Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Katja Kipping

Dass es dem Berliner Landesverband nun gelungen ist, die Dresdnerin aus dem Bundestag weg und in den Senat zu locken, ist der erste personelle Coup bei der Besetzung der neuen Stadtregierung.

Unzweifelhaft versteht die 43-jährige Sächsin etwas von Sozial- und Integrationspolitik. In der Ausrichtung ihrer Politik dürfte sich gegenüber ihrer Vorgängerin Elke Breitenbach wenig ändern. Die innerparteiliche Auseinandersetzung bei den Linken wird sie aber eher nicht befrieden. Kipping ist Parteilinken schon länger ein Dorn im Auge. Für die Linken-Führung wird es also nicht einfacher, die Regierungskritiker im Zaum zu halten. Der Druck aus der Linkspartei kann auch zum Problem für die gesamte Koalition werden.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zum Abschied von Angela Merkel

Die Mehrheit der Deutschen fühlte sich bei ihrer ersten Kanzlerin gut aufgehoben.

Der Tenor des Urteils lautete: Die weiß schon, was sie tut und was richtig ist für dieses Land in einer Welt, die sich auf so vielen Feldern rasend schnell verändert. Diesen Ruf erwarb Merkel sich nicht als Visionärin, sondern als Krisenmanagerin. (...) Die Flüchtlingskrise wurde zum Höhe- und Wendepunkt von Merkels spektakulärer Laufbahn. Dank Trump stieg sie zwar in Amerika noch zur letzten Hoffnung des liberalen Westens auf. In Europa, in Deutschland, in der Partei aber verlor sie zusehends an Einfluss. Das wurde auch im Verlauf der Pandemie deutlich. (...) Bei aller berechtigten Kritik an den Irrtümern und Versäumnissen der Kanzlerin: Am Ende dieser Ewigkeit gebühren Angela Merkel auch Anerkennung und Dank.


«Seattle Times»: Ruhig bleiben und sich impfen lassen

SEATTLE: Zur Ausbreitung der Corona-Variante Omikron schreibt die US-Zeitung «Seattle Times»:

«Impfstoffe sind nicht nur wichtig, um Krankheiten vorzubeugen, sie verlangsamen auch die Ausbreitung des Virus, was wiederum seine Fähigkeit zur Mutation verringert. Die meisten Mutationen sind harmlos, aber stehen genügend Zeit und menschliche Wirte zur Verfügung, die als Petrischalen dienen, so kann sich eine Variante entwickeln, die sich leichter ausbreitet, für die Erkrankten tödlicher ist und die derzeitigen Impfstoffe umgehen kann.

Es muss mehr getan werden, um dies zu verhindern. Auf globaler Ebene bedeutet dies, dass die USA und andere Industriestaaten mehr helfen müssen, um die Welt zu impfen. Auf persönlicher Ebene bedeutet es, sich impfen zu lassen und sich auch eine Auffrischungsimpfung geben zu lassen, wenn man es kann. (...)

Selbst wenn die Menschheit Glück haben und Omikron sich als Blindgänger herausstellen sollte, besteht immer die Möglichkeit, dass es beim nächsten Mal zu einem Brand kommt, solange wir uns in einer Pandemie befinden.»


«Le Monde»: Von erfolgreicher globaler Impfkampagne hätten alle etwas

PARIS: Zum globalen Impfgefälle zwischen reichen und armen Ländern schreibt die französische Tageszeitung «Le Monde» am Mittwoch:

«Während die Lager in den entwickelten Ländern gut gefüllt sind, wo die Auffrischungsimpfungen bereits laufen, ist der Mangel in den ärmsten Ländern weiterhin die Regel. Nur 3 Prozent der Bevölkerung haben dort einen kompletten Impfschutz, in der ersten Gruppe sind es 60 Prozent. (...) Hunderttausenden Männern und Frauen die Möglichkeit einer Immunisierung vorzuenthalten, ist keine Option. Der neue Kampf, um die Verbreitung der Virusvariante Omikron einzudämmen, kann solange nicht gewonnen werden, wie die globale Impfquote nicht signifikant voranschreitet, und die potenziellen Infektionsherde gelöscht werden. Alle würden davon profitieren.»


