Berlin gibt unser Geld falsch aus

EU braucht Trendumkehr

Foto: epa/Christina Rizk
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HANNOVER (dpa) - Der Brexit droht, den Konjunkturmotor der deutschen Industrie ins Stottern zu bringen. Auf der Hannover Messe mangelt es daher nicht an Warnungen und Mahnungen. Der BDI-Chef wird dabei besonders deutlich.

Mit harscher Kritik an der Bundesregierung hat BDI-Chef Dieter Kempf seine Warnung vor konjunkturellen Turbulenzen verbunden. «Die große Koalition gibt unser aller Geld falsch aus», rügte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) am Montag auf der Hannover Messe und hielt der Bundesregierung «gefährliche Alleingänge» vor allem in der Energie- und Klimapolitik vor. «Das Ziel, Treibhausgas-Emissionen um 95 Prozent bis 2050 zu reduzieren, wie es das Bundesumweltministerium wünscht, ist im nationalen Alleingang schlichtweg nicht zu stemmen», meinte er.

Gerade noch machbar seien 80 Prozent Minus. «Die 95 Prozent sind, wenn überhaupt, nur bei weltweit gleichwertigen Klimaschutzanstrengungen denkbar.» Die deutschen Strompreise seien schon heute die höchsten in ganz Europa.

Die Bundesregierung müsse jetzt den Investitionsturbo starten, so Kempf - nicht nur im Klimaschutz, sondern auch bei der Digitalisierung. Denn am Konjunkturhimmel drohen dunkle Wolken: «Wir im BDI rechnen fürs laufende Jahr nur noch mit 1,5 Prozent Plus bei deutschen Waren- und Dienstleistungsausfuhren.» In einer solchen Lage könne die deutsche Industrie froh sein, das weiter recht hohe Niveau der Industrieproduktion überhaupt zu halten.

«Wir erwarten gerade noch eine schwarze Null», sagte der BDI-Präsident. Sein Verband befürchtet bei einem ungeordneten britischen EU-Austritt noch in diesem Jahr einen Rückschlag für die deutsche Wirtschaft von mindestens einem halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts. «Unsere BIP-Prognose von derzeit 1,2 Prozent müssten wir dann anpassen - und mit nur noch 0,7 Prozent Plus rechnen», sagte Kempf bei der weltgrößten Industrieleistungsschau.

Die Europäische Union forderte er auf, die Industrie durch eine gemeinsame Strategie zu stärken und sich wieder um mehr zu kümmern, als nur um den Brexit. Europa habe wirtschaftliche Bedeutung und politischen Einfluss verloren und müsse diesen Trend dringend umkehren. Nach der Europawahl im Mai habe die rasche Vollendung des Binnenmarkts für Digitales, Energie und Dienstleistungen Priorität. Kempf: «Es geht darum, Herausforderungen wie dem kraftraubenden Brexit, der verstörenden US-Handelspolitik oder dem Staatskapitalismus Chinas wirksam etwas entgegenzusetzen.»

Zudem müsse die EU Protektionismus bekämpfen, die Forschung fördern und eine gesamteuropäische Infrastruktur für Verkehr, Energie und Digitalnetze vorantreiben. «Die Forschungsausgaben sollten auf 160 Milliarden Euro über den nächsten Sieben-Jahres-Zeitraum steigen - doppelt so viel wie heute», verlangte Kempf.

Im Fokus der Messe stehen künstliche Intelligenz sowie der Mobilfunkstandard 5G. Kempf möchte, dass 5G-Mobilfunknetze und glasfaserbasierte Netze bis 2025 für alle Unternehmen, privaten Haushalte und entlang der Verkehrswege zur Verfügung stehen. Dafür seien vereinfachte Genehmigungsprozesse nötig, um mit technologischen Vorreitern wie Korea oder China mithalten zu können. Deutschland sei auch auf technische Lösungen internationaler Unternehmen angewiesen. Kempf: «Digitale Souveränität darf nicht digitale Autarkie bedeuten.»

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