Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Rundschau» zu Unruhen in Nordirland

Mit den Unruhen in Nordirland wird für alle sichtbar, wovor viele lange gewarnt haben.

Der Brexit heizt nicht nur den Konflikt zwischen Republikanern und Unionisten an und bedroht damit einen brüchigen Frieden. Zusätzlich hat die im Januar vollzogene Trennung von der ungeliebten EU die britischen Exporte nach Europa dramatisch einbrechen lassen. Auch wegen der ökonomischen Brexit-Folgen werden in Schottland und Wales die Rufe nach Unabhängigkeit immer lauter. Premier Boris Johnson wird mehr unternehmen müssen, um diese Probleme zu lösen, als etwa seinen Staatssekretär für Nordirland nach Belfast zu schicken oder die wirtschaftlichen Folgen des Brexit mit dem Hinweis kleinzureden, das seien lediglich anfängliche Schwierigkeiten. Doch der Regierungschef kümmert sich lieber um den umstrittenen Plan Global Britain, mit dem er das Vereinigte Königreich in eine «technologische Supermacht» mit weltweitem Einfluss verwandeln will. Wenn er nicht aufpasst, steht England bald alleine da.


«Trud»: EU sollte das russische Vakzin Sputnik V zulassen

SOFIA: Zur möglichen Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V in der Europäischen Union schreibt am Freitag die bulgarische Zeitung «Trud»:

«Deutschland ist bereit, den russischen Impfstoff Sputnik V eigenständig zu kaufen, ohne die Europäische Union, falls dies bedeut, dass das Land seine Impfkampagne beschleunigen kann. (...) Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bestand darauf, dass die Europäische Union das russische Vakzin Sputnik V kauft, wenn die Überprüfung durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA vollzogen ist. (...) Ungarn und die Slowakei wenden den russischen Impfstoff schon an. Kein Wunder, wenn sich die Dinge auf EU-Ebene aber wegen falsch verstandener politischer Korrektheit in die Länge ziehen.»


«The Irish Times»: Biden will die USA grundlegend umgestalten

DUBLIN: Zur Politik des US-Präsidenten Joe Biden meint die in Dublin erscheinende «Irish Times» am Freitag:

«Joe Biden hat Freunde und Feinde überrascht. Im Wahlkampf galt er als vorsichtiger Politiker der Mitte, dessen von Donald Trump auferlegter Spitzname «Sleepy Joe» den Eindruck vermittelte, Amerika würde einen Opportunisten wählen, einen behutsamen 78-Jährigen, der dem Land die Möglichkeit gibt, sich von der vorherigen Regierung zu erholen. Doch stattdessen hat sich der US-Präsident innerhalb von knapp zwei Monaten als energischer und ehrgeiziger Progressiver erwiesen, der begonnen hat, die USA umzugestalten, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Staates bei einer grundlegenden Neuausrichtung der Marktwirtschaft. (...) Diese Ambition mag durch die Coronavirus-Krise notwendig geworden sein, aber ihr enormes Ausmaß geht weit über die unmittelbaren Anforderungen der Wiederherstellung hinaus.»


«Los Angeles Times»: Biden hat bei Waffenbesitz wenige Optionen

WASHINGTON: Angesichts der Waffengewalt in den USA und jüngster Vorfälle mit Toten will US-Präsident Joe Biden die Vorschriften für Waffenbesitz verschärfen. Für eine grundlegende Verschärfung der Waffengesetze ist der Demokrat aber auf den US-Kongress und vor allem den Senat angewiesen. Dazu schreibt die «Los Angeles Times»:

«Präsident Biden kündigte am Donnerstag eine Liste von Maßnahmen an, die darauf abzielen, sein Wahlversprechen zu erfüllen, die Verbreitung von Schusswaffen und Waffengewalt zu bekämpfen, die jedes Jahr etwa 40.000 Menschen in diesem Land töten. Aber die Schritte - obwohl notwendig und willkommen - rücken auch in den Blickpunkt, wie wenige Optionen ein Präsident hat, ein für die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Gesundheit entscheidendes Problem anzugehen.

