Sánchez vor turbulenter Amtszeit

​Spaniens Regierung auf dem Hochseil

Pedro Sanchez wird in Spanien erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Foto: epa/Rodrigo Jimenez
Pedro Sanchez wird in Spanien erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Foto: epa/Rodrigo Jimenez

MADRID: Pedro Sánchez wird seinem Ruf als politisches Stehaufmännchen gerecht. Knapp vier Monate nach der Parlamentswahl kommt es in Spanien zur Neuauflage der linken Regierung. Doch Freude und Frieden beschert das der viertgrößten Volkswirtschaft der EU keineswegs.

Der Sozialist Pedro Sánchez ist in Spanien für weitere vier Jahre im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt worden - nach monatelangen Verhandlungen und einem heiklen Deal. Das Unterhaus in Madrid stimmte am Donnerstag knapp vier Monate nach der Neuwahl des Parlaments mit 179 zu 171 Stimmen für eine Fortsetzung der linken Regierung. Dass der 51-Jährige, der bereits seit Mitte 2018 regiert, dies nur durch Zugeständnisse und Versprechungen für zum Teil äußerst umstrittene Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland und Galicien schaffte, lässt seinen Rivalen die Haare zu Berge stehen. Glaubt man der konservativen Opposition, dann hat in der viertgrößten Volkswirtschaft der EU eine «Diktatur» der Linken und der Separatisten begonnen.

Davon spricht die auch auf nationaler Ebene sehr einflussreiche Präsidentin der Hauptstadtregion Madrid, die konservative Hoffnungsträgerin Isabel Díaz Ayuso. Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo, der wie Ayuso der Volkspartei PP angehört, unkte in der Debatte vor der Abstimmung über die Kandidatur von Sánchez, der Rechtsstaat, die Demokratie und die Einheit des Landes seien gefährdet. In die gleiche Kerbe schlug das renommierte Blatt «El Mundo». Es schrieb, Sánchez betreibe einen «Staatsstreich in Zeitlupe», weil er einen «Pakt mit Kriminellen» geschlossen habe.

Harter Tobak. Ist der gerechtfertigt? Was hat Sánchez gemacht? Er hat den beiden im Parlament vertretenen separatistischen Parteien Kataloniens, der linken ERC und der liberalen Junts, neben einem Schuldenerlass von 15 Milliarden Euro und weiteren Zugeständnissen auch eine Amnestie für alle nach Unabhängigkeit strebenden «Catalanistas» zugesichert, die zwischen 2012 und 2023 mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Das sind nach dem diese Woche im Parlament eingebrachten Gesetzentwurf mehr als 200 - darunter auch Carles Puigdemont, der als katalanischer Präsident den gescheiterten Abspaltungsversuch vom Herbst 2017 anführte. Seitdem lebt er - nach filmreifer Nacht-und-Nebel-Flucht - in Belgien im Exil. Zwischendurch wurde er auch mal kurzzeitig in Schleswig-Holstein festgenommen.

Große Demütigung für die Konservativen

Dass Puigdemont nach Inkrafttreten des Gesetzes als Triumphator nach Spanien zurückkehren könnte, empfinden die Konservativen, die Katalonien seinerzeit unter Zwangsverwaltung stellten, als riesige Demütigung. Sánchez versprach in der Parlamentsdebatte vier weitere Jahre des «Fortschritts und des friedlichen Zusammenlebens». Fortschritt vielleicht, aber Frieden kann Sánchez den circa 48 Millionen Bürgern nicht garantieren. Im Gegenteil. Spanien steht vor turbulenten Zeiten.

Schon für Samstag hat die PP zu einem neuen Protest gegen Amnestie und die linke Regierung in Madrid aufgerufen. «Man wird uns nicht zum Schweigen bringen», rief Feijóo zornig. Sein erklärtes Ziel: dass die Regierung aufgibt und es zu Neuwahlen kommt.

Erst am vorigen Wochenende hatte die PP Hunderttausende im ganzen Land mobilisiert. Nicht nur die (relativ) gemäßigte Opposition geht auf die Barrikaden. Schon seit 13 Nächten in Folge protestieren Tausende Anhänger der rechtspopulistischen Vox vor den Quartieren der Sozialisten - teils mit Gewalt, Hitlergruß und Jubelrufen für die Diktatur von Francisco Franco (1939-1975). In der Nacht auf Donnerstag gab es wieder viele Verletzte und Festnahmen.

Heftiger Widerstand droht Sánchez nicht nur auf der Straße

«Die Faschisten und Frauenfeinde protestieren nicht gegen die Amnestie, sondern weil sie sich an den Urnen nicht durchgesetzt haben», rief PSOE-Sprecher Patxi López unter dem Jubel seiner Parteikollegen. Die Opposition habe keine Vorschläge gemacht, weder für den Katalonien-Konflikt noch für andere Themen wie Wohnungsnot oder Stärkung des Gesundheitswesens. Sánchez warf Feijóo vor, sich «dem reaktionären Club von (Donald) Trump, (Marine) Le Pen, (Viktor) Orban und (Vox-Chef) Santiago Abascal» angeschlossen zu haben.

Aber nicht nur auf der Straße wird die Opposition Sánchez das Leben schwer machen. Auch in den Gerichten und Parlamenten wird sie heftigen Widerstand leisten. «Vor allem, wenn man bedenkt, dass die PP inzwischen elf der 17 Autonomen Gemeinschaften regiert und im Senat die absolute Mehrheit hat. Das wird die Verabschiedung von Gesetzen, jede Vereinbarungen mit den Regionen, das Regieren des Landes überhaupt erschweren», schrieb die Zeitung «El Periódico». Die Polarisierung werde zunehmen. Kaum jemand wird dieser Analyse in Spanien widersprechen - auch Sánchez nicht. Zumal er wohl nur mit dem Linksbündnis Sumar eine Koalition bilden wird, die nur auf 152 von 350 Unterhaus-Stimmen kommt. Die anderen Partner aller Couleur werden sich nur mit Mühe bei der Stange halten lassen.

Politisches Stehaufmännchen

Aber Sánchez, das muss man auch bedenken, gilt als politisches Stehaufmännchen, als gewiefter Verhandler und Taