Armenien sucht Schutz Russlands

Nach aserbaidschanischen Angriffen

Die Presseabteilung der armenischen Regierung zeigt den armenischen Premierminister Nikol Pashinyan. Foto: epa/Armenian Goverment Press Service
Die Presseabteilung der armenischen Regierung zeigt den armenischen Premierminister Nikol Pashinyan. Foto: epa/Armenian Goverment Press Service

ERIWAN/BAKU: Bei schweren Kämpfen zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus sind Dutzende Soldaten getötet worden. Eriwan bittet ein von Moskau dominiertes Verteidigungsbündnis um Schutz. Doch Russland ist derzeit anderweitig beschäftigt.

Im Schatten des Ukraine-Krieges sind zwischen Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus erneut schwere Kämpfe mit Dutzenden Toten ausgebrochen. Beide Seiten meldeten am Dienstag den Tod von jeweils etwa 50 ihrer Soldaten. Für Armenien sagte Ministerpräsident Nikol Paschinjan aber in der Hauptstadt Eriwan, das seien noch keine endgültigen Zahlen.

Die Gefechte zwischen den verfeinden Ex-Sowjetrepubliken begannen in der Nacht und gingen auch am Tag vereinzelt weiter. Gegen Abend habe sich der Artilleriebeschuss etwas beruhigt, teilte das armenische Verteidigungsministerium mit. Die EU, die Vereinten Nationen und die USA schalteten sich ein und drangen auf ein Ende der Kämpfe. Am Mittwoch werde sich der Sicherheitsrat in New York mit dem Konflikt der beiden Ex-Sowjetrepubliken befassen, meldete die russische Agentur Tass unter Berufung auf UN-Quellen.

Zum Ausbruch der Kämpfe hieß es aus Eriwan, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein großangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe.

Armenien und Aserbaidschan bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Berg-Karabach. Im Herbst 2020 hatte Armenien einen Krieg gegen seinen Nachbarn verloren. Infolgedessen musste das Land die Kontrolle über den Großteil des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Berg-Karabachs aufgeben. Damals wurde eine russische Friedenstruppe zum Schutz der Waffenruhe in der Region stationiert. Allerdings wurde diesmal nach armenischen Angaben nicht die Exklave angegriffen, sondern Stellungen im Kernland Armenien.

Wegen der angespannten Lage telefonierte Paschinjan bereits in der Nacht mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dabei habe der Regierungschef um Hilfe der Militärallianz OVKS gebeten, teilte das armenische Fernsehen mit. Das Verteidigungsbündnis der früheren Sowjetrepubliken Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan beriet am Dienstagabend. Putin nahm an der Videokonferenz teil. Beschlossen wurde nur, den OVKS-Generalsekretär Stanislaw Sass zur Erkundung der Lage ins Konfliktgebiet zu senden, wie die belarussische Agentur Belta meldete.

US-Außenminister Antony Blinken rief zu einem Ende der Kämpfe auf. Blinken habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev in einem Gespräch aufgefordert, «die Feindseligkeiten einzustellen», teilte das US-Außenministerium mit. In einer Unterhaltung mit Paschinjan betonte Blinken dem Ministerium zufolge «die Notwendigkeit eines Rückzugs der Streitkräfte». Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sprach mit Aliyev und forderte ein Ende der Kämpfe.

Russland gilt traditionell als Schutzmacht Armeniens im Kaukasus. Aus dem Kreml hieß es, Moskau setze auf eine diplomatische Lösung der Krise. Die russische Führung hat derzeit kein Interesse, sich an einem Nebenkriegsschauplatz, wie sie es sieht, militärisch zu engagieren. Russland ist wegen des seit einem halben Jahr laufenden Angriffskriegs in der Ukraine gebunden. Zuletzt mussten russische Streitkräfte im Nachbarland eine empfindliche Niederlage einstecken.

Auch die EU forderte Eriwan und Baku zu Verhandlungen auf. Es brauche einen vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand, schrieb EU-Ratschef Charles Michel auf Twitter. «Es gibt keine Alternative zu Frieden und Stabilität - und es gibt keine Alternative zur Diplomatie, um dies zu gewährleisten.» Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilte mit, dass Michel Kontakt zu den Staats- und Regierungschefs der zwei Länder aufnehme. Die EU sei entschlossen, weiter zu vermitteln. Der EU-Sonderbeauftragte Toivo Klaar werde unverzüglich in beide Länder reisen.

Neben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bot sich zudem der im Süden an Armenien und Aserbaidschan grenzende Iran als Vermittler an. Die Türkei als Verbündete Aserbaidschans wiederum warf Armenien «Provokationen» vor. Eriwan solle sich auf Friedensverhandlungen mit Baku konzentrieren, schrieb der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf Twitter.

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