Tatsache ist, dass ein Präsident im Alleingang nicht viel tun kann, wenn es um die Reglementierung von Waffenbesitz geht - die Vorlage dafür wird vom Kongress diktiert. (...) Das sind alles vernünftige Ansätze (von Biden), um die Zahl der Toten im Zusammenhang mit Schusswaffen zu reduzieren. Und es ist beunruhigend, dass sie so schwer zu stemmen sind in einem Kongress, der so sehr dem Mythos verhaftet ist, dass eine bewaffnete Nation eine sicherere Nation sei. Aber das ist die politische Realität, mit der die Amerikaner - und Biden - konfrontiert sind. Lasst den Kampf beginnen.»


«de Volkskrant»: Gruppenimmunität scheint langsam Gestalt anzunehmen

AMSTERDAM: Die Amsterdamer Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Freitag das Vorgehen der Niederlande bei der Corona-Bekämpfung:

«Die Impfung der Altersgruppe über 60 mit dem Impfstoff von Astrazeneca wird wie geplant fortgesetzt. Für sonstige Altersgruppen steigt die Verfügbarkeit anderer Impfstoffe. Darüber hinaus sind inzwischen so viele Menschen mit dem Virus in Berührung gekommen, dass die Gruppenimmunität, auf die die Regierung zunächst ihre Hoffnung gesetzt hatte, langsam Gestalt anzunehmen scheint. Etwa sechs Millionen Menschen in den Niederlanden gelten als nicht oder weniger anfällig für das Virus.

So entsteht die scheinbar paradoxe Situation, dass die Regierung die Möglichkeit der Rücknahme von Corona-Maßnahmen andeutet, während die Belastung für die Krankenhäuser noch steigt. Diese Lockerung - vorausgesetzt, sie wird tatsächlich nächste Woche verkündet - kann auf zwei Arten interpretiert werden. Zum einen als Zugeständnis an entmutigte Bürger, die ohnehin die Corona-Regeln immer mehr missachten. Zum anderen als Zeichen der begründeten Zuversicht, dass der Höhepunkt der dritten Welle erreicht ist und die Krankenhausauslastung zügig sinken wird. Hoffentlich hatte letztere Überlegung mehr Gewicht als die erste.»


«Corriere della Sera»: EU muss Werte beim Frauen-Thema selbst leben

ROM: In der Debatte über die Sitzordnung beim Besuch der EU-Spitzen Ursula von der Leyen und Charles Michel in der Türkei nimmt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Freitag das Verhalten von Michel in den Blick:

«Sich nicht hinzusetzen und auf einen dritten Stuhl zu warten, wäre kein öffentlicher Zwischenfall gewesen, sondern einfach eine Geste der Übereinstimmung mit dem, was man von der Türkei will: die Achtung der Menschenrechte, die mit der Achtung der Gesprächspartner beginnt. Das sind die Grundlagen. Der Eindruck, der bei den europäischen Bürgern noch lange in Erinnerung bleiben wird und der von Populisten gekonnt ausgenutzt wird, ist, dass die EU bei einem Autokraten keinen Respekt erreichen kann. Es ist eine Geschlechter-Frage, und eng verbunden mit den Grundprinzipien der EU. (...)

Die europäischen Institutionen müssen ein Vertrauensverhältnis zu den Bürgern wieder aufbauen, und um den Sinn der Union zu verdeutlichen, reicht es nicht mehr, die Vorteile des Binnenmarktes aufzulisten oder den Geldregen, der mit den Plänen zu «Next Generation EU» kommen soll. Das Engagement muss sich auf Werte stützen, die innerhalb und außerhalb der EU durchgesetzt werden.»


«De Standaard»: Ukraine-Konflikt könnte Putin langfristig schaden

BRÜSSEL: Zum russischen Truppenaufmarsch im Umfeld der Ostukraine heißt es am Freitag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Das Muskelspiel des russischen Präsidenten hält die Nato kurzfristig auf Abstand und lenkt die Aufmerksamkeit der Russen von (dem Oppositionspolitiker Alexej) Nawalny ab. Doch die kurzfristigen Vorteile scheinen den Schaden nicht aufzuwiegen, der Putin auf längere Sicht entsteht. Jüngste Umfragen des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada zeigen, dass die Jugend der Kriegspropaganda schon längst nicht mehr glaubt. (...)

In Russland flammte Hysterie auf durch Bilder eines Kindes, das angeblich durch einen ukrainischen Drohnen-Angriff getötet worden war. Es ist noch unklar, ob es sich um Propaganda handelte. Doch es zeigt, wie rasch Waffengerassel in einen offenen Krieg umschlagen kann. (...) Und die wirtschaftliche Situation in den von Separatisten besetzten Gebieten ist so katastrophal, dass Moskau einen teuren Wiederaufbauplan aufstellen müsste, was den Russen bitter aufstossen würde. Sie erleben schon seit 2013, dass ihre Einkommen strukturell sinken.»


