Streit und Versöhnung

Der Mann, der vor seiner Frau keine Angst hatte

In einer Familie lebten einst der Vater, die Mutter und drei Kinder. In dieser Familie gab es oft Zank und Streit. Vater und Mutter stritten sich hin und her, und es war kein Ende. Und doch vermochten die Eheleute nicht, voneinander zu lassen. Jedes Jahr kam wieder ein Kind zur Welt, zuerst war es eines, dann zwei, schliesslich drei, und das vierte war auch schon unterwegs.

Eines Tages übertraf der Ehestreit an Schärfe alles bisher da Gewesene. Zerschnitten war das einigende Band, zerrissen bis zum Tode. An Versöhnung war nicht mehr zu denken, das gemeinsame Leben musste ein Ende finden. Weder der eine noch der andere vermochte dem Streit Einhalt zu gebieten, ihn beizulegen kam nicht in Frage, keiner hörte mehr auf den anderen. Erst als die Eheleute beide ganz erschöpft waren, ließen sie voneinander ab. Es war klar, nun war die Trennung da, die Scheidung unaufschiebbar, es ging an die Aufteilung der Vorräte und Besitztümer sowie die Verteilung der drei Kinder.

Die Aufteilung der Habe machte keinerlei Schwierigkeiten. Alles wurde zur Hälfte dem einen und zur Hälfte dem andren zugesprochen. Denn was die Familie besass, war seit der Hochzeit zusammengekommen, aus der Zeit davor hatte keiner von ihnen etwas in die Ehe mitgebracht. Alles, was sie hatten, gehörte also beiden zugleich, und zu gleichen Teilen sollte es den Eheleuten zugeordnet werden.

So geschah es, und wenn es auch hier immer wieder Streitigkeiten gab, zum Schluss war alles zu gleichen Lasten verteilt. Am Ende herrschte bei den beiden eitel Zufriedenheit, denn es war gerecht zugegangen, und alles hatte seine Richtigkeit.

Nun ging es um die drei Kinder, und das wurde zu einem großen Problem. Das Ungeborene würde an der Mutter Busen genährt werden müssen, der Vater hätte keine Milch auftreiben können, also gehörte das Kind zur Mutter. Der Vater fragte die erstgeborene Tochter:

“Mein Baby, bei wem willst du von nun an leben, bei mir, deinem Vater, oder bei deiner Mutter”

Die Älteste schwieg und dachte nach. Schließlich gab die Liebe zur Mutter ihr die Antwort ein:

“Dein Baby will bei der Mutter bleiben, denn immerfort muss es sich nach ihr sehnen.”

Dem Vater war es recht. Er widersprach nicht.

“Wenn mein Baby bei der Mutter bleiben will, in Ordnung, Vater hat nichts dagegen. Aber nun bist du, die Mittlere, an der Reihe, bei wem möchtest du bleiben, sprich!”

Die Zweitgeborene zögerte nicht, sie gab ihre Antwort sofort und sagte:

“Dein Kind will auch bei der Mutti sein, denn seine Sehnsucht nach ihr ist groß.”

Der Vater krauste die Stirn, aber er beherrschte sich und sprach:

“Mach, was du willst, dein Vater sagt dazu nichts, aber du, meine Kleinste, bei wem willst du sein, willst du bei mir, deinem Vati, bleiben, oder gar mit der Mutter gehen”

Doch auch die Letztgeborene gab keine andre Antwort als ihre älteren Schwestern:

“Dein Kind will bei seiner Mutti bleiben wie die Geschwister!”

Der Vater wusste nicht, was er tun sollte. Er sah keinen Ausweg. Schließlich fasste er sich und sprach:

“Oeh, gut, meinetwegen. Ihr wollt also alle bei der Mutter bleiben. Niemand will mit mir gehen. Recht so. Wenn dem so ist, dann will auch ich wie ihr bei der Mutter bleiben.”

Nun war die Einigkeit vorerst wiederhergestellt. An diesem Tage gab es keinen Streit mehr. Alles schien in bester Ordnung.

In den kommenden Jahren kam ein neues Familienmitglied nach dem anderen dazu. Die Familie vergrösserte sich in regelmässigen Abständen, bis sie schliesslich zu zwölft waren. Denn der Streit hatte nicht aufgehört, und nach jedem Streit hatte es eine Versöhnung gegeben, und jedes Mal ward wieder ein Kind auf die Reise geschickt...


Diese Geschichte trug sich in einer Runde von Schnapstrinkern zu. In dieser Runde gab es einen Mann namens Thip, der allen Leuten in den Dörfern und in der Stadt wohlbekannt war, denn er war ein Angsthase und fürchtete sich sogar vor seiner eigenen Frau. Er verrichtete ausnahmslos alle Hausarbeiten bis hinab zum Wäschewaschen, ja sogar der – Unterwäsche seiner Frau.

Eines Tages saß Thip wieder mit seinen Freunden zusammen, und sie hatten schon manches Gläschen geleert. Die Freunde machten sich ein Vergnügen daraus, Thip aufzuziehen.

“Pass auf, gleich kommt deine Frau dich holen, dann wirst du wohl deine Ohren hängen lassen!”

Thip hörte es, und was sie sagten, passte ihm gar nicht. Er richtete sich kerzengrade auf, warf sich in die Brust, denn er wollte vor seinen Freunden als mutiger Held gelten. Er rief:

“Hö... heute Abend habe ich meine Frau windelweich geschlagen – warum sollte ich da Angst vor ihr haben Nein, ich fürchte mich vor meiner Frau nicht. Wenn ich nach Hause komme, wird sie vor mir auf den Knien rutschen und mir die Füße küssen! Und sollte sie doch hier auftauchen, so werde ich sie zurechtweisen und niederbrüllen, und ihr alle könnt es hören!”

Kaum hatte er nach dieser tapferen Rede seine Kehle durch ein Schlückchen wieder befeuchtet, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen seine Frau hinter ihm und rief zornig aus:

“Ai Thip, die Wäsche, die du vorhin gebündelt hast, ist sie nun gewaschen oder nicht”

Thip hörte die Stimme seiner Frau und fuhr vor Schreck zusammen. Die Röte des Rausches, die sein Gesicht überzogen hatte, wich einer wächsernen Blässe. Aber weil er seine Rede von vorhin nicht Lügen strafen wollte, nahm er sich zusammen, streckte sich sogar ein wenig und lamentierte vor sich hin:

“Ih, Frau, ich hab’ doch das Seifenpulver nicht finden können!”Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

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