Böses mit Gutem vergelten

übersetzt von Dr. Christian Velder

Böses mit Gutem vergelten

Es waren einmal zwei Kaufleute. Sie reisten zusammen von Dorf zu Dorf, um ihre Waren feilzubieten. Manches Mal mussten sie an ihrem Wege in Wald und Busch übernachten, wenn sie dort keine Dörfer antrafen.

In ihrem Handel wetteiferten sie miteinander. Obgleich sie zusammen reisten, freute sich jeder von ihnen doch, wenn er bessere Geschäfte machte als der andere, denn sie standen im Wettstreit und verglichen ihre Ergebnisse. So war es. Jeder versuchte, was er konnte, seine Kunden zufrieden zu stellen.

Als sich die Festtage näherten, begann ihre grosse Zeit. Die Bewohner der Dörfer mussten allerlei Waren einkaufen, um sich für die Feiern zu rüsten. Die beiden Kaufleute brachten alles angeschleppt, was sich dafür eignete, und sie fanden schnellen Umsatz, indem sie in aller Eile hin- und herreisten.

Einer wollte immer schneller sein als der andere, aber es gab gelegentlich Verzögerungen, und dann mussten sie mitten im Walde ihr Lager aufschlagen und gelangten nicht schnell genug an ihr Ziel, so wie sie es sich gewünscht.

Eines Abends bereitete der eine vor seiner Lagerstatt die eiserne Ration aus, die er mit sich geführt. Er garte ein paar Körnchen Reis und dünstete ein wenig Gemüse, und das aß er auf, aber es war nicht genug, um seinen Hunger zu stillen. Er ging also zu seinem Wanderkameraden, dem anderen Kaufmann, und sprach:

“Lieber Freund, meine Mahlzeit ist verzehrt, lass mich noch ein wenig von der deinen kosten, wenn wir unser Reiseziel erreicht, geb’ ich es dir zurück.”

Der Angesprochene erkannte die Gelegenheit, seinem Konkurrenten einen Streich zu spielen. Er entgegnete lachend:

“Das tut mir Leid. Ich kann dir nichts abgeben. Denn die Vorfahren schon haben gesagt, du sollst niemanden unterstützen, mit dem du im Wettstreit stehst. Wenn ich dir helfe, wird das zu Zwietracht führen, die sich aufs Geschäft auswirken könnte. Wenn du dir nicht genug Nahrung mitgebracht, musst du eben ohne sie auskommen, wie auch ich es müsste, wenn ich mich nicht entsprechend versorgt hätte, ich jedenfalls würde kein Wort darüber verlieren.”

Als der Bittsteller das hörte, kehrte er still zu seinem Lager zurück. Er sammelte im Wald Wildgemüse, schnitt Bambussprossen ab und besänftigte damit seinen Hunger, während der andre die feinsten und geschmackvollsten Speisen zu sich nahm. Dann legten sie sich zur Ruhe, ein jeder auf seine Matte. Als sie eine Weile geschlafen hatten, hörte der Kaufmann, der das kärgliche Mahl zu sich genommen hatte, den andren, der sich sattgegessen und von seinem Überfluss nichts abgegeben, um Hilfe rufen. Er erschrak, griff nach seiner Büchse und sprang auf. Schnell begab er sich zum Lager des andren. Als er es erreichte, sah er im flackernden Schein des sterbenden Feuers etwas, das seinen Herzschlag stocken ließ. Was er vor sich sah, war eine riesige Pythonschlange, die den Leib jenes Kaufmanns umwunden und umschlungen.

Weil er ein Mensch voll Nächstenliebe war, griff er behände zu und befreite den Kaufmann aus den Schlingen, die ihn schon fast erdrückt. Mit einer Fackel vertrieb er die Schlange, denn nichts fürchten diese Tiere mehr als das Feuer. Sie entwich in den Wald. Selbst im tiefsten Waldesdickicht soll niemand ein Tier töten, wenn es nicht nötig ist.

Die Gefahr war gebannt. Da fiel der Gerettete auf die Knie, berührte mit der Stirn die Füße seines Wohltäters und bat ihn um Vergebung. Er sprach:

“Verzeih’ mir, was ich dir gestern Abend angetan. Fürderhin will ich dein Herzensbruder sein!”

Am Morgen zogen die beiden Männer weiter. Ihre Geschäfte entwickelten sich gut, ihr Handel blühte auf. So kam es, dass die Bewohner der Dörfer die beiden Kaufleute hinfort und noch viele Jahrzehnte in Eintracht und Freundschaft auf ihren Handelswegen dahinziehen sahen.

Wenn ihr ihnen begegnen solltet, so würdet ihr auch heute noch den einen nicht ohne den andren zu sehen bekommen.


Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

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