«DNA»: Abschaffung der Kaderschmiede ENA überrascht nicht

STRAßBURG: Der französische Präsident Emmanuel Macron will die Kaderschmiede ENA abschaffen und durch eine große Verwaltungsschule ersetzen. Dazu schreibt die ostfranzösische Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» (DNA) am Freitag:

«Die Ankündigung, dass die prestigeträchtigste der französischen Eliteschulen verschwinden wird, ist eher eine Erleichterung und keinesfalls eine Überraschung. Das Thema liegt seit fast 20 Jahren auf dem Tisch, und zumindest seit Jacques Chirac haben sich alle Präsidenten der Republik mit einer Erneuerung dieser Institution beschäftigt. Die ENA zu kritisieren wurde im Laufe der Zeit zur Pflicht, vor allem für diejenigen, die sie selbst absolviert haben. (...)

Wie auch seine Vorgänger wollte Emmanuel Macron den Staat reformieren - also auch seine Verwaltung und die Ausbildung seiner zukünftigen Führungskräfte. Das war sogar eines seiner Wahlkampfversprechen. Er setzt dieses nun strikt um - zu einem Zeitpunkt, an dem die Corona-Krise alle größeren öffentlichen Aktivitäten hemmt. Er zeigt damit, dass er immer noch in Aktion ist. Ein Jahr vor der Präsidentenwahl ist das keine neutrale Entscheidung.»


«Aftenposten»: Iran-Abkommen vor der Wiederauferstehung

OSLO: Die konservative norwegische Tageszeitung «Aftenposten» (Oslo) kommentiert am Freitag die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran in Wien:

«Die Gespräche in Wien weisen darauf hin, dass sie wieder zu einem fruchtbaren Prozess werden können, um den Iran an der Entwicklung eigener Atomwaffen zu hindern. Der neue US-Präsident Joe Biden hat klargemacht, dass die USA wieder Teil des Abkommens werden wollen. Das geht nicht im Handumdrehen. In Wien können die USA nicht am Tisch der anderen sitzen, der Iran genehmigt das nicht und verlangt, dass die USA zuerst ihre Wirtschaftssanktionen aufheben. Die Signale aus Wien deuten aber darauf hin, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis alle wieder am selben Tisch sitzen. In dem Fall wäre das eine gute Neuigkeit für die Welt. Dieses Abkommen ist keine Garantie für irgendwas, aber es verringert die Gefahr, dass auch der Iran zur Atommacht wird. Das Abkommen ist auch ein Beispiel dafür, dass es für China, Russland und den Westen möglich ist, zusammenzuarbeiten - selbst wenn ihre Beziehungen zueinander teils eiskalt sind.»


«Rossijskaja»: Selenskyj kopiert Verhalten seines Vorgängers

MOSKAU: Zum Truppenbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Konfliktgebiet im Osten seines Landes schreibt die russische Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta» am Freitag:

«Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der ukrainische «Oberbefehlshaber» Selenskyj, der von 2014 bis 2019 vier Vorladungen für eine Einziehung als Reservist ignoriert hat, fast häufiger die Frontlinie besucht hat als sein Vorgänger Petro Poroschenko. Und er kopiert sorgfältig dessen Verhalten, indem er sich schon lange vor der von ihm ausgelösten Aufregung in einer kugelsicheren Weste fotografieren lässt. Von daher ist es schwer, von Selenskyjs nächster Reise etwas anderes zu erwarten als ein neues Fotoshooting, das dann zum Spott in sozialen Netzwerken wird - und bei der sehr allgemeine Aussagen über eine «russische Aggression» zu hören sind.»


«Lidove noviny»: Impfrisiken nicht überschätzen

PRAG: Die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Prag spricht sich am Freitag für den weiteren Einsatz des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca aus, wie dies in Tschechien geschieht:

«Einerseits ist es erfreulich zu hören, dass wir als Zivilisation so sehr auf Sicherheit bedacht sind, dass wir uns bemühen, selbst die kleinsten Risiken auszuschließen. Genau das machen diejenigen Staaten, welche die Verwendung des Corona-Impfstoffs aus Oxford einschränken oder verbieten. Andererseits ist es beunruhigend zu sehen, dass im Bemühen um absolute Sicherheit ein Risiko ausgeschaltet, ein anderes damit aber um ein Vielfaches erhöht wird. Denn genau das geschieht in denjenigen Staaten, welche die Nutzung des Impfstoffs einschränken oder untersagen, aber keine alternativen Impfstoffe zur Verfügung haben. Das Risiko von Blutgerinnseln ist um ein Vielfaches niedriger als das Risiko, an Covid-19 zu sterben: Es ist, als springe man ins Wasser, um Regentropfen auszuweichen.»


