Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

«Rossijskaja Gaseta»: Wenn der Urlaubsort zu einer Falle wird

MOSKAU: Zum Sommerurlaub in der Corona-Krise schreibt die russische Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta» am Mittwoch:

«Die russische Regierung warnte Ende März die Bürger vor Reisen ins Ausland. Viele Touristen versuchten dennoch, in den Urlaub zu fliegen. Jetzt ist die Situation eine andere: Die Grenzen sind noch nicht geöffnet, das Außen- und das Verkehrsministerium holen immer noch Tausende «gestrandete» Landsleuten aus verschiedenen Teilen der Welt zurück. Trotzdem überlegen viele, wohin sie in den Urlaub fahren könnten. Dabei können Ferienziele auch zu einer «Falle» werden.

Ein klassisches Beispiel ist Thailand. In der zweiten Märzhälfte, als viele Länder bereits ihre Grenzen geschlossen hatten, lockten die beliebten Ziele in dem asiatischen Land weiterhin Reisende aus der ganzen Welt. Premierminister Prayut Chan-o-cha versicherte, dass der Notstand nicht ausgerufen werde. Das geschah dann am 26. März. (...) Die Rückflüge nach Russland sind bis heute noch nicht abgeschlossen.»


«Frankfurter Rundschau» zu von der Leyens Corona-Wiederaufbauplan

Viele sorgen sich angesichts der finanziellen Lasten, die per 30-Jahres-Kredit in die Zukunft geschoben werden.

Doch was wäre die Alternative? Verzagtheit in diesem historischen Moment könnte alles zerbrechen lassen, wofür Generationen von Europäern gearbeitet haben. Aber mehr noch: Es würde auch den Schaden für die Jungen vergrößern. Will man sie in der düsteren Szenerie lauter nationalistisch verzickter Kleinstaaten aufwachsen lassen, in denen die Höckes und die Salvinis triumphierend die Fäuste recken? Es wird Zeit, eine neue Vision dagegenzusetzen, die vereinten Nationen von Europa, kein Superstaat mit "vereinigten" Staaten und großem "V". Aber eben doch ein stabiler Staatenbund, der sich nicht mehr im nächsten Sturm auseinanderpusten lässt. Lange genug haben rechte Populisten Europa als Projekt bürgerferner Eliten niedergemacht. Die erstmals wieder geschlossenen Grenzen aber haben vielen Europäern etwas anderes gezeigt. Europa ist eine zutiefst menschliche Angelegenheit.


«Duma»: EU sollte nach der Corona-Krise nach Osten schauen

SOFIA: Vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen den USA und China wegen der Ausbreitung des Coronavirus befasst sich die sozialistische Oppositionszeitung «Duma» am Mittwoch mit möglichen geopolitischen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie:

«Die Ära des Sozialismus ist weit zurück in der Geschichte geblieben, nicht aber die Ära des Kalten Krieges. (.) Die USA schüren den Kalten Krieg mit neuem Tempo gegen ihre größten Konkurrenten - die Russische Föderation und die Volksrepublik China. (.) Wie wird nun das geopolitische Ergebnis der Corona-Krise aussehen?

Es ist offensichtlich, dass die Folgen ernsthaft sind. Es ist bereits nicht weniger klar, dass das Virus nur Anlass oder ein Feuerstein ist, um den Kalten Krieg im 21. Jahrhundert mit neuer Energie zu schüren. (.) Was die Stabilität der Europäischen Union anbelangt, wird sie zum großen Teil von ihrer Kapazität zur flexiblen strategischen Orientierung abhängen - hin zur politischen Verständigung und zu nützlichen wirtschaftlichen Verträgen, durch die sie Möglichkeiten für ihre Zukunft im Osten sucht.»


