Japan meldet Erfolg im Corona-Kampf

​Kann das Land ein Vorbild sein?

Die Friseursalonbesitzerin Akiko Hara (R) posiert mit ihrer Freundin (L) für einen
Die Friseursalonbesitzerin Akiko Hara (R) posiert mit ihrer Freundin (L) für einen "Selfie", während beide einen Gesichtsschutz aus Plastik tragen, während sie in einem Izakaya (japanische Kneipe) in Osaka zu Abend essen. Foto: epa/Dai Kurokawa

TOKIO: Japan hat die Corona-Krise offenbar unter Kontrolle gebracht - ohne harte Ausgangsbeschränkungen wie in Europa. Mehr Anerkennung wurde international zwar eher Taiwan und Südkorea zuteil. Experten wie Christian Drosten empfehlen aber durchaus, von Japan zu lernen.

Was musste sich Japan anfangs nicht alles für Kritik anhören. Das Land lasse viel weniger auf das Coronavirus testen als andere Staaten. Aus Sicht von Kritikern wollte die Regierung auf diese Weise das Ausmaß der Krise herunterspielen, um die Olympischen Spiele im Sommer nicht zu gefährden. Wie sonst könne es angehen, dass ein Land wie Japan mit so hoher Bevölkerungsdichte und solch hohem Anteil an alten Menschen nach offizieller Zählung viel weniger Infektionsfälle und Tote aufweise als andere Staaten? Nun vermeldet Japan, die Krise weitgehend unter Kontrolle gebracht zu haben. Ohne harte Ausgangsbeschränkungen wie in Europa. Taugt Japan als Modell?

Der deutsche Virologe Christian Drosten ist jedenfalls der Ansicht, Deutschland könne sich am Weg der Japaner orientieren, um eine zweite Corona-Welle zu verhindern. «Japan hat für alle, die das beobachten in den Inzidenzstatistiken, seit langer Zeit eine langsam nach unten kriechende Kurve», erklärte er im NDR-Podcast.

Stand Montag waren in Japan rund 17.500 Infektionen erfasst. Rund 900 Menschen sind der offiziellen Statistik zufolge in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Diese vergleichsweise niedrigen Zahlen schienen Anfang April noch unmöglich, als die Infektionsfälle in Tokio und anderen Städten deutlich zu steigen begannen - während im benachbarten Südkorea mit seinen vielgelobten Massentests die Kurve abflachte.

Erst nach langem Zögern verhängte Japans Regierungschef Shinzo Abe am 7. April für Tokio und andere Gebiete den Notstand und weitete ihn später aufs ganze Land aus. Die Bürger wurden aufgerufen, zu Hause zu bleiben, Abstand zu halten und Menschenansammlungen zu meiden. Für einen Lockdown wie in Europa hat Abe gar keine rechtliche Handhabe. Dennoch konnte er nur eineinhalb Monate später den Notstand aufheben. Wie war das möglich?

Japan setzt auf eine Cluster-Strategie: Sobald eine infizierte Person entdeckt wird, werden die Kontakte des Betroffenen analysiert. Jeder Infektions-Cluster wird auf seinen Ursprung hin verfolgt, sämtliche Personen darin werden als infiziert betrachtet und sofort isoliert. Es wird nicht erst abgewartet, ob ein Test eine Infektion tatsächlich bestätigt.

Die meisten Cluster im Land ließen sich auf Orte mit Menschenansammlungen zurückführen - Fitnessstudios, Nachtclubs und Karaokeräume zum Beispiel. Drosten spricht von Superspreading-Events, für deren Vermeidung Japan ein Vorbild sein könne. Gerade mit Blick auf die Öffnung von Schulen und Kindergärten sei sein Eindruck: «Was wir wirklich einüben müssen, ist das frühe Erkennen von Clustern und das sofortige Isolieren der Cluster-Mitglieder.»

Für seinen Ansatz brauchte Japan keine Massen-Tests wie in anderen Ländern, was Japan auch kostengünstiger kam. «Es ist unmöglich, das Auftreten von Clustern nur durch das Testen vieler Menschen zu stoppen», erklärte der Virologe Hitoshi Oshitani von der Tohoku University in der Fachzeitschrift «Science».

Ein weiterer Erfolgsfaktor Japans liegt in der Gesellschaft des Landes, seinen Traditionen und der Kultur begründet. Die große Mehrheit der Bevölkerung folgte freiwillig dem Aufruf der Behörden, Orte mit großen Menschenansammlungen zu meiden und möglichst zuhause zu bleiben. Zudem legen Japaner schon seit jeher extrem hohen Wert auf Hygiene.

Mundschutz zum Beispiel bei einer Erkältung zu tragen, um andere nicht anzustecken, ist schon lange üblich. Genau wie das Verbeugen anstelle des Händeschüttelns oder das Ausziehen der Schuhe, bevor man ins Haus geht. Lautes Unterhalten in Bahnen, die in Japans Mega-Städten chronisch überfüllt sind, gilt als unhöflich. Da beim Sprechen Tröpfchen mit Viruspartikeln in die Umgebung gelangen, kann auch das ein Faktor sein.

Doch nicht alles ist vorbildlich in Japan. So beklagen Experten einen Mangel an Fachkräften, die den Verlauf von Infektionskrankheiten verfolgen können. Auch fehlt es in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt an ausreichend Ärzten, die im Umgang mit solchen Krankheiten geschult sind. Hinzu kommt laut Kritikern, dass es der Staat versäumt hatte, ausreichend Schutzausrüstung für das medizinische Personal in Krankenhäusern bereitzustellen.

Zwar gehen die Infektionszahlen zurück, dennoch konnte auch der Fokus auf Cluster nicht verhindern, dass es in Krankenhäusern zu Ausbrüchen kommt. Das Gesundheitssystem sei zeitweise dem Zusammenbruch nahe gewesen, so Kritiker. Und: Japans Vorgehensweise erweist sich zwar zumindest bisher als erfolgreich, es war aber nicht ohne Risiko. «Das ist gutgegangen, hätte vielleicht auch schiefgehen können. Die Datenlage gab es nicht wirklich», sagt Drosten.

Und auch in Japan gibt es weiter die Sorge, dass es zu einer zweiten großen Infektionswelle kommen könnte. Trotz der Aufhebung des Notstands sei die Corona-Krise «nicht vorbei», erklärt der japanische Virologe Oshitani. Er rechne von Zeit zu Zeit mit Ausbrüchen, glaube aber, «dass wir diese kleinen Ausbrüche managen können».

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