Geheimdokument belastet Türkei

​Umstrittener Bundeswehreinsatz 

Das Handout der Bundeswehr zeigt das Boardingteam der Fregatte «Hamburg», das sich von einem Hubschrauber auf das türkische Frachtschiff «Roseline A» abseilt. Foto: Bundeswehr/dpa
Das Handout der Bundeswehr zeigt das Boardingteam der Fregatte «Hamburg», das sich von einem Hubschrauber auf das türkische Frachtschiff «Roseline A» abseilt. Foto: Bundeswehr/dpa

BRÜSSEL: Haben deutsche Bundeswehrsoldaten rechtswidrig und grundlos ein türkisches Containerschiff betreten? Die Türkei behauptet das seit Tagen. Ein Geheimdokument der EU lässt den deutschen Einsatz allerdings in einem ganz anderen Licht erscheinen.

Der von der Türkei scharf kritisierte Bundeswehreinsatz auf einem türkischen Containerschiff im Mittelmeer ist nach einem Geheimdokumente der EU auf Grundlage von sehr konkreten Aufklärungsergebnissen erfolgt. Wie aus einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Verschlusssache hervorgeht, wurde der Frachter bereits seit längerem verdächtigt, für illegale Waffenlieferungen in das Bürgerkriegsland Libyen zu dienen. Dem Dokument zufolge wurde zu dem Schiff sogar schon vor der Bundeswehrkontrolle am vergangenen Sonntag ein Sonderbericht für Waffenembargo-Experten der Vereinten Nation verfasst.

Wie der «Spiegel» in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hatten Militäranalysten der EU-Operation Irini auf Satellitenaufnahmen von einem früheren Hafenaufenthalt des Schiffs im libyschen Misrata erkannt, dass damals gepanzerte Militärfahrzeuge ausgeladen worden waren. Beim jüngsten Hafenaufenthalt der «Roseline A» im türkischen Hafen Ambarli im November sei dann auf Überwachungsbildern erneut verdächtige Ware entdeckt worden.

Die Kontrolle des türkischen Schiffes durch die Bundeswehr war am Sonntag im Rahmen der Operation Irini erfolgt und hatte Empörung und Proteste der Regierung in Ankara ausgelöst. Die Türkei wertete den Einsatz von Soldaten des Nato-Partners Deutschland als rechtswidrig und warf der Bundesregierung und der EU unbefugte Gewaltanwendung vor. Am Freitag wurden nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu sogar staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet.

Die Einsatzführung vertritt hingegen die Auffassung, es habe hinreichende Gründe zu der Annahme gegeben, dass das kontrollierte Schiff gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen verstoßen könnte. Die deutschen Soldaten seien höchst professionell vorgegangen und hätten das Schiff in Einklang mit international vereinbarten und in der Nato üblichen Verfahren inspiziert.

Aus EU-Kreisen hieß es am Freitag, neue Sanktionen wegen Verstößen gegen das Libyen-Embargo würden von Mitgliedstaaten vorbereitet. Erste Strafmaßnahmen waren bereits im September verhängt worden. Sie trafen Unternehmen aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan, die am Transport von Kriegsmaterial beteiligt gewesen sein sollen.

Ob der Frachter «Roseline A» am Sonntag tatsächlich Waffen oder andere verbotene Güter an Bord hatte, ist indes bis heute unklar. Die Bundeswehr musste die Durchsuchung des Schiffes am Sonntag vorzeitig abbrechen, weil die Türkei als Flaggenstaat offiziell Protest gegen den Einsatz einlegte. Eine Durchsuchung von Schiffen gegen den Widerstand der Besatzung und des Flaggenstaates ist bei der EU-Operation Irini derzeit nicht möglich. Dies liegt unter anderem daran, dass bislang nicht die notwendigen Spezialkräfte für solch gefährliche Einsätze zur Verfügung stehen.

Nach Angaben des türkischen Außenministeriums hatte das Schiff Farbmaterial und Hilfsgüter geladen. Dies wird jedoch angezweifelt. «Die türkische Regierung muss die Frage beantworten, weshalb sie sich gegen eine Überprüfung des Frachters stemmt, wenn dieser angeblich nicht für den Schmuggel von Drohnen und anderem Kriegsgerät genutzt wird», sagte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linke) der dpa. Das Gepolter aus Ankara lasse nur den Schluss zu, dass dort etwas verborgen werden solle.

Zugleich bekräftigte der europapolitische Sprecher der Linksfraktion seine grundlegende Ablehnung der EU-Militäroperation. Diese macht sich nach Meinung Hunkos angreifbar, weil sie einseitig vor allem den Waffenschmuggel zugunsten der Regierung in Tripolis kontrolliere.

Bei dem der dpa vorliegenden Geheimdokument handelt es sich um die erste Sechs-Monats-Bilanz zu dem EU-Einsatz. Darin wird auch darauf hingewiesen, dass die teilnehmenden EU-Staaten von April bis Ende September die Operation nicht im geplanten Maße unterstützt hätten. So habe die Zahl der verfügbaren Schiffe stets unter den Mindestanforderungen gelegen. Hinzu kam, dass das italienische Flaggschiff «ITS Margottini» am 26. September nach rund 80 Corona-Fällen an Bord früher als geplant ganz aus dem Einsatz genommen werden musste.