«Hospodarske noviny»: Visegrad-Gruppe verhält sich unsolidarisch

PRAG: Die liberale Wirtschaftszeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien schreibt am Mittwoch zum deutsch-französischen Vorschlag eines Corona-Wiederaufbaufonds:

«Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie verursachen eine noch wenig sichtbare, aber grundlegende Verschiebung: Tschechien ordnet sich langsam, aber sicher in die Reihe der reicheren Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. In diese Richtung bewegen sich auch die anderen Länder der Visegrad-Gruppe, also Polen, Ungarn und die Slowakei. Ihnen allen ist gemein, dass sie sehr reserviert auf die Diskussion darüber reagieren, wie die EU ihren Mitgliedstaaten in der erwarteten tiefen Rezession unter die Arme greifen könnte. Es ist eigentlich eine konsistente Haltung, welche diese mitteleuropäischen Staaten bereits seit der Migrationskrise von 2015 vertreten. Einerseits halten sie die Hand für Gelder aus Brüssel auf, andererseits lehnen sie es entschieden ab, sich solidarisch zu beteiligen - ob nun an der Aufnahme von Flüchtlingen oder der Umverteilung der Lasten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Europas.»


«El País»: Xi Jinping will Vorherrschaft der USA beenden

MADRID: Zum Konflikt um Hongkong schreibt die spanische Zeitung «El País» am Mittwoch:

«Nachdem das chinesische Regime die Pandemie überstanden und seine Gesundheitsdiplomatie entfaltet hat, fühlt es sich stark genug, um seine Kontrolle über Hongkong zu verstärken. Es hat dabei zwei Ziele: Nach innen soll die zentrale Macht weiter behauptet werden. Nach außen sollen die Forderungen gegenüber Taiwan und im Südchinesischen Meer untermauert werden. Zwei alte Devisen von Deng Xiaoping, des Gründers des aktuellen Systems des kommunistischen Kapitalismus, beginnen allmählich an Gültigkeit zu verlieren. Die Formel »Ein Land, zwei Systeme« wird immer unwirklicher werden, wenn Hongkong seine öffentlichen Freiheiten verliert. Und unter (Präsident) Xi Jinping wird nicht mehr die Strategie verfolgt, die eigene Stärke zu verbergen und abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt. Xi Jinping macht keinen Hehl aus seinen territorialen Ansprüchen und ist davon überzeugt, es sei die Stunde gekommen, die USA zu übertreffen und in der Hegemonie ganz oben zu stehen.»


«Svenska Dagbladet»: Goldene Regeln für Politiker

STOCKHOLM: Die konservative schwedische Tageszeitung «Svenska Dagbladet» (Stockholm) kommentiert am Mittwoch den angeblichen Lockdown-Verstoß des Beraters des britischen Premierministers Boris Johnson:

«Wenn Dominic Cummings Erklärung stimmt, scheint er als Elternteil mit Urteilsvermögen und Fürsorge gehandelt zu haben. Aber politisch bereitet sein Verhalten große Probleme. Staatssekretär Douglas Ross ist aus Protest zurückgetreten, und die Nachricht von Cummings Reise verletzt gewöhnliche Briten, die möglicherweise nicht einmal anwesend waren, als ihre Verwandten begraben wurden. Jetzt wächst eine verständliche Wut gegen das, was als Sitten der Elite wahrgenommen wird. Das sollte Regierungen anderer Länder eine Lehre sein: Stellen Sie für Ihre Bürger Regeln auf, denen Sie selbst folgen können.»


«Diena»: Ein Start mit vielen Premieren

RIGA: Zum Start «Falcon 9»-Rakete der privaten Raumfahrt-Firma SpaceX in den Weltall schreibt die lettische liberale Tageszeitung «Diena» am Mittwoch:

«Sollte die SpaceX-Rakete erfolgreich abheben, wäre dies nicht nur das erste Mal, dass ein privates Unternehmen Menschen zur Internationalen Raumstation (ISS) transportiert, sondern auch der erste Orbitalflug aus den USA seit 2011. Mit dem Start der Rakete wird der Traum des exzentrischen Geschäftsmanns Elona Musk von der kommerziellen Raumfahrt und der Kolonisierung des Mars der Wirklichkeit einen Schritt näher kommen. Und die Vereinigten Staaten werden ihre Unabhängigkeit bei der Erforschung des Weltraums wiedererlangt haben.»