«Tages-Anzeiger»: Wahlrecht im Fleischwolf der US-Kulturkämpfe

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Freitag die Kritik am vom US-Bundesstaat Georgia beschlossenen restriktiven Wahlrecht:

«Im Moment ist nicht zu erkennen, wie die Republikaner aus dem Lügen- und Verschwörungswirrwarr, in das sie (Ex-Präsident Donald) Trump gefolgt sind, wieder herausfinden. Darauf, dass Konzerne wie Coca-Cola oder Delta Airlines, die in Georgia ihre Firmensitze haben und das neue Wahlgesetz überraschend offen kritisiert haben, die Partei schon wieder zur Vernunft bringen werden, sollte man nicht hoffen. Die Zeit, in der die Republikaner die Partei der Großunternehmen waren, ist vorbei. (...)

Das Risiko ist groß, dass die Kritik der Unternehmen eher das Gegenteil des Gewünschten bewirkt. Denn auf diese Weise gerät nun auch das Wahlrecht - eigentlich eine trockene, technische Angelegenheit, über die man ohne Gefühlsausbrüche reden können müsste - in den Fleischwolf der Kulturkämpfe, die Amerika zerreiben. Für die Vereinigten Staaten bedeutet das alles nichts Gutes. Eine Demokratie kann nicht überleben, wenn sie von einer der Parteien, die sie tragen sollen, im Stich gelassen wird.»


«El Mundo»: EU hat Federn gelassen

MADRID: Die spanische Zeitung «El Mundo» kommentiert am Freitag die Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde EMA zur Anwendung des Corona-Impfstoffs Astrazeneca:

«Leider ist nicht zu leugnen, dass die EU in der Impfkampagne die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat. Und das Schlimmste ist, dass sie der Aufgabe immer noch nicht gewachsen ist. Was mit dem Astrazeneca-Impfstoff passiert ist, hat das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben. Obwohl die EMA kein politisches Gremium ist, liegt ihre außerordentliche Verantwortung in der derzeitigen Situation auf der Hand. Ihr Bericht zu Thrombosen als Nebenwirkung des Impfstoffs ist derart vage und wenig schlüssig, dass er zu ganz unterschiedlichen Reaktionen der Gesundheitsminister der 27 EU-Mitglieder geführt hat. Jedes Land zieht seine eigenen Schlüsse aus dem Bericht und macht, was es will. Diese widersprüchlichen Strategien verunsichern enorm. Es ist eine weitere Demonstration der geringen Effizienz Brüssels und die Union hat durch ihre unberechenbaren Reaktionen viele Federn gelassen.»


«NZZ»: Jeder verfügbare Impfstoff sollte genutzt werden

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Freitag die Debatte um den Einsatz des russischen Impfstoffs Sputnik V:

«Die EU hat bei der Beschaffung von Vakzinen gegen Covid-19 versagt. Die Kommission wie auch die Regierungs- und Staatschefs, die dieses Debakel einfach zuließen, tragen dafür die Verantwortung. Für Stolz, Überheblichkeit und politische Spielchen ist keine Zeit mehr. Jetzt müssen wirksame Impfstoffe dort beschafft werden, wo sie verfügbar sind. Zur Not auch aus Russland.

Natürlich gewährt man damit Moskau einen Triumph. Aber das ist zu verkraften. Westeuropa begibt sich durch den Kauf von Sputnik-Impfstoffen nicht in eine längerfristige Abhängigkeit von Russland, denn der Bedarf dürfte schon gegen Ende dieses Jahres auch ohne Russland mehr als gedeckt sein.(...)

Größere Lieferungen an die EU wurden im März erst für den Herbst in Aussicht gestellt. Doch auch wenn Sputnik V kaum die Lösung des Impf-Engpasses in Europa bringen wird, muss in der gegenwärtigen desolaten Lage jede Lieferung willkommen sein.»

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