Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
Foto: Adobe Stock/©elis Lasop

«De Standaard»: Energiewende wird für die Bürger teuer

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Standaard» kommentiert am Donnerstag den starken Anstieg der Gaspreise:

«Europa bezieht 40 Prozent seines Gases aus Russland. Belgien tut dies nur in geringem Maße, aber auch hier treibt die Verknappung auf dem Markt den Gaspreis stark in die Höhe. In ganz Europa sorgt diese Entwicklung für große politische Nervosität. Das wirft die Frage auf: Wird die explodierende Energierechnung zum echten Stresstest für den Green Deal - den Plan, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen? Denn die Energiewende macht sich auch im Portemonnaie der Menschen bemerkbar. (...)

Es lässt sich jedoch nicht vermeiden festzustellen, dass dieser Übergang seinen Preis hat. Einen Preis, den jeder im Geldbeutel spüren wird. Und obendrein einen Preis, der ohne die richtigen Unterstützungsmaßnahmen die niedrigsten Einkommen am stärksten belastet und damit jene, die den geringsten Spielraum für Investitionen in Isolierung, Wärmepumpen, Sonnenkollektoren oder Elektroautos haben.»


«The Guardian»: Merkel ließ Fragen zur Zukunft der EU offen

LONDON: Der Londoner «Guardian» kommentiert am Donnerstag die Bedeutung der Wahlen in Deutschland für die Europäische Union:

«Eine Kultur der Sühne für die Vergangenheit hat dazu geführt, dass Deutschland sich der Gründungsmission der EU - Frieden und Wohlstand durch grenzüberschreitende Integration - besonders verpflichtet fühlt. Für die kleineren Mitgliedsländer hat sich das manchmal wie eine Integration zu Bedingungen angefühlt, die von Berlin diktiert wurden, insbesondere wenn es um Haushaltseinsparungen geht. Europäische Solidarität ist der Schlüssel zur deutschen Außenpolitik, aber die Abneigung gegen öffentliche Schulden ist ihr heiliges wirtschaftliches Credo. Das hat zu einer unbequemen Diplomatie innerhalb der Eurozone geführt. (...)

Die Ära Merkel war, wie auch immer, ein Triumph der Neutralisierung von Krisen - ohne sie wirklich zu lösen. Angesichts des Ausmaßes dieser Herausforderungen kommt dieses Hinauszögern zwar einer Errungenschaft gleich, aber es ist ein zwiespältiges Erbe, das ihrem Nachfolger viele Probleme aufbürdet und existenzielle Fragen zur Zukunft Europas unbeantwortet lässt.»


«Pravo»: Europäische Nato-Partner brauchen einen Plan B

PRAG: Zum neuen Aukus-Bündnis Australiens mit den USA und Großbritannien und zum Streit über den geplatzten Verkauf von französischen U-Booten an Australien schreibt die linksgerichtete Zeitung «Pravo» aus Tschechien am Donnerstag:

«Die USA wollen mit dem Bündnis mit Australien zeigen, dass sie selbst nach dem Misserfolg in Afghanistan weiter die unangefochtene Weltmacht bleiben. Der langwierige und erfolglose Kampf in dem zentralasiatischen Land hatte Washington daran gehindert, sich voll und ganz auf China als den eigentlichen Herausforderer zu konzentrieren. Mit dem Aukus-Pakt ergänzen die USA ihre pazifische Sicherheitsarchitektur.

Erfüllen sich damit die Worte des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom «Hirntod der Nato»? Weder Frankreich noch Deutschland oder die Länder Mittelosteuropas haben einen Plan, wie sie auf diese Verschiebung der US-amerikanischen Interessen reagieren sollen - so groß ist die politische und militärische Abhängigkeit von den USA. Doch geht man damit nicht - angesichts der Sicherheitslage in der Welt - ein allzu großes Risiko ein?»


«Financial Times»: Frankreich braucht Unterstützung der USA

LONDON: Die Londoner «Financial Times» kommentiert am Donnerstag die Entspannungssignale zwischen Washington und Paris im sogenannten U-Boot-Streit:

«Die Kluft zwischen Paris und Washington schien nicht mehr so groß gewesen zu sein, seit Frankreich und Deutschland sich gegen den von den USA geführten Krieg im Irak stellten - und damals waren es die USA, die sich von ihren Verbündeten im Stich gelassen fühlten.

