Thailand Mon Amour

Zurück in die Zukunft

Ein Schulbesuch in einer Volksschule in Thailand ist für einen Mitteleuropäer im Rentenalter das perfekte Déjà-vu-Erlebnis. So sah es bei uns in den 50ern und 60ern aus: Schulbänke in Reih und Glied auf das Paukerpult ausgerichtet und dahinter eine endlose Wandtafel, die dem unbedarften Schüler den Kosmos seiner Unwissenheit bedrohlich vor Augen führte, aber immerhin mit dem Trost, dass ihm das ABC den Weg weisen wird. Die Botschaft war klar: Sei brav und fleißig, sonst fällst du in ein schwarzes Loch! So ist es hier immer noch: Klare Hierarchien, Frontalunterricht, Wandtafel, Kreide, Papier und Bleistift.

Das Vergnügen dieser Zeitreise verdanke ich meiner zehnjährigen Tochter, die hier eingeschult wurde.

Keine Games mit einem Mars-Cyborg

Wenn man den Schulhof am Morgen betritt, wirkt alles noch authentischer, weil analog. Hier wird gespielt, getobt, gerannt, gestritten, geschubst und geschrien, was das Zeug hält. Da hockt kein verstocktes Jungvolk in den Nischen mit iPhones und spielt mit einem Cyborg vom Mars um die Wette, wie in unserer schönen, neuen Welt am anderen Ende des Planeten.

Kurz vor acht ertönt aus den Lautsprechern ein Schülerchor, das akustische Logo der Schule, ein fröhliches Lied, worauf die Schüler ihre Spiele beenden und sich vor dem Fahnenmast in Reihen aufstellen. Alle tragen Uniform, bis auf die Kleinen, die nicht auf dem offenen Platz stehen, sondern unter den Lauben vor ihren Kindergärten. Sie sehen dabei nicht immer glücklich aus, einige haben verheulte Gesichter.

Bald beginnt die Nationalhymne. „Preußens Gloria“ würde hier passen, alles ist eine Spur zu martialisch für eine Schule, aber die Thai-Hymne lädt nun wirklich niemand zum Stechschritt ein, eher zum Schunkeln. Die Kleinen vom Kindergarten singen nicht, sie mimen die Hymne, da die Worte noch jenseits ihres Verständnisses sind. Sie erinnern dabei an Jungvögel, die in ihren Nestern sitzen und mit offenem Schnabel darauf warten, gefüttert zu werden.

Ist der letzte Ton verklungen, suchen die Schüler die Klassenzimmer auf, wo sie fast ausschließlich von Lehrerinnen unterrichtet werden, zwei pro Klasse, die bis zu fünfzig Schüler zählt. Ihr Tagespensum ist enorm: an fünf Tagen die Woche sind sie im Einsatz, Hausaufgaben werden im Anschluss an den offiziellen Unterricht gegen Entgelt in der Schule angeboten. Das hat einen guten Grund: Die Gehälter sind tief, die Lehrerinnen sind darauf angewiesen.

Vor einiger Zeit bekamen wir einen Anruf vom Schulrektorat. Es sei etwas passiert, ein Tourist vom benachbarten Hotel sei am Wochenende vom Balkon auf den Schulhof „gefallen“ und leider verstorben. Wir wurden gebeten, den Kindern nichts davon zu erzählen. Am Montag kam die Tochter nach Hause und berichtete die Details: wo der Mann auf dem Boden gelegen habe, von welchem Stockwerk er gesprungen sei und dass es bei Nacht geschehen war. Es hörte sich an, als wüsste sie besser Bescheid als die Polizei.

Nach einer Weile fragte sie, wieso der Mann das getan habe. Ich: „Nun... ähm... ja…, vielleicht hat er zu viel getrunken und wollte direkt vom Balkon in den Lift steigen...“! Es sah nicht danach aus, als würde sie den Schmäh schlu­cken, aber sie bohrte wenigstens nicht mehr weiter. Ich hoffe bloß, dass dort keiner mehr auf den Schulhof springt, ich könnte dann leicht in Erklärungsnot geraten, auch meiner Fantasie sind Grenzen gesetzt.

Ein paar Tage später kam ein Anruf von der Klassenlehrerin, um uns mitzuteilen, dass die Schule heute eine Stunde früher aus sei, aber sie sagte nicht warum. Auch hier sorgte die Tochter für die Details:

Darwins Theorie gilt nur für Lehrer

Mitten im Unterricht sei plötzlich ein Affe vor der Fassade des Klassenzimmers aufgetaucht und habe damit begonnen, auf der Fensterbank herumzuturnen. Das Gejohle der Kinder muss ihn angestachelt haben, immer dreis­tere Faxen und Kapriolen zu machen, was die Lehrerin zum Handeln zwang. Sie versuchte ihn mit einem Besen zu vertreiben, was auch gelang, aber leider nur so lange, bis wieder einigermaßen Ruhe herrschte. Immer wenn sie den Unterricht wieder aufnehmen wollte, sei der Makake von neuem aufgetaucht und habe seine Show abgezogen, bis sie den Bettel, oder besser: den Besen, hinwarf und Schluss machte.

Wäre ich Lehrer gewesen, hätte ich die Gelegenheit spontan genutzt, um anhand des lebenden Objekts den Beweis für Darwins Evolutionstheorie zu führen, dass der Mensch vom Affen abstamme. Aber vermutlich hätte der Klassenclown dann gerufen: „Sie vielleicht, Herr Lehrer, aber wir doch nicht!“


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Oliver Harms 04.03.19 10:25
sehr schön,
die artikel zu lesen bereiten vergnügen und lassen mich schmunzeln.