WASHINGTON: Die Corona-Pandemie drückt auf die Stimmung, die Polizeigewalt gegen Schwarze wühlt die US-Amerikaner noch immer auf. Vielen war dieses Jahr am wichtigsten Nationalfeiertag der USA nicht nach feiern zumute. Dem Präsidenten schon.
Das Weiße Haus steht an diesem Tag zwischen den Welten. Auf der Südseite sind am Samstag auf saftigem grünen Rasen weiße Tische aufgestellt, eine Band spielt patriotische Musik. Kriegsflugzeuge ziehen über die US-Hauptstadt hinweg, anschließend knallt buntes Feuerwerk. Auf der Nordseite der Regierungszentrale fordern Demonstranten den 37. Tag in Folge Gerechtigkeit für Opfer von Polizeigewalt und ein Ende des Rassismus. US-Präsident Donald Trump steht nicht der Sinn danach, die beiden Welten zu vereinen - auch nicht am Unabhängigkeitstag.
Es war ein denkwürdiger 4. Juli. Der diesjährige amerikanische Geburtstag am Samstag stand nicht nur unter dem Eindruck der andauernden landesweiten Proteste. Die Coronavirus-Pandemie drückte auf die Stimmung, viele Feierlichkeiten fanden aus Sorge vor einem weiteren Anfachen der Seuche gar nicht erst statt. Die massive Lähmung der Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit taten ihr Übriges. Zudem steht den USA eine Wahl ins Haus, in nicht mal vier Monaten ist es so weit. Und das ist spürbar.
Statt eine versöhnliche Botschaft zu senden oder Zuversicht in Zeiten der Krise zu verbreiten, setzte Trump auf Spaltung, Wut und Angst. Am Freitagabend ließ er sich bei einer offiziellen Veranstaltung des Weißen Hauses von mehreren Tausend Anhängern am Fuße der monumentalen, in Stein gemeißelten Porträts von vier seiner berühmten Vorgänger am Mount Rushmore in South Dakota bejubeln.
Trump zeichnete das Bild eines Feindes im Inneren, der die Geschichte und mit ihr Werte und das kulturelle Erbe auslöschen will, und beklagte einen neuen linksgerichteten «Faschismus», der absolute Gefolgschaft einfordere. Mit den polarisierenden Aussagen ist ihm der Jubel seiner Anhänger sicher: «USA! USA! USA!» - lange machte Trump nicht mehr so einen zufriedenen Eindruck.
Wer gehofft hatte, dass Trump seinen Ton am Samstag vor weiß-blau-rotem Rauch im Garten des Weißen Hauses ändern würde, wurde weitestgehend enttäuscht. Er erneuerte nicht nur seinen Angriffe auf die Demonstranten, sondern auch die Kritik an China für den Umgang mit dem Ausbruch des Coronavirus. Lobende Worte gab es nur für die Strategie der USA, die «gut» vorankommt, wie Trump behauptete.
Dabei schnellen die Infektionszahlen rasant in die Höhe, vor allem im Süden und Westen des Landes. Seit vergangener Woche wurden in den USA immer neue Rekorde gemeldet - an mehreren Tagen gab es mehr als 50.000 bestätigte Neuinfektionen. Trump behauptete am Samstag, 99 Prozent der nachgewiesenen Fälle seien «komplett harmlos». Insgesamt starben in den USA bereits rund 130.000 Menschen nach einer Infektion. Viel Platz räumte er dem leidigen Thema Pandemie aber nicht ein - geschweige denn dem Schmerz der Angehörigen der Opfer.
Trump wird vorgeworfen, die Pandemie herunterzuspielen und weiterhin zu zögerlich zu reagieren. Zudem wird kritisiert, dass er sich in der Öffentlichkeit nicht mit Maske zeigt und damit kein gutes Vorbild abgibt. Die Folgen waren am Mount Rushmore und im Garten des Weißen Hauses sichtbar: Nur wenige Anwesende trugen einen Mund-Nasen-Schutz. Wer sich am Feiertagswochenende an Trump hielt, konnte den Eindruck gewinnen, die Normalität in den USA sei zurück.
Trump flüchtete sich am Unabhängigkeitstag dorthin, wo er sich am wohlsten fühlt - wo er nicht wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie kritisiert wird oder wegen seiner Reaktion auf die Proteste gegen Rassismus nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd. Vor der Wahl am 3. November sehen Umfragen derzeit den designierten Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten, Joe Biden, in Führung. Zwar hat sich bei der Wahl 2016 gezeigt, wie falsch Umfragen liegen können, aber Trump steht inzwischen unter Druck.
Meinungsforschungsinstitute beobachten eine wachsende Unzufriedenheit im Land. Im April - als die Corona-Pandemie sich auf das öffentliche Leben in den USA auszuwirken begann - hätten noch 31 Prozent der Befragten angegeben, zufrieden mit dem Lauf der Dinge im Land zu sein, ergab eine Erhebung des Instituts Pew. Im Juni seien es nur noch 12 Prozent gewesen. Angst und Wut seien unter Demokraten und Republikanern weit verbreitet, so Pew.
Wie groß die Wut ist, zeigte sich auch am Samstag. Trump beendete seine Ansprache gerade mit den Worten, dass das Land in hervorragender Verfassung sei und viele gute Dinge passieren würden, da zirkulierten auf Twitter Videos von der anderen Seite des Weißen Hauses. Zu sehen waren Demonstranten, die eine US-Flagge anzünden. Sie skandierten: «Amerika war niemals großartig!»