Boric bringt frischen Wind in Moneda-Palast

​Stabswechsel

Minister des Generalsekretariats der Regierung Gabriel Boric. Foto: epa/Alberto Valdes
Minister des Generalsekretariats der Regierung Gabriel Boric. Foto: epa/Alberto Valdes

SANTIAGO DE CHILE: Der jüngste Präsident der Geschichte will das südamerikanische Land gründlich umkrempeln: Gesundheitsversorgung für alle, Rentenreform, höherer Mindestlohn. Doch der frühere Studentenführer braucht die Fähigkeit zum Ausgleich: Im Kongress hat er keine Mehrheit.

In La Moneda steht ein echter Generationenwechsel an: Mit Gabriel Boric zieht am Freitag der bislang jüngste Staatschef in den Regierungspalast in Santiago de Chile ein. Der 36-jährige ehemalige Studentenführer folgt auf den 72-jährigen Multimillionär Sebastián Piñera. «Ich glaube, dass wir eine Generation der Veränderung repräsentieren», sagte Boric zuletzt in einem Interview. «Wir stehen für frischen Wind, für Jugend, für Neues.»

Seit der Rückkehr Chiles zur Demokratie 1990 wurden alle Präsidenten des Landes von den traditionellen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien gestellt. Boric hingegen kommt aus der Studentenbewegung, hat die Proteste 2011 für kostenlose Bildung angeführt und saß später als Abgeordneter der Region Magallanes im Parlament.

Der Wahlsieg Borics gegen den deutschstämmigen Rechtsaußenkandidaten José Antonio Kast im vergangenen Jahr folgte auf die sozialen Unruhen Ende 2019, bei denen Tausende Menschen zunächst nur gegen eine leichte Erhöhung der Metropreise, bald aber grundsätzlich gegen die neoliberale Wirtschaftsordnung auf die Straße gingen.

In den nächsten vier Jahren will der künftige Präsident nun das Bildungswesen und die Gesundheitsversorgung verbessern sowie die Rechte von Frauen, Migranten, Indigenen und Homosexuellen stärken. «Ich erwarte nicht, dass die Eliten mit mir einer Meinung sind, aber, dass sie aufhören, Angst vor uns zu haben», sagte Boric.

Lange galt Chile als leuchtendes Beispiel in einer von Armut, Gewalt und politischer Unruhe geprägten Region. Das Land mit mehr als 19 Millionen Einwohnern hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Südamerika. Die Armut konnte in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesenkt werden.

Aber Chile leidet auch unter großer sozialer Ungleichheit. Weite Teile des Gesundheits- und Bildungswesens sind privatisiert, immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt.

«Die Bürger wollen Reformen im Bereich der Gesundheitsvorsorge und der Renten», sagte Cristián Valdivieso vom Forschungsinstitut Criteria kürzlich im Fernsehsender T13. «Kurzfristig erwarten viele Chilenen außerdem eine Anhebung des Mindestlohns, die Boric im Wahlkampf versprochen hat.»

Dass künftig ein frischer Wind im Präsidentenpalast wehen soll, zeigt Boric schon mit seiner Regierungsmannschaft: Erstmals in der Geschichte sitzen mehr Frauen als Männer im Kabinett. Frauen werden unter anderem das Innen-, Außen-, Verteidigungs-, Justiz-, Arbeits- und Gesundheitsministerium führen.

Bei aller Aufbruchstimmung und progressivem Elan wird Boric in seiner Amtszeit allerdings Verhandlungsgeschick und die Fähigkeit zum Ausgleich an den Tag legen müssen. Im Parlament verfügt das Wahlbündnis des neuen Staatschefs über keine eigene Mehrheit, für Gesetzesinitiativen muss er andere Parteien mit ins Boot holen. Dabei dürfte schon der Interessensausgleich in den eigenen Reihen schwierig werden: Die Regierungskoalition reicht von beinharten Kommunisten bis hin zu liberalen Sozialdemokraten.

Zudem ist Chile im Umbruch: Derzeit arbeitet eine Verfassungsgebende Verfassung ein neues Grundgesetz aus. Der aktuelle Text stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990). Sollte der neue Verfassungsentwurf in einem Referendum angenommen werden, könnte Boric der Präsident sein, der die letzten Überbleibsel der Pinochet-Diktatur zu Grabe trägt.

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