischer Soldat einen ukrainischen Gefangenen kastriert, gehört zur irregulären Kriegführung. Da wundert es nicht, dass der ukrainische Präsident Selenskyj jetzt die Evakuierung des noch freien Teils des Donezker Bezirks ankündigt. (...) Kann dieser Krieg noch brutaler werden? Ja, das ist möglich.


«Stuttgarter Zeitung» zu nachlassenden Aufmerksamkeit für den Ukrainekrieg

Es wird sich vermutlich nicht verhindern lassen, dass der Ukraine ein ähnliches Aufmerksamkeits-Schicksal droht, das auch schon andere Kriegsgebiete erfahren haben.

Was aber nicht passieren darf, ist, darüber Ursache und Wirkung zu verwechseln. Die eigene Nebenkostenabrechnung steigt nicht so gewaltig, weil sich ukrainische Soldaten gegen einen unbarmherzigen Angreifer wehren. Die Butterpreise klettern nicht, weil die Menschen zwischen Odessa und Charkiw für ihre Freiheit kämpfen. Daran immer wieder zu erinnern, wird eine der wichtigsten Aufgaben, die seriöse Medien in der Zukunft zu bewältigen haben. Sich daran erinnern zu lassen, ist die noch wichtigere Aufgabe all jener, denen die Welt nicht völlig egal ist.


«Handelsblatt» zu Ausbildungsmisere in Deutschland

Die enorme Kreativität, die viele Unternehmen derzeit entwickeln, um den Gas- und Energieverbrauch zu drosseln, wäre auch in der Ausbildung bitter nötig.

Es hilft ja alles nichts. Deutschland muss die ausbilden, die wir haben. Aber allein 2021 sind 230.000 Schulabgänger im «Übergangssystem» gelandet, statt gleich eine Lehre zu beginnen. Und es gibt heute 2,3 Millionen Hilfsarbeiter zwischen 20 und 34. Denn inzwischen bildet nicht einmal mehr jeder fünfte Betrieb aus. Es gibt Migranten, die trotz gutem Abschluss keine Lehrstelle finden. Junge Frauen werden in so manchem Betrieb noch immer nicht genommen, weil der Boss keine Lust hat, eine Damentoilette einzubauen oder der Belegschaft den Respekt vor Frauen beizubringen. Viel zu lange haben die Arbeitgeber viel zu viele Jugendliche als «nicht ausbildungsreif» abgeschrieben. (...) Wie lange wollen wir noch zusehen, wie der Fachkräftemangel zum Würgeengel der deutschen Wirtschaft wird?.


«Corriere della Sera»: Putin will keine Verhandlungen

ROM: Zu den Plänen von Kremlchef Wladimir Putin im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg in der Ukraine schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Sonntag:

«Russland sagt, auf die Sanktionen zu reagieren, die ihm nach der Eroberung der Ukraine auferlegt wurden und die es als Ausdruck von Russophobie betrachtet. Uns hingegen scheint, dass dieses Russland gerade eine neue Revolution vorbereitet, die ganz anders ist als die der Vergangenheit. Es erhebt sich gegen die Marktwirtschaft in dem Glauben - und das ist nicht ganz unwahr -, dass es das Herz und die Lunge unseres Körpers ist. (...) Wir wissen jetzt, dass das Land, das Putin wollte, ein imperialer Staat ist, der bereit ist, seine Ambitionen zu verwirklichen, indem er zu den Waffen greift. Putin mag keine Verhandlungen, weil er davon überzeugt ist, dass es nur dann um einen Sieg handelt, wenn er mit Waffen errungen wird.

Wir leben Putin zufolge in einer revolutionären Ära, in der sich der Westen auf Kosten anderer Länder bereichert. Da ist er nicht der einzige. Die Welt ist immer voller von ehrgeizigen Politikern und Staaten, die ihre Grenzen erweitern wollen. (...) Wir glaubten, auf dem Weg zu einer internationalen Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre Streitigkeiten mit gesundem Menschenverstand zu lösen, außerordentliche Fortschritte gemacht zu haben, und stattdessen fallen wir gerade wieder zurück in eine Welt, in der Verträge mit Blut und nicht mit Tinte unterzeichnet werden.»


«The Independent»: Premierminister mit Demokratiedefizit

LONDON: Zur Entscheidung der Mitglieder der Konservativen Partei über die Nachfolge von Premierminister Boris Johnson meint der Londoner «Independent» am Sonntag:

«Die Briten verstehen die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie. Sie wissen, dass wir kein Präsidialsystem haben und dass sich die Autorität des Premierministers aus einer Mehrheit im Unterhaus ergibt. Sie wissen, dass derjenige, der zum Vorsitzenden der Konservativen Partei gewählt wird, über eine Mehrheit im Parlament verfügen wird und die Regierung somit weiterhin verfassungsgemäß und demokratisch geführt werden wird.

Eine Mehrheit der Bevölkerung - 56 Prozent laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Savanta - ist jedoch der Meinung, dass unmittelbar nach der Wahl des neuen Premierministers Parlamentswahlen abgehalten werden sollten. Hierfür gibt es gute Gründe. (...) Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, nicht zuletzt, weil der Zustand der Wirtschaft dies zu einem gefährlichen Unterfangen für den neuen Premierminister machen würde. Aber sie oder er wäre gut beraten, sich des Demokratiedefizits, das in diesem Fall mit dem Amt einhergeht, bewusst zu sein - und entsprechend zu regieren.»


«NZZ am Sonntag»: Warnung vor russischen Falschinformationen

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag» beschäftigt sich mit der Wirksamkeit der westlichen Sanktionen gegen Russland:

«Was bewirken die Sanktionen gegen Russland? Wenig bis nichts, lautet ein weitverbreitetes Urteil im Westen. Eine Untersuchung der US-Universität Yale zeigt nun aber: Russlands Wirtschaft wird durch die Sanktionen schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Forscher üben zudem harte Kritik an westlichen Medien und Experten. Diese würden oft ungeprüft die handverlesenen Wirtschaftsdaten des Regimes wiedergeben - oder bei fehlenden Zahlen wacklige Hochrechnungen anstellen. Damit spielten sie (Kremlchef Wladimir) Putin in die Hände. Der frühere Geheimdienstler weiß, welch' scharfe Waffe Falschinformationen sind. Besonders in unserer Wohlstandsgesellschaft, die nur allzu gerne einen Ausweg fände aus der Mühsal, welche die Sanktionen gegen Russland unseren Ländern bringen.

Natürlich stellen wir uns gerne auf die Seite der Freiheit und hängen eine ukrainische Flagge ins Stubenfenster. Aber wenn die Stube wegen des ausbleibenden Gases aus Russland kalt bleibt: Wäre es da nicht ganz praktisch, wenn die Sanktionen sowieso kaum nützen würden und wir wieder russisches Gas kaufen könnten? Solcher Defaitismus ist fatal.»

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