Go on!

Man hört seit dem 22. Februar 2022, dass sich die Welt verändert habe. Schuld ist der Überfall Russlands auf die Ukraine. Der kalte Krieg sei zurück. Ein neuer Krieg der Blöcke sei da.

Die Zukunft droht mit düsteren Szenarien, die eintreffen könnten: Russland macht mit Gewalt die Ukraine zu seinem Vasallenstaat, installiert in ihr eine Marionettenregierung wie in Zeiten der Sowjetunion oder „gemeindet“ sie sogar ganz in sein Staatsgebiet ein. China erobert gewaltsam im Windschatten der allgemeinen Dramatik die demokratische Republik Taiwan und macht aus der Demokratie dort eine Parteidiktatur. Viele Soldaten, viele, die Widerstand leisten, werden sterben. In den USA, die Hoffnung geben könnten, siegt das Krebsgeschwür des „Trumpismus“. In Europa sind weitere Krebsgeschwüre der Gesellschaften, sogenannte „autoritäre Regime“, im Vormarsch: Polen, Ungarn, …

Was dann? Was wird aus der Welt?

Die Menschen wollen doch leben. Sie wollen genug zu essen, Familien, einen Alltag, einen Wohlstand haben und in einem einigermaßen gesunden Klima leben. Dafür werden sie sich wohl unter all den Gewaltregimen einrichten. Zu allen Zeiten haben sie das getan, wenn die Kraft zum Widerstand zu schwach war. Sie werden sich ducken und die Feldherren, die Päpste und Tyrannen gewähren lassen.

Schauen wir einmal nicht auf die nächsten Jahre – schauen wir auf die nächsten Jahrhunderte. Wagen wir das einfach. Gibt es dann eine Hoffnung?

Das Leben hat sich aus zufälligen Aminosäuren über Zellbildungen, Mikroorganismen, Fischen, Vögeln, Dinosauriern und Säugetieren zu seiner heutigen Vielfalt entwickelt. Seit der Mensch sehr spät in dieser Entwicklung auftrat, hat er sich in seinen Gesellschaften von der Steinzeit bis ins Atomzeitalter politisch betätigt und große Imperien hervorgebracht. Es ging immer um Herrschaft. Auch der Mann in Russland will Macht, will Herrschaft und verursacht damit großes Leid.

Die Geschichte der Menschheit hält allerdings auch etwas Trost bereit: Selbst die Gewaltigsten und am meisten Gewalttätigen gingen unter. Bertolt Brecht hat etwas dazu gedichtet. Hoffentlich behält er Recht:

Am Grunde der Moldau wandern die Steine

Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.

Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne

Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.

Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne

Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

Sind sie mal wieder vernichtet, die „blutigen Hähne“, schließen sich oft kurze Perioden ohne Gewalt an. Die Völker lecken dann sozusagen ihre Wunden, bis aus ihrem eigenen Schoß neue Schufte auftreten. Schauen wir auf die letzten siebzig Jahre in Deutschland. Wir hatten den längsten Frieden seit Jahrhunderten im Land. Eine neue Tyrannei konnten wir vermeiden. Aber wird das so bleiben? Es gibt Anzeichen für neue Dummheiten und Dummköpfe unter uns. Viele Verrückte sägen wieder am Ast des Lebensbaumes, auf dem wir sitzen.

Alle Menschen, die guten Willens sind, streben hoffentlich nach folgender Utopie: Das Herrschaftsdenken soll einmal altmodisch werden, sozusagen aus der Mode kommen. Es soll im Gedächtnis der Menschen zu einem lächerlichen veralteten Konzept degenerieren, zu einer dummen Angewohnheit aus vergangenen Jahrhunderten, die ausgedient hat und an die man sich mit Schaudern erinnert. Nur die Historiker werden sich daran noch die Hände schmutzig machen dürfen. Macht- und Herrschaftsdenken haben genug Elend über die Menschen gebracht hat. Genug ist genug!

Herrschaftsgetue war und ist eng verknüpft mit Militarismus und Religionen. Wir hoffen, das Getue wird vertrocknen und absterben wie ein Baum, dem die Säfte ausgehen und der seinen Lebenskreis vollendet hat. Soldatentum und religiöser Fanatismus sollen gleich mit absterben. Es gibt keine Offiziere mehr und keine Götter.

Herrschaftswahn, die Soldateska und religiöse Höllen und Himmel haben die Menschheit, so absurd das klingt, aber auch weitergebracht. Sie haben großartige Erfindungen und ungeheure kollektive Leistungen ermöglicht. Hoffen wir dennoch, sie haben als Verhaltenskonzept für Gladiatoren eines Tages ausgedient. Hoffen wir, dass die „blutigen Hähne“ uns eines Tages soweit vorangebracht haben und so tief haben sinken lassen, dass wir auf sie verzichten können und müssen. Wir werden auch ohne sie weiterkommen und das besser.

Das, lieber Leser, leider, wie gesagt, erst in einigen Jahrhunderten.


Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.