Die Operation Irini war Ende März beschlossen worden. Ziele des Einsatzes sind die Stabilisierung des nordafrikanischen Bürgerkriegslandes Libyen sowie die Unterstützung des UN-geführten politischen Friedensprozesses. Neben Waffenschmuggel soll der Einsatz auch Öl- und Kraftstoffschmuggel verhindern. Deutschland beteiligt sich seit dem Sommer mit der Fregatte «Hamburg» an dem Einsatz. An Bord sind rund 230 Soldatinnen und Soldaten.

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TheO Swisshai 30.11.20 03:07
@Jürgen Kesselheim / Eigene Schiffe
Wenn die EU einen Einsatz durchführt, ist es also normal, dass EU-Schiffe nicht durchsucht werden?

Zum Glück war noch keiner der Bösen so schlau, das Waffenenbargo mit einem EU-Schiff zu umgehen.
Rolf W. Schwake 29.11.20 21:52
Sehr merkwürdige Kommentierung!
1. Kommentare beziehen sich stets auf den voranstehenden Artikel. Wenn dieser angeblich falsch ist, liegt das also nicht am Kommentator, sondern am Artikelschreiber. Da ich von einer Pressenotiz der zuständigen Marinebehörde als Grundlage des Artikels ausgehe, vertraue ich dieser mehr als einer späteren Kommentierung.
2. Fakt ist folgendes: Ein türkisches Schiff, welches im Verdacht steht, gegen ein Waffenembargo zu verstoßen, wird vom einem dafür vorgesehen EU-Schiff kontrolliert. Was das also mit der Ausbildung lybischer Spezialkräfte zu tun hat, vermag ich in keiner Weise nachzuvollziehen.
3. Auf jedem Kriegsschiff befinden sich Einsatzkräfte, die speziell für die Durchsuchung und evtl. Beschlagnahme eines fremden Schiffes vorgesehen sind und dafür ausgebildet und weiter trainiert werden. „Ausgebildeter“ geht also nicht mehr.
4. Dass ein türkisches Schiff neuerdings ein EU-Schiff ist, wie Herr Kesslheim schreibt, ist mir allerdings neu – da muss wohl anscheinend etwas an mir vorbei gegangen sein.
5. Gerade die USA kontrollieren extrem genau – und wenn der Verdacht besteht, gegen ein Waffenembargo zu verstoßen, selbstverständlich auch Schiffe unter eigener Flagge!
6. Die Gefahren von nicht gewollten Durchsuchungen (sowie dementsprechende Taktiken) waren mir mehrere Jahrzehnte in Theorie und Praxis sehr wohl bewusst.
7. Also: Immer schön sachlich bleiben und erst nachdenken, dann schreiben.
Jürgen Kesselheim 29.11.20 11:01
Merkwürdige Kommentare!
Die Berichterstattung ist irreführend. Bei den fehlenden Spezialkräften geht es nicht um die Besatzungen der Schiffe, sondern um die Ausbildung von lybischen Spezialkräften, die aufgrund der politischen Lage teilweise nicht möglich ist. Die Fregatte HAMBURG ist zu 100 % einsatzfähig! Und wenn die EU einen Einsatz durchführt, ist es wohl normal, dass EU-Schiffe nicht kontrolliert werden. Wenn die USA einen Einsatz durchführt, werden sie auch nicht ihre eigenen Schiffe kontrollieren. @Rolf W. Schwake - Ihr Kommentar zeigt ein hohes Mass an fehlender Kenntnis der tatsächlichen Gefahr bei der Durchsuchung eines Schiffes, das nicht kontrolliert werden will.
Rolf W. Schwake 29.11.20 07:55
Man müßte eigentlich lachen ...
... wenn es nicht zum Weinen wäre! Da steht soch tatsächlich: "Eine Durchsuchung von Schiffen gegen den Widerstand der Besatzung und des Flaggenstaates ist bei der EU-Operation Irini derzeit nicht möglich. Dies liegt unter anderem daran, dass bislang nicht die notwendigen Spezialkräfte für solch gefährliche Einsätze zur Verfügung stehen."
Wofür überwachen die dann eigentlich? Warum, wenn nicht dafür - also die Waffenzufuhr stoppen?
Die vorstehend genannte Kontrolle wurde rechtmäßig von einem EU-Kriegsschiff durch dafür ausgebildete Soldaten ausgeführt. Wer, wenn nicht ausgebildete Soldaten, soll dann eine solche Durchsuchung durchführen? Und wo ist bei der Durchsuchung eines Schiffes eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahrensituation gegeben? Jeder, der einmal bei einer Durchsuchung verantwortlich dabei war, weiß, wie man es macht. Wofür bilden wir dann unsere Soldaten noch aus? Traurig, dass sich die Marine hinter solch lächerlichen Ausreden verschanzt!
Rüdiger Huber 28.11.20 18:32
Zu Tode gespart
Tja wenn man bei der eigenen Armee spart und spart . Das gesparte Geld dann zu Milliarden dem Gegenüber gibt . Der dann davon sich schöne Waffen und andere Dinge kauft. Und zusätzlich dann noch sich selbst im Weg steht und über die eigenen Füße fällt . Dann muß man sich noch wundern ?
Ingo Kerp 28.11.20 14:22
Was ist das fuer eine Witzorganisation EUNAVFOR IRINI. Sagt der Flaggenstaat nein zur Untersuchung, kann das Schiff nicht untersucht werden, auch wenn Waffen an Bord waeren. Sagt der Flaggenstaat ja zur Ueberpruefung geht es dennoch nicht, da man keine Spezialkraefte hat. Geniert sich die EU nicht ueber so eine Laecherlichkeit?