«The Times»: Zemmours Kandidatur könnte Macron nutzen

LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Mittwoch die Kandidatur des extrem rechten Publizisten Éric Zemmour für die französische Präsidentschaftswahl:

«Éric Zemmour hat nur geringe Chancen, Präsident Frankreichs zu werden. Während der Rechtsaußen-Talkmaster und migrationsfeindliche Hetzer seine Kandidatur verkündete, deutete eine Umfrage von «Politico» darauf hin, dass er in der ersten Wahlrunde nur 14 Prozent der Stimmen bekommen würde. (...)

Das heißt aber nicht, dass seine Kandidatur bedeutungslos ist. Vor allem sorgt sie für eine weitere Zersplitterung des rechten Wählerpotenzials, das bislang schon gespalten war zwischen der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National von Marine Le Pen und den Republikanern, der konservativen Mainstream-Partei. Das kann nur von Nutzen sein für Präsident Emmanuel Macron und dürfte ihm in der ersten Runde einen erheblichen Vorsprung sichern. (...) Das größte Risiko besteht für ihn darin, dass die Republikaner, die ihren Kandidaten in der nächsten Woche bestimmen, sich für einen eher moderaten Repräsentanten wie Michel Barnier entscheiden, den Brexit-Verhandler der EU. Er könnte in der zweiten Wahlrunde die Stimmen vieler Gegner Macrons auf sich ziehen.»


«Politiken»: Welt ist in Corona-Jahren offenbar nicht klüger geworden

KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» (Kopenhagen) kommentiert am Mittwoch die international verschlimmerte Pandemielage:

«Es ist leicht, in diesen Tagen ein deprimierendes Gefühl von Déjà-vu zu bekommen. Die Masken sind zurück, eine neue Corona-Variante kommt angerollt und der Weg heraus aus der Pandemie erscheint plötzlich wieder unsicher. Auch wenn jetzt zwei Jahre vergangen sind, seit Covid-19 erstmals in China entdeckt wurde, über fünf Millionen Menschen nachweislich gestorben und eine Viertelmilliarde - und in Wirklichkeit vermutlich viel mehr - infiziert worden sind, gibt es immer noch nichts, das an eine koordinierte globale Reaktion auf die Corona-Krise erinnern würde.

Einige Länder schließen aus Furcht vor der Omikron-Variante die Grenzen, andere begrenzen Reisen aus bestimmten Gebieten und wiederum andere tun bis auf Weiteres nicht wirklich viel. Verwirrung herrscht, Beschuldigungen von Egoismus und Nationalismus fliegen wieder durch die Luft. Zwei Jahre, nachdem die Corona-Krise begann, ist die Welt offenbar nicht klüger geworden.»


«De Telegraaf»: Urteil hat Signalwirkung für Niederlande

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «De Telegraaf» kommentiert am Mittwoch die lebenslange Haftstrafe gegen einen Iraker im Prozess um den Tod eines jesidischen Mädchens:

«Ein deutsches Gericht hat gezeigt, dass die Bestrafung von IS-Terroristen nicht auf ein paar Jahre Gefängnis beschränkt sein muss. (...) Es war das erste Strafverfahren in Europa, in dem ein ehemaliges Mitglied der Terrorbande IS wegen Beteiligung am Völkermord an der jesidischen Minderheit vor Gericht gestellt wurde. Anfang dieses Jahres erkannte das niederländische Parlament diesen Völkermord als solchen an, für den es laut den Vereinten Nationen überzeugende Beweise gibt.

In Strafverfahren gegen Syriengänger in den Niederlanden geht es vor allem um deren Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, was zu Haftstrafen von bis zu sechs Jahren führen kann. Es sollte gründlicher untersucht werden, ob auch niederländische IS-Mitglieder an Völkermordverbrechen an den Jesiden beteiligt waren.

Besteht ein solcher Verdacht, sollten sie zur Rechenschaft gezogen werden. Sich scharf gegen Völkermord auszusprechen ist bedeutungslos, solange den Opfern keine Gerechtigkeit widerfährt.»


