Zwischen Flüchtlingshilfe und Olympia

Seglerin Anastasiya Winkel  

Das undatierte Handout zeigt Anastasiya und Malte Winkel bei der WM 2018 in Aarhus. Die gebürtige Ukrainerin Anastasiya Winkel hilft den vor dem Krieg geflohenen Menschen aus ihrer alten Heimat. Foto: Felix Diemer
Das undatierte Handout zeigt Anastasiya und Malte Winkel bei der WM 2018 in Aarhus. Die gebürtige Ukrainerin Anastasiya Winkel hilft den vor dem Krieg geflohenen Menschen aus ihrer alten Heimat. Foto: Felix Diemer

PALMA DE MALLORCA: Sie trägt derzeit viel Last auf ihren Schultern: Olympia-Seglerin Anastasiya Winkel kämpft für Geflüchtete aus ihrer ukrainischen Heimat und sorgt sich um die eigene Familie und Freunde. Zugleich hat sie mit ihrem Mann ambitionierte sportliche Ziele.

Auf dem Wasser findet Anastasiya Winkel ein wenig Ablenkung vom Krieg in ihrer ukrainischen Heimat. «Es ist gerade nicht einfach, den Kopf beim Segeln freizubekommen, aber es tut auch gut, auf dem Wasser zu sein», sagt die 29-Jährige. Ihr Segelpartner und Ehemann Malte Winkel sieht, wie die Situation seine Frau mitnimmt. «Die Gesamtsituation ist sehr belastend für Nastja», erklärt er. «Sie hat lange in Kiew gelebt und viele Freunde und Bekannte dort. Sie engagiert sich enorm, wann immer wir nicht segeln, und macht wirklich viel.»

In dieser Woche startet das Ehe- und Segel-Paar vor Mallorca beim Klassiker Trofeo Princesca Sofia. Es ist der Beginn der Olympia-Kampagne 2024. Bei den olympischen Regatten in zwei Jahren vor Marseille geht es in der 470er-Bootsklasse erstmals im Mixed um Edelmetall. Die Winkels wollen gemeinsam für Deutschland dabei sein. Er als Steuermann, sie als Vorschoterin. Doch das Grauen in der Ukraine überschattet die Gedanken an möglichen Medaillenglanz.

Seit fast fünf Jahren ist Anastasiya Winkel mit ihrem Mann Malte (29) verheiratet. Vor einem Jahr hat sie ihre deutsche Einbürgerungsurkunde erhalten. Sie schaffte mit Luise Wanser noch den Sprung zu den Olympischen Spielen in Tokio und verpasste im 470er wegen einer Doppel-Disqualifikation als Sechste eine mögliche Medaille.

Das alles ist seit dem 24. Februar weit weg. Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine hat Anastasiya Winkel in Kiel eingeholt. Sie sorgt sich um ihre Mutter und Oma in der Heimatregion Luhansk und um ihren Bruder Wladislaw in Kiew, zu dem der Kontakt immer wieder abreißt. Zugleich hilft Anastasiya Winkel Menschen auf der Flucht.

Mehr als 40 Geflüchteten vermittelte sie schon Unterkünfte in Kiel, Hamburg, bei Neumünster, in Spanien und in Italien. Segel-Kollegen wie der olympische 49er-Bronzemedaillengewinner Erik Heil, das Barcelona Sailing Center oder ein italienischer Segelmacher helfen mit Privatquartieren.

«Es sind vor allem Frauen und Kinder, die hier mit wenig bis nichts ankommen», berichtet Anastasiya Winkel. «Sie haben Angst, sind krass traumatisiert von der Bombardierung und vor dem unglaublichen Schrecken geflohen. Sie können jede Hilfe gebrauchen.» Es sei wichtig, dass die Geflüchteten in Stadt- oder Verkehrsmittelnähe untergebracht werden, «weil die Geflüchteten sonst ohne Auto und meist ohne Sprachkenntnisse isoliert bleiben».

Der Krieg hat Winkels Umfeld vielfach getroffen. Ein Freund aus Berlin besuchte seine Familie in Mariupol ausgerechnet kurz vor Kriegsbeginn. «Er kam nicht mehr weg. In der ersten Woche hat er sich noch gemeldet, dann lange nicht mehr. Wir haben uns so viele Sorgen gemacht», sagt sie.

Inzwischen habe es weitere kurze Kontakte gegeben. Ohne Strom, Wasser und Gas sei die Lage verheerend, erzählt Anastasiya Winkel über die Zustände, wie sie ihr geschildert werden. «Die Menschen können nur ab und zu draußen am Feuer kochen, wenn sie sich trauen. Und vielleicht einmal ihr Handy am Auto aufladen. Wenn man sich überhaupt traut, dahinzugehen.»

Dem Horror des Krieges versucht die Weltklasse-Seglerin mit Menschlichkeit zu begegnen. Ihr Sport und das starke Seglernetzwerk helfen ihr. «Die Solidarität unter Seglern für die Menschen in der Ukraine ist krass», sagt Malte Winkel. «Wir können nur hoffen, dass sich die Situation bald bessert.»

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