«Tages-Anzeiger»: Experten nicht für Entscheidungen verantwortlich

ZÜRICH: Zur Debatte um die Rolle von Experten in der Corona-Krise heißt es am Mittwoch im Zürcher «Tages-Anzeiger»:

«Alle sehnen sich nach medizinisch und politisch eindeutigen Antworten. Doch die gibt es nicht, zumindest noch nicht - selbst wenn man alle Experten der Welt beiziehen würde. Übrig bleibt das Individuum, der Bürger oder Politiker, der zwar Experten konsultieren soll, aber sich selber eine Meinung bilden und entscheiden muss.

Letztlich handelt es sich um dieselbe Unterscheidung zwischen Wissen und Bildung, wie sie Wilhelm von Humboldt vor rund 200 Jahren beschrieb. Dabei reicht es nicht bloß, Wissen anzuhäufen, vielmehr ist das Ziel, auch geistig daran zu wachsen und so schließlich zu souveränen Entscheidungen befähigt zu werden. Etwa, wie wir in dieser Krise als Gemeinwesen handeln sollen. Diese Verantwortung kann nicht an Experten delegiert werden, sondern ist Aufgabe der Politik und der öffentlichen Debatte. Die wird uns weder ein Orakel noch ein einzelner Experte abnehmen können.»


«Corriere della Sera»: Europa verpasst in Hongkong Chancen

ROM: Zur zugespitzten Lage mit Protesten in Hongkong und den Bestrebungen Chinas, die Freiheitsrechte dort einzuschränken, schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» am Mittwoch:

«Mit seinen zu schüchternen Verurteilungen der antidemokratischen Repression in Hongkong verpasst Europa eine große Chance. Nämlich zu zeigen, dass es seine Gründungswerte verteidigen will, ohne auf den oft unhöflichen (aber in Italien immer gut publizierten) amerikanischen Druck angewiesen zu sein. Die EU wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet aus dem Bestreben nach Frieden und Freiheit und wuchs damit - zum Guten oder Schlechten - weiter heran. Aber im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Verteidigung der Menschenrechte, auch an anderen entfernten Orten, als Vorbote möglicher wirtschaftlicher Verluste, stark abgeschwächt und ist zu einem der größten Mängel ihrer internationalen Präsenz geworden. Doch gerade in Zeiten, in denen sich unser Verbündeter USA mitten im Wahlkampf befindet und Präsident Trump den «Kalten Krieg» mit China zu einer seiner Hauptkarten für seine Wiederwahl ins Weiße Haus macht, sollte dieses moralische und politische Vakuum heute umso mehr gefüllt werden. (...) Ein Teil der Schuld liegt auch in Brüssel. Wo ist die lange erwartete gemeinsame Linie zu China?»


«De Tijd»: EU-Plan entspricht der Logik des Marshallplans

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Tijd» kommentiert am Mittwoch den EU-Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Corona-Folgen:

«Es geht im Grunde darum, sich selbst zu helfen, indem man anderen hilft. Es gilt zu vermeiden, dass einer deiner wichtigsten Handelspartner auf dem Wirtschaftsfriedhof landet. Und auch darum, zu garantieren, dass politische Bündnispartner in einer Welt, die geopolitisch immer explosiver zu werden droht, auch in Zeiten der Not Bündnispartner bleiben. (...) Niemand behauptet, dass dies eine leichte Übung ist. Nicht nur, dass alle Einzelheiten gut aufeinander abgestimmt werden müssen. Für diesen Plan ist auch eine breite demokratische Unterstützung erforderlich, was durchaus keine Kleinigkeit ist. Das entscheidende Argument in diesem Überzeugungsgefecht ist die Logik, die einst dem Marshallplan zugrunde lag - das wohlverstandene Eigeninteresse, anderen zu helfen, um damit sich selbst zu helfen. Und auch, dass man sich selbst schaden könnte, wenn man das große Ganze nicht sieht.»


«de Volkskrant»: Schlaglicht auf Lage osteuropäischer Arbeitnehmer

AMSTERDAM: Zur schwierigen Lage vieler osteuropäischer Arbeitnehmer in Schlachtbetrieben meint die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Mittwoch:

«Die derzeitige Aufmerksamkeit für den schlecht bezahlten ausländischen Arbeitnehmer kommt von der Angst vor der Verbreitung des Coronavirus unter der eigenen Bevölkerung. Es ist nicht die Sorge um das Schicksal der Arbeitsmigranten, die jetzt ein Schlaglicht auf ihre Lebensbedingungen wirft.

Arbeitgeber, Zeitarbeitsfirmen und Hausbesitzer, die ausländische Arbeitnehmer schlecht behandeln, missbrauchen gerade jetzt deren Abhängigkeit. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet oft den Verlust eines Daches über dem Kopf. Darüber hinaus gibt es eine Sprachbarriere. Die Folge ist, dass Arbeitnehmer, die den Verdacht haben, dass sie infiziert sind, schweigen und weiterarbeiten.»


«The Guardian»: Cummings hat das Vertrauen des Volkes missbraucht

LONDON: Der Chefberater von Premierminister Boris Johnson habe das Vertrauen der Bevölkerung missbraucht, meint der Londoner «Guardian» am Mittwoch:

«Konfrontiert mit einer Epidemie, die ohne Gegenmaßnahmen unter der Bevölkerung zu wüten drohte, haben die Briten praktisch auf ihre Freiheiten verzichtet: Sie gaben das Recht auf, ihre Wohnungen zu verlassen, ihre Mütter zu besuchen, ihre neugeborenen Enkel zu sehen und sogar, was herzzerreißend ist, an Beerdigungen ihrer Lieben teilzunehmen. Zwischen der Regierung und dem Volk wurde ein Notfallpakt geschlossen. Offenkundig war dafür ein Maß an Vertrauen in die Mächtigen erforderlich, wie es für die heutige Zeit höchst ungewöhnlich ist. Dieses Vertrauen hat Dominic Cummings missbraucht. Indem er zunächst geholfen hat, neue Regeln für die anderen zu definieren und dann nach seinen eigenen, höchst unterschiedlichen Regeln zu handeln, hat Cummings gegen die Interessen des Gemeinwohls verstoßen. (...)

Der einzigartige gesellschaftliche Vertrag, der im März vereinbart worden war, muss aufrechterhalten werden, wenn das Land in den kommenden Monaten zusammenhalten soll. Doch er wirkt derzeit zerbrechlich. Dass Cummings nicht aus dem Amt entfernt wurde, untergräbt ihn noch weiter.»


«Nepszava»: In der Politik setzen sich die Lügner und Spalter durch

BUDAPEST: Über die weltweite Verrohung der Politik in Zeiten der Corona-Pandemie schreibt die linke Budapester Tageszeitung «Nepszava» in einem Kommentar am Mittwoch:

«Das Coronavirus scheint bei den illiberalen Politikern deren schlechteres Ich hervortreten zu lassen. (...) Dominic Cummings, der mächtige Berater des britischen Premiers Boris Johnson, ist nach seinem Verstoß gegen die Lockdown-Regeln nicht zurückgetreten, sondern hat stattdessen in einer einstündigen Tirade vor der Presse jede Kritik an seinem Verhalten zurückgewiesen. (...) Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien haben sich nicht dafür entschuldigt, dass sie die gegen Covid-19 wirkungslosen Malaria-Medikamente Chloroquin und Hydroxychloroquin als angebliche Wundermittel gegen die Corona-Krankheit angepriesen haben. (...) «Politische Korrektheit» gilt heutzutage als ein überlebtes Relikt des bürgerlichen Zeitalters. Es setzen sich die durch, die Politik mit der Brechstange machen: die, die Lügen verbreiten, den politischen Gegner verächtlich machen, die Gesellschaft spalten und die Journalisten als Verbrecher darstellen.»

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