Glücklicherweise entschied sich Emmanuel Macron, mit seinem Telefonat mit Präsident Joe Biden am Mittwoch für eine Deeskalation zu sorgen - im Gegenzug zur Unterstützung der USA für eine Rolle Frankreichs und der EU im indopazifischen Raum sowie die Befürwortung einer stärkeren EU-Verteidigungspolitik durch die USA. (...)

Frankreich braucht die Unterstützung der USA, um die Europäer davon zu überzeugen, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen. Wenn Paris aber versuchen sollte, die Sache voranzutreiben, um damit Washington zu kontern, wird es Deutschland, Polen und andere Partner verprellen. Frankreich unterschätzt das Misstrauen in anderen EU-Hauptstädten gegen seine Motive.»


«Nesawissimaja»: Neuer Sicherheitspakt bedroht China und Russland

MOSKAU: Zum Sicherheitspakt Aukus der USA mit Großbritannien und Australien schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Donnerstag:

«Australiens Premierminister Scott Morrison und Außenministerin Marise Payne haben erklärt, was Aukus aus Sicht ihres Landes werden soll. Diese Erklärung erwies sich als paradox. Sie teilten mit, dass von der Gründung eines Militärbündnisses keine Rede sei - und gaben gleichzeitig faktisch zu, dass Aukus eben doch in einen militärischen Block umgewandelt wird.

Sollte das tatsächlich der Fall sein, wird eine Art pazifische Nato geschaffen. Was deren potenzielle militärische Fähigkeiten angeht, wäre sie viel stärker als Russland und würde ein ernsthaftes Problem für China darstellen.»


«Tages-Anzeiger»: Ideologische Gräben in der SPD

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» macht am Donnerstag auf Differenzen zwischen dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und der linken Führung seiner Partei aufmerksam:

«Am sensationellen Aufstieg der Partei an die Spitze der Umfragen hatte die linke Führung in den letzten Wochen dann durchaus ihren Anteil - nämlich, indem sie hinter dem Kandidaten Scholz vollkommen verschwand. Von Esken oder Kühnert war so gut wie nichts zu hören, und schon gar nie ein kritisches oder böses Wort. Kein linker Zwischenruf sollte die Mitte-Botschaft des möglichen nächsten Kanzlers stören. (...)

Gewinnt die SPD die Wahl, wissen auch die Linken, dass sie dies nicht ihrem Programm, sondern vor allem dem überzeugenden Kandidaten verdanken. Das dürfte Scholz fürs Erste etwas Beinfreiheit verschaffen.

Doch schon bei der Frage nach der richtigen Koalition dürften die ideologischen Gräben schnell aufbrechen. Kühnert und Esken haben in der Vergangenheit immer wieder für eine Regierung mit Grünen und Linkspartei geworben - die gängigen Chiffren dafür lauten «progressives Bündnis» oder auch «Regierung jenseits der Union». Einer Zusammenarbeit mit der Steuersenkungspartei FDP blicken Genossen wie sie nicht mit Skepsis, sondern mit Grausen entgegen.»


«Dagens Nyheter»: Es braucht mehr Deutschland in Europa und der Welt

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Donnerstag die deutsche Außenpolitik vor der Bundestagswahl:

«Die Außenpolitik entscheidet selten Wahlen, und das dürfte auch für die Wahl in Deutschland am Sonntag gelten. Die Hauptkontrahenten sprechen überhaupt nicht über sie, sollten dies aber tun. Die EU muss mit allen Mitteln verteidigt werden, aber die Union und die vom französischen Präsidenten Macron verfolgte «strategische Autonomie» können nicht die Nato ersetzen. Die USA werden gebraucht, genauso wie Großbritannien. Aber damit Europa ein seriöser Partner ist, muss auch Deutschland dies werden. Zusammen mit den USA und den Demokratien Asiens lassen sich auch Antworten auf die chinesische Herausforderung finden. Deutschland kann und will die Welt nicht führen. Aber Exporte dürfen nicht die einzige Außenpolitik sein.»


«WSJ»: Bundestagswahl ist ein Sonderfall unter großen Demokratien

NEW YORK: Zur Bundestagswahl in Deutschland am Sonntag schreibt die US-Zeitung «Wall Street Journal»:

«Deutschlands nächster Regierungschef muss die wirtschaftliche Erholung von der Pandemie steuern, die Beziehungen zu Washington nach dem Afghanistan-Debakel wiederherstellen, sich mit Russlands strategischem Treiben herumschlagen und eine angespannte wirtschaftliche und strategische Beziehung zu einem China lenken, das zunehmend mit dem Westen in Konflikt steht.

