Libanons verarmte Soldaten

Ein Land vor dem Kollaps

Die libanesische Armee hält Wache. Foto: epa/Wael Hamzeh
Die libanesische Armee hält Wache. Foto: epa/Wael Hamzeh

BEIRUT: Ein brodelnder Konflikt mit Israel und eine Armee, die keine Löhne zahlen kann und von der mächtigen Hisbollah für überflüssig erklärt wird: Im Libanon braut sich eine gefährliche Mischung zusammen.

Die libanesische Armee galt lange Zeit als Garant der nationalen Sicherheit im Libanon. Heute ist sie wirtschaftlich so geschwächt, dass sie ihren Soldaten kaum noch Gehälter zahlen kann. «Morgens gehe ich meiner Arbeit bei der Armee nach», sagt ein Militärangehöriger, der lieber anonym bleiben will, der Deutschen Presse-Agentur. «Am Nachmittag und in der Nacht fahre ich Taxi.» Wie ihm geht es vielen Militärs im Libanon.

Die miserable Wirtschaftslage der Soldaten stellt in Zeiten wachsender Spannungen mit dem Nachbarland Israel und einem sogar unmittelbar drohenden Krieg ein Sicherheitsrisiko für den Libanon und die Region dar. Die vom Iran unterstützte, machtvolle Schiitenmiliz Hisbollah, die weite Teile des Landes kontrolliert, verstärkt das Konfliktpotenzial noch zusätzlich. Die von Deutschland und vielen anderen Ländern als Terrororganisation eingestufte Hisbollah inszeniert sich nicht nur als der stärkere und fähigere Konkurrent, sondern hat im Libanon eine Art «Staat im Staat» aufgebaut - mit gefährlichen Folgen.

Noch vor 2019 - bevor der Libanon in die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte schlitterte - verdiente ein regulärer Soldat rund 1500 Euro im Monat. Doch dem Land gehen die Devisen aus. Staatliche Institutionen können ihre Gehälter zum Teil nur noch in lokaler Währung zahlen, die im Zuge der Krise mehr als 95 Prozent an Wert verloren hat. Heute bringt ein Soldat im Durchschnitt umgerechnet nur noch knapp 130 Euro nach Hause. Ein Gehalt, das in dem tief korrupten Mittelmeerstaat kaum zum Überleben reicht, geschweige denn eine Familie ernähren kann.

Sorge vor Machtübernahme durch Milizen

«Die wirtschaftliche Situation hat viele Soldaten und Polizisten dazu gezwungen, eine andere Arbeit anzunehmen, um über die Runden zu kommen», sagt der Ex-General und Militärexperte Wehbe Katicha. Bisher habe die Armee weggeschaut, denn sie verfüge einfach nicht über genügend Mittel, um volle Gehälter zu zahlen. «Das ist sehr gefährlich.»

Sollte die Armee zerfallen, könnte das schwerwiegende Konsequenzen haben. «Wenn es keine Armee gibt, werden Milizen ihre Rolle einnehmen, und das Land wird im Chaos versinken», warnt Katicha. So war es bereits im libanesischen Bürgerkrieg. Zwischen 1975 und 1990 kollabierte die Armee. Milizen verschiedener Konfessionen rissen die Macht an sich und trieben den Libanon in einen blutigen Kampf zwischen den Konfessionen.

Bundesaußenministerium Annalena Baerbock (Grüne) warnte Anfang Januar nach einem Besuch in der Hauptstadt Beirut vor einem ähnlichen Szenario. Eine gut ausgestattete und ausgebildete libanesische Armee, deren Soldaten wie in jeder anderen Armee bezahlt würden, sei ein unverzichtbarer Bestandteil, um wirksame Kontrolle über libanesisches Territorium auszuüben und bewaffnete Milizen und Terrororganisationen einzudämmen.

Die Probleme des Libanons

Für viele Soldaten ist ihre eigentliche Arbeit heute jedoch zur Nebensache geworden. Und das in einer Zeit, in der sich der Libanon durch die Angriffe der - mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen verbündeten - Hisbollah in der seit Jahren schlimmsten Eskalation Israel befindet. Ein Krieg erscheint mit jedem Tag ohne diplomatische Lösung wahrscheinlicher. Zusätzlich stellt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien den Libanon auf die Probe. Unabhängig von der Geldknappheit des Militärs mangelt es auch sonst an so gut wie allem: Es gibt weder ein Staatsoberhaupt noch eine voll handlungsfähige Regierung.

«Ich bin einfach nur müde. Meinen Kollegen in der Armee geht es ähnlich», sagt der taxifahrende Armeemitarbeiter. «Auch an meinen freien Tagen arbeite ich Tag und Nacht. Sollte ich einen Job finden, bei dem ich besser und in Dollar bezahlt werde - egal ob hier oder im Ausland - werde ich kündigen und den Dienst verlassen. Am Ende ist das Überleben meiner Familie das Wichtigste», sagt er.

Mit Ausbruch des Gaza-Krieges hatte die Hisbollah entschieden, auch den Libanon mit in den Konflikt zu ziehen. Schon einen Tag nach dem Hamas-Großangriff auf Israel am 7. Oktober flogen ihre ersten Raketen auf Ziele im Norden des Nachbarlandes. Täglich kommt es seitdem an der Grenze zu gegenseitigem und zum Teil tödlichen Beschuss.

Schattenstaat Hisbollah

«Die Macht der Armee wird nicht nur durch die wirtschaftlichen Probleme geschwächt», sagt der Libanon-Kenner und Analyst Makram Rabah. Ihre Macht sei auch durch die Strategien der Hisbollah zerrüttet. So propagiert die Miliz, die Armee sei nicht imstande, selbst die Grenze zum verfeindeten Israel zu schützen. Überhaupt: «Die Zerstörung der Idee des Staats hat die Idee der Armee zerstört», sagt Rabah.

Die Hisbollah kontrolliert vor allem den Süden an der Grenze zu Israel, von Schiiten bewohnte Viertel von Beirut sowie die Bekaa-Ebene im Norden des Landes. Als starke politische Macht ist sie die einzige Gruppe, die nach dem Bürgerkrieg offiziell ihre Waffen behalten durfte. Sie behauptet, im Besitz von Zehntausenden Raketen zu sein, die das gesamte israelische Territorium erreichen könnten. Nach Aussagen ihres Anführers Hassan Nasrallah stehen ihr rund 100.000 Kämpfer zur Verfügung. Überprüfen lässt sich diese Zahl nicht. Aber stimmt sie, wäre die Hisbollah größer als die libanesische Armee mit offiziell 85.000 Angehörigen.

Auch Militärexperte Katicha sieht das Vorgehen der Miliz als Gefahr an. Trotz der wirtschaftlichen Probleme seien die libanesischen Streitkräfte ausreichend trainiert, um «problemlos den Frieden an der Grenze aufrechtzuerhalten». Die Hisbollah müsse sie nur lassen. «Sollte die Hisbollah das nicht erlauben, dann wäre das ganze Land gefährdet.»

Unterstützung kommt auch aus Deutschland. Nach Baerbocks Besuch in Beirut sicherte sie dem Libanon finanzielle Unterstützung in Höhe von 15 Millionen Euro zu, damit die Armee besser für die Sicherheit im Süden des Landes sorgen kann. Damit soll Treibstoff bezahlt werden, aber auch mittelfristige Maßnahmen, unter anderem die Grenzüberwachung auf der Landseite. Gehälter des Militärs sollen damit aber nicht bezahlt werden.

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