Präsident Tokajew verspricht «neues Kasachstan»

​Wahl nach Unruhen 

Kassim-Schomart Tokajew, Präsident von Kasachstan, äußert sich bei einer Pressekonferenz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Kassim-Schomart Tokajew, Präsident von Kasachstan, äußert sich bei einer Pressekonferenz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

ASTANA: Nach den blutigen Ausschreitungen Anfang des Jahres in Kasachstan hat Staatschef Tokajew seinen Vorgänger Nasarbajew entmachtet. Zur Präsidentenwahl verspricht er umfassende Reformen. Für Deutschland ist das rohstoffreiche Land wichtigster Partner in Zentralasien.

Bei ihrem Besuch unlängst in Kasachstan hat Außenministerin Annalena Baerbock wohl auch mit Blick auf die Präsidentenwahl der Führung des rohstoffreichen Lands die Hand ausgestreckt. Sie bot Deutschland, wo viele Eingewanderte aus der Ex-Sowjetrepublik leben, als Alternative für eine Zusammenarbeit abseits der mächtigen Nachbarn China und Russland an. Zwar traf sie in der Hauptstadt Astana nicht mit Präsident Kassym-Schomart Tokajew zusammen. Aber auch so dürfte die Grünen-Politikerin einen etwas anderen politischen Wind gespürt haben. Der 69-jährige Tokajew will sich am 20. November für sieben Jahre ins Amt wählen lassen - zum letzten Mal.

Der seit dem Rücktritt des autoritären Präsidenten Nursultan Nasarbajew amtierende und 2019 mit 70,96 erstmals gewählte Tokajew hat den Menschen nach einer Verfassungsänderung im Juni ein «neues Kasachstan» versprochen. Er hat einen harten Kurs gegen Korruption und Vetternwirtschaft angekündigt - und mehr Chancengleichheit. «Wir müssen die Lage dringend ändern», sagte er vor der Wahl mit Blick auf den Mindestlohn von 60.000 Tenge (rund 125 Euro). «Es ist praktisch unmöglich, von diesem Geld zu leben.»

Gut zehn Monate ist es her, dass das öl- und gasreiche Land von blutigen Ausschreitungen erschüttert wurde. Mehr als 200 Menschen starben im Januar, als Proteste gegen hohe Preise und soziale Ungerechtigkeit in einen beispiellosen Machtkampf umschlugen. Tokajew gab damals einen Schießbefehl gegen die Demonstranten, die er als «Terroristen» bezeichnete. Und er musste Kremlchef Wladimir Putin bitten, dass das von Russland dominierte Militärbündnis «Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit» (OVKS) hilft. Die Soldaten sorgten rasch für Ruhe - und zogen wieder ab.

Aber Tokajew ließ dann nicht nur von seinem Vorgänger Nasarbajew eingesetzte einflussreiche Beamte in den Sicherheitsstrukturen verhaften. Er entmachtete vor allem Nasarbajew selbst, der weiter hohe Ämter und unbegrenzte Befugnisse innehatte. Die Familienmitglieder des ersten kasachischen Präsidenten verloren Posten in Politik und Wirtschaft. Mancher fand sich im Gefängnis wieder - und muss auch die durch Bereicherung ergaunerten Schmiergelder nun an die Staatskasse übergeben.

Nicht zuletzt räumte Tokajew mit dem Personenkult um Nasarbajew auf, indem er zum Beispiel der zeitweilig nach dessen Vornamen Nursultan benannten Hauptstadt ihren Namen Astana zurückgab. Auch die ohnehin nicht mehr verhängte Todesstrafe ließ er abschaffen.

Wenn die rund zwölf Millionen Wähler und Wählerinnen nun zur Urne gerufen werden, dürfte Tokajew das als eine Art Vertrauensabstimmung ansehen. Er hat versprochen, Familienmitglieder des Präsidenten nicht mehr - wie bisher üblich - auf Posten in Staatsunternehmen und Parteien zu setzen. Er kündigte auch an, den zwischen Machtapparat und Zivilgesellschaft verlorenen Dialog wiederzubeleben.

Öffentlich sind nun Worte wie Pluralismus und Transparenz oder die Losung «Mehrere Meinungen - eine Nation» zu hören. Der Präsident hat seine eigenen Vollmachten beschneiden lassen. Auch internationale Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) heben die vielen Veränderungen hervor. Allerdings kritisieren sie, dass Empfehlungen für eine leichtere Registrierung von Kandidaten zur Wahl oder mehr Transparenz bei den Eigentumsverhältnissen von Medien nicht umgesetzt würden. Heikel sei auch, dass der Präsident etwa per Gesetz weiter einen besonderen Schutz seiner «Ehre und Würde» genießt, was Kritik schwer mache.

Für Tokajew ist keine Alternative in Sicht. Die anderen fünf zur Wahl zugelassenen Kandidaten gelten als chancenlos. Der Amtsinhaber wird in dem Land mit seinen 18,5 Millionen Einwohnern von einem breiten Bündnis aus drei Parlamentsparteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsorganisationen getragen. Doch laut der geänderten Verfassung darf ein Präsident künftig nur noch einmal gewählt werden - allerdings wurde die Amtszeit von fünf auf sieben Jahre erhöht.

Der Westen hat Hoffnung, dass der in internationaler Diplomatie erfahrene Tokajew es ernst meinen könnte mit einer gewissen Weltoffenheit. Obwohl er sich zum Dank verpflichtet fühlt dafür, dass Putin ihn im Januar vor einem Sturz bewahrte, hat Tokajew sich zuletzt bei Treffen mit dem Kremlchef höflich, aber bestimmt gezeigt - und etwa öffentlich eine Unterstützung des russischen Krieges gegen die Ukraine abgelehnt.

Anders als etwa Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus, der Putin auf Gedeih und Verderb wirtschaftlich ausgeliefert und mit Sanktionen belegt ist, kann Tokajew sich dank der Seltenen Erden und anderer Bodenschätze Partner aussuchen. Außenministerin Baerbock machte bei ihrem Besuch Ende Oktober in Astana deutlich, dass Deutschland Kasachstan als wichtigsten Partner in Zentralasien halten will. Ohne Namen zu nennen, sagte sie, Länder versuchten in vielen Teilen der Welt, ihren Einfluss auszuweiten, «nicht nur mit militärischer Gewalt, sondern auch durch wirtschaftliche Deals, hinter denen sich ein Netz von Abhängigkeiten verbirgt». Deutschland wolle andere Wirtschaftsbeziehungen, «fair, auf Augenhöhe, ohne Knebelkredite und ohne versteckte Agenda».

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