Südkoreaner wählen neuen Präsidenten

​Wahlen in unsicheren Zeiten

Lee Jae-myung, der Präsidentschaftskandidat der regierenden Demokratischen Partei, spricht bei einem Wahlkampfbesuch in Seoul. Foto: epa/Yonhap
Lee Jae-myung, der Präsidentschaftskandidat der regierenden Demokratischen Partei, spricht bei einem Wahlkampfbesuch in Seoul. Foto: epa/Yonhap

SEOUL: Nach fünf Jahren an der Macht tritt Südkoreas linksliberaler Präsident Moon Jae In im Mai ab. Zwei Monate vorher wählen die Bürger des High-Tech-Landes seinen Nachfolger. Die Konservativen sehen gute Chancen für einen Machtwechsel.

Lautstark verkünden die Wahlhelfer in den Straßen der Zehn-Millionenmetropole Seoul ihre Parolen von offenen Lautsprecherwagen. Die Wahlplakate auf den Kleintransportern zeigen die großformatigen Porträts der jeweiligen Kandidaten für die Präsidentenwahl in Südkorea am Mittwoch. Auch sind große Zahlen zu erkennen, die den Bewerbern zugeteilt sind. So steht etwa die «1» für den Kandidaten der regierenden Demokratischen Partei (Minjoo), Lee Jae Myung, die «2» für seinen größten Konkurrenten, Yoon Suk Yeol, von der oppositionellen konservativen Partei Macht des Volkes (PPP). Der Kreis der ursprünglich 14 Kandidaten lichtete sich zuletzt, aber die Nummern blieben.

Die Reihenfolge sagt nichts über die Beliebtheitswerte aus. Die Umfragen der vergangenen Wochen deuteten eher auf einen Zweikampf mit knappem Ausgang zwischen dem früheren Provinzgouverneur Lee und Yoon, der bis März 2021 noch Generalstaatsanwalt war, hin. Dem politischen Neuling Yoon gelang es jedoch noch auf den letzten Drücker, mit dem erfahreneren Zentrumspolitiker Ahn Cheol Soo ein Wahlkampf-Bündnis einzugehen. Der Rückzug Ahns aus dem Kandidatenrennen könnte nach Ansicht südkoreanischer Kommentatoren dem 61-jährigen Yoon möglicherweise die entscheidenden Stimmen einbringen.

Doch klar ist das nicht. Die diesjährige Wahl, zu der knapp 44,2 Millionen Bürger des High-Tech-Landes aufgerufen sind, um über den Nachfolger des sozialliberalen Präsidenten Moon Jae In zu entscheiden, hat neben einer starken Wechselstimmung im Land ihre eigenen Besonderheiten.

Viele Südkoreaner seien mit Blick auf die beiden wichtigsten Kandidaten nicht gerade enthusiastisch, sagt die Programm-Managerin Lim Sung Eun von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul. «Viele Südkoreaner sind der ewigen Negativkampagnen und der Skandale müde, die die Kandidaten umgeben», sagt Lim. «Es gab nicht viel Raum für eine tiefgreifende Debatte über das politische Programm, und die Menschen hatten kaum Gelegenheit, mehr darüber zu erfahren.»

Gegen Lee etwa gab es Vorwürfe des Fehlverhaltens in einem Skandal um mögliche Korruption bei einem Entwicklungsprojekt in Seongnam, wo er früher Bürgermeister war. Yoon sah sich als Staatsanwalt mit Beschuldigungen der politischen Einmischung konfrontiert.

Wenn aber die Popularität der Kandidaten nicht entscheidend ist, müssen für die Wähler andere Kriterien herhalten. «Der Schlüssel für die jetzige Wahl ist die Bewertung der amtierenden Regierung», sagt der Meinungsforscher Heo Ji Jae vom Institut Gallup Korea. Nach der deutlichen Niederlage bei der Präsidentenwahl vor fünf Jahren haben laut Heo die Konservativen die Unterstützung der älteren Menschen wiedergewinnen und selbst den Zuspruch unter den Jüngeren steigern können.

Vom großen Korruptionsskandal um die frühere Präsidenten Park Geun Hye, der schließlich in ihrer Amtsenthebung mündete, profitierten damals vor allem die Progressiven. Allerdings ist die Stimmung im Land angesichts von Skandalen um Ex-Justizminister Cho Kuk und andere Regierungsvertreter sowie galoppierender Immobilienpreise teilweise gekippt. Aus dieser Entwicklung hofft nun das rechtskonservative Lager, das Yoon zu seinem Hoffnungsträger machte, Vorteile zu ziehen. Moon kann sich nach einmaliger Amtszeit nicht zur Wiederwahl stellen.

Bei der Wahl steht für Asiens viertgrößte Volkswirtschaft viel auf dem Spiel. Neben der Wirtschaft spielt auch das Thema Sicherheit eine wichtige Rolle - mit dem künftigen Kurs zu Nordkorea im Zentrum. Die andauernden Raketentests Nordkoreas - bis zum Samstag waren es allein neun in diesem Jahr - machten noch einmal deutlich, welche Herausforderungen den neuen Staatschef von Beginn an erwarten. Im Mai tritt er sein Amt an.

Der 57-jährige Lee will dabei ähnlich wie Moon, wenn auch mit «neuem Ansatz», weiter auf den Nachbarn zugehen, setzt aber im Konflikt um das Atomwaffenprogramm Nordkoreas ebenso auf eine starke Allianz mit den USA. Yoon dagegen wirft der jetzigen Regierung vor, sich von Nordkorea vorführen zu lassen. Von ihm wird eine härtere Gangart gegenüber Pjöngjang erwartet.

Die wirtschaftliche Situation komme jedoch für die meisten Südkoreaner an erster Stelle und damit die Frage, wie sich die Wirtschaft von der Corona-Pandemie weiter erholt und die Probleme im Immobilienmarkt gelöst werden können, sagt Expertin Lim. Zuletzt rückte der Krieg in der Ukraine im Wahlkampf stärker in den Fokus. Dadurch erhielt auch die Außenpolitik plötzlich mehr Aufmerksamkeit.

Zwischen dem Polit-Neuling Yoon und Lee, der von vielen Landsleuten wegen seiner Direktheit und der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eher als politischer Außenseiter wahrgenommen wird, gibt es klare Trennlinien. Yoon habe sich klar einen Machtwechsel zum Ziel gesetzt, Lee habe zuletzt viel deutlicher «eine Veränderung der Politik» zum Programm gemacht, sagt Lim. Darunter sei etwa auch zu verstehen, möglicherweise die Befugnisse des Staatsoberhaupts zu beschneiden. «Wer immer auch gewinnen wird, es wird nicht leicht werden. Viele Koreaner wollen eine weniger polarisierte Gesellschaft sehen und eine normal funktionierende Regierung.»

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