«NZZ»: Die Ja-Sager winken Maßnahmen einfach durch

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Mittwoch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der drastischen Corona-Maßnahmen in der dritten Welle:

«Zugegeben, es erscheint als nahezu unlösbare Aufgabe: einerseits der freiheitliche Rechtsstaat mit selbstbewussten Bürgern, die ihre Grundrechte jeden Tag in Anspruch nehmen und es nicht einsehen, wenn man sie darin beschränken will. Andererseits derselbe Staat, der zwar dem Einzelnen ein maximales Maß an Freiheit, der Allgemeinheit aber auch ein Mindestmaß an Schutz bieten soll. Der einer Pandemie wirksam begegnen muss, die er selbst noch nicht einschätzen kann. Der also letztlich individuelle Freiheit zugunsten kollektiver Sicherheit beschränken muss, dabei aber nie zu weit gehen darf. Außer er hat ein Bundesverfassungsgericht wie dieses. Auf das höchste deutsche Gericht kann sich nur jemand noch verlassen: die Bundesregierung.

Was befürchtet wurde, ist wahr geworden: Das Gericht winkt in seinen am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen alle strittigen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung einfach durch. Es übernimmt deren Argumentation.»


«Neatkariga Rita Avize»: Welche Signale sendet die Nato?

RIGA: Zum Treffen der Nato-Außenminister in Riga und den Äußerungen von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg meint die national-konservative lettische Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize» am Mittwoch:

«Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat bereits gesagt: Die Nato will nicht in den Krieg ziehen, aber... Was auf diesen scheinbar offensichtlichen Vorbehalt folgt, ist irrelevant - das Signal wurde bereits gesendet. Die Hauptsache ist, dass es mit dem Signal übereinstimmt, das der Kreml hören möchte. Wenn Putin hören will, dass die Nato nicht in den Krieg ziehen will - und das ist es, was der oberste Nato-Beamte sagt -, dann geht Putin ein Gedanken durch den Kopf: Die Nato wird alles tun, um in jeder Krisensituation eine Ausrede zu finden, nicht zu kämpfen, auch wenn sie dies nach allen ungeschriebenen Regeln der internationalen Beziehungen tun sollte. (...)

Der Nato-Generalsekretär verzichtete darauf, die mögliche Taktik Russlands gegen Europa zu kommentieren. Es kann sein, dass er es wirklich nicht weiß. Doch wahrscheinlicher ist, dass er es nicht wissen will. Denn diese Taktiken sind extrem einfach, klar zu erkennen. Aber für den Westen nur schwer zu akzeptieren. Denn die zuzugeben würde auch eine Änderung seiner eigenen Vision erfordern, die er aber in keiner Weise ändern will.»


«El País»: Johnson behandelt Frankreich herablassend

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Mittwoch die angespannte Stimmung zwischen Frankreich und Großbritannien rund um das Thema Migration:

«Die Tragödie von 27 Migranten, die im Ärmelkanal ertranken, hat die Aufmerksamkeit Europas vorübergehend von der Verzweiflung an der belarussischen Grenze auf die Lager in der Nähe von Calais gerichtet, wo mehr als tausend Menschen auf eine Chance warten, ihr Leben bei der Überfahrt nach Großbritannien zu riskieren. Boris Johnson schlug in einem auf Twitter veröffentlichten Brief vor, dass das Vereinigte Königreich bei der Überwachung der Strände von Calais helfen solle und sowohl Frankreich als auch die EU sich verpflichten sollten, auf See abgefangene Einwanderer wieder aufzunehmen.

Johnsons Brief kann nur als Versuch gewertet werden, sich vor seinen Anhängern als mutig und tatkräftig zu zeigen. Der Vorschlag behandelt Frankreich herablassend und die EU als ein migrationsemittierendes Gebiet, das zu kontrollieren sei. Fakt ist, dass jedes Jahr Tausende Menschen ganze Kontinente durchqueren, um Europa zu erreichen, sei es Ceuta, Lampedusa oder London. Europa kann versuchen, diese Ströme zu ordnen, indem es die legale Migration erleichtert und sich für stärkere Kontrollen in den Transitländern einsetzt. Das wäre dann genau das, was Frankreich und Großbritannien voneinander fordern.»

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