Nato hat Militäreinsatz in Afghanistan beendet

Ein leiser Abschied

Foto: epa/Ghulamullah Habibi
Foto: epa/Ghulamullah Habibi

BRÜSSEL: Schluss, aus und vorbei: Der Militäreinsatz der Nato in Afghanistan ist Geschichte. Reden will das Bündnis bislang allerdings nicht darüber. Nur aus taktischen Gründen?

Die Nato hat ihren Militäreinsatz in Afghanistan nach knapp zwei Jahrzehnten still und leise beendet. Wie der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel von mehreren Diplomaten und Militärs bestätigt wurde, stehen die derzeit noch im Land stationierten Soldaten aus Staaten wie den USA und der Türkei mittlerweile vollständig unter der Führung der nationalen Kommandoketten. Der bislang blutigste Militäreinsatz des Bündnisses sei damit de facto Geschichte, hieß es. Allein die amerikanischen Streitkräfte verloren am Hindukusch mehr als 2300 Soldaten. Die Bundeswehr beklagte 59 Opfer.

Der Nato-Einsatz am Hindukusch hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf Wunsch der USA begonnen, um dem von Afghanistan ausgehenden Terrorismus ein Ende zu bereiten. Von August 2003 bis Dezember 2014 führte das Bündnis die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf) in dem Land. Diese bestand in Spitzenzeiten aus mehr als 130.000 Soldaten. Sie war oft auch in Kämpfe der afghanischen Regierungstruppen gegen die militant-islamistischen Taliban einbezogen.

2015 folgte dann der Einsatz «Resolute Support» für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan.

Dass das Ende des Militäreinsatzes bislang nicht offiziell kommuniziert wurde, hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur damit zu tun, dass der Operationsplan formell noch nicht außer Kraft gesetzt wurde. Er ermöglicht es bislang zum Beispiel noch, Gelder für das weiter bestehende zivile Engagement der Nato in Afghanistan bereitzustellen. Eine Bündnissprecherin teilte am Freitagnachmittag mit, der formelle Beschluss zur Beendigung der «Resolute Support Mission» werde innerhalb der kommenden Monate erwartet.

Als ein weiterer Grund für das Schweigen gilt, dass der nationale Einsatz der USA noch läuft. US-Präsident Joe Biden hatte zuletzt eine Beendigung bis Ende August angekündigt. Die Vereinigten Staaten hatten stets auch zahlreiche Soldaten im Land stationiert, die nicht Teil der Nato-Einsätze waren. Dies ermöglichte es ihnen, den afghanischen Streitkräften auch militärische Unterstützung zu leisten, die im Rahmen des Nato-Mandats nicht hätte erfolgen können.

Die unter Bündnisbefehl stehenden Soldaten hatten sich seit 2015 auf die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften konzentriert. Ein Mandat für Kampfeinsätze gab es seitdem nicht mehr. Die letzten deutschen Soldaten kehrten bereits am 30. Juni in die Heimat zurück.

Zu den wenigen ausländischen Streitkräften im Land zählen neben den Amerikanern unter anderem noch Türken und Norweger. Die Türkei sichert derzeit den Flughafen von Kabul und die Norweger betreiben ein Feldkrankenhaus. Ein sicherer Betrieb des Flughafens gilt - zusammen mit einer medizinischen Versorgung - als Voraussetzung dafür, dass Botschaften und internationale Vertretungen im Land bleiben können.

Die Nato hatte im April entschieden, den Abzug aus Afghanistan einzuleiten. Zuvor hatten sich die USA als größter Truppensteller gegen einen weiteren Verbleib in dem Land entschieden. Für die Partner wäre eine Fortführung des Einsatzes deswegen nur noch mit erheblichen Zusatzkosten und Risiken möglich gewesen. Anfang des Jahres waren noch etwa 10.000 reguläre Soldaten aus Nato-Ländern und -Partnerstaaten in Afghanistan, darunter auch rund 1000 aus Deutschland.

Wie es in Afghanistan nach dem vollständigen Abzug der westlichen Truppen weitergeht, ist unklar. Seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen Anfang Mai hat sich die Sicherheitslage zugespitzt. Die militant-islamistischen Taliban haben in mehreren Offensiven seit Anfang Mai mehr als ein Viertel der Bezirke überrannt, und sie sind in mehrere Provinzhauptstädte eingesickert. Befürchtet wird, dass die Taliban kurz nach der Beendigung des US-Einsatzes komplett die Macht im Land übernehmen könnten. Für die junge Demokratie in Afghanistan mit ihren Fortschritten bei Frauenrechten oder der Medienfreiheit könnte eine solche Entwicklung der Todesstoß sein.

Auf Kritik an der Abzugsentscheidung hat die Nato zuletzt immer wieder entgegnet, dass sie weiter finanzielle Unterstützung leisten werde und künftig im Ausland Trainingscamps für afghanische Spezialkräfte organisieren wolle. Erste Ausbildungseinheiten sollen im Idealfall noch diesen Monat starten können.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Frank Matthias 18.07.21 23:00
Alles wie vorher
Wahrscheinlich wird in Afghanistan wieder alles wie vorher.
Warum auch sollten Mädchen zur Schule gehen, womöglich noch studieren, das macht keinen Sinn, sagt der Taliban.
Archaische Herrschaftsstrukturen aus männlicher Sicht ist doch in Ordnung.
Westliche Einflüsse, bloss nicht, alles verdorben,
Das alte System hatte gut funktioniert, Mohnanbau ausbauen, das Geld bei den Warlords ist gut aufgehoben, der Rest wird sich finden und fügen.
Ingo Kerp 18.07.21 13:50
Die NATO zieht sich aus AFG zurück. Zwar nicht so schmählich wie seinerzeit aus Vietnam aber dennoch ein Rückzug. Der erfolgt aus dem Land AFG nach 20 Jahren und Milliarden von US$ / € Kosten, umsonst Getoeteten und einem total sinnlosen Krieg, bei dem es überblickbar war, das es keine westl. Sieger geben konnte. Jetzt ist das Land für sich selbst zuständig und die Taliban werden es prägen.
Klaus-Peter Kostag 18.07.21 13:30
Ein fast Endlossieg
Ich war selbst privat/geschäftlich zwischen Januar bis Mai 2009 in Afghanistan. Ich bewunderte dort auch mehrmals die BUNDESWEHR in ihrer Festung in Masar e Sharif. Machte auch einen Abstecher nach Usbekistan und lehrte unter anderem kontinuierlich mindestens zwei mal wöchentlich als Judotrainer. Ein großartiges Volk, diese Afghanen. Und, sooft ich auch nach TALIBAN fragte, wurde ich stets sehr höflich auf das Dorf, auf die Stadt, die Gegend nebenan verwiesen. Dort angelangt, wurde glaubwürdig dasselbe beschworen. Auch die unbekannten, sehr athletischen jungen Burschen, die in immer wieder neuem Wechsel als fremde Gäste zum Judotraining vorbei kamen, erklärten mir meine Frage nach Taliban ähnlich. Dann wurde mir angeboten, afghanischer Nationaltrainer JUDO zu werden. Diese Idee käme von den Taliban, die hätten mich (aus den Nachbardörfern vermutlich) sehr intensiv beobachtetet und würden mich gut kennen und mögen. Und alle äußerten mir ihre helle Begeisterung ob der NATO. Und bewunderten diese UNSCHLAGBAREN. Inzwischen hat die NATO offiziell und mehrfachst die Regionalmächte CHINA und RUSSLAND zum Feind erklärt.
Da können sich die beiden Delinquenten China/Russland sicher sein, dass sie demnächst ähnlich haushoch unterliegen werden, wie die abartigen Taliban in Afghanistan. Und ich bin mir ziemlch sicher, bei meinen künftigen China/Russland Visiten werden die chinesischen und russischen Talibanisten nie dort auftauchen, wo ich bin.
Auffindbar immer nur im Nachbarort . . .