Frau Merkel hat die beiden letztgenannten Herausforderungen in den Sand gesetzt und außer in den schweren Krisenzeiten der Eurozone nur selten eine starke wirtschaftliche Führungsrolle übernommen. Bei keinem der drei Hauptanwärter (auf ihre Nachfolge) sieht es sehr viel anders aus. (...)

Die deutschen Wähler scheinen diese Stabilität als eine Tugend zu betrachten, was ein Grund dafür sein muss, dass sie Frau Merkel so oft wiedergewählt haben, wie sie es getan haben. Das macht die Wahl am Sonntag zu einem Sonderfall, da in den meisten großen Demokratien ein größerer politischer Wettbewerb und kühnere politische Schachzüge von Linken und Rechten zu beobachten sind. Für den Moment scheinen die deutschen Wähler damit zufrieden zu sein, aus dem langen Schatten von Frau Merkel herauszustolpern.»


«Público»: Politische Mäßigung als Merkels Markenzeichen

LISSABON: Die portugiesische Zeitung «Público» befasst sich in einem Kommentar am Donnerstag mit der Bundestagswahl und dem Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels:

«In den vergangenen 16 Jahren hat sich Merkel als führende Politikerin Deutschlands behauptet und ist dem, was eine europäische Führungsfigur ausmacht, sehr nahe gekommen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kanzlerin in Ländern, die auf finanzielle Hilfsprogramme angewiesen waren, als Diktatorin karikiert wurde. Viele von denen, die sie so angegriffen haben, erkennen inzwischen die Bedeutung ihrer politischen Mäßigung. Merkels Führung wird als Beitrag zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen der EU-Länder wahrgenommen, um eine europäische Desintegration oder eine deutsche Hegemonie zu vermeiden.

Angesichts der Spitzenposition der SPD in den Umfragen konzentrierten sich die Analysen auf die Auswirkungen einer Linkskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei und inwieweit das gemäßigte Profil von Scholz die FDP zu einer Koalition mit den Grünen unter Führung der SPD bewegen könnte. In jedem Fall wird Merkels Abgang die Fähigkeit der nachfolgenden Politiker auf die Probe stellen, die Tradition des Kompromisses und der Mäßigung in der deutschen Politik fortzusetzen.»


«Der Standard»: Mord in Idar-Oberstein war Akt des Terrors

WIEN: Zur Tötung eines Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein, der einen Kunden an die Maskenpflicht erinnert hatte, schreibt die Wiener Tageszeitung «Der Standard» :

«Gewaltverherrlichende Verschwörungstheorien, die Andersdenkende zum Feind und Unterdrücker stilisieren oder gar zu Reptilien dehumanisieren, sind lebensgefährlich. Behörden und Medien haben sie zu lange toleriert, auch aus Angst, normale Maßnahmenkritiker zu kränken, die gar nie gemeint waren. Selbst jetzt liest man im Boulevard vom «Streit über Maskenpflicht», der der Tat, die tatsächlich eher einer Hinrichtung glich, vorangegangen sei. Oder von einem «Mord wegen Maske». Doch nicht die Maske ebnete den Weg zur Tat, sondern das ewige Narrativ, man lebe in einer Diktatur, müsse Notwehr oder Widerstand leisten.

Der Schütze sagte der Polizei, er habe sich «in die Ecke gedrängt gefühlt», «ein Zeichen setzen» wollen. Wenn das ein Neonazi sagt, der tötet, weil er glaubt, er werde von Juden, Linken und Ausländern verfolgt, bleibt er ein rechtsradikaler Terrorist. Wenn das ein Anhänger des IS sagt, der tötet, weil er für ihn Ungläubige aus dem Weg räumen will, bleibt er ein islamistischer Terrorist. Es ist Zeit, Klartext zu reden: Auch wenn der Täter noch ganz andere Probleme hatte, bleibt die Tat ein ideologisch motivierter Akt des Terrors. Sie so zu benennen, sind wir auch den Männern und Frauen schuldig, die beruflich täglich an Kassen oder in Öffis auf die Masken hinweisen müssen. Sie gehören geschützt - nicht nur vor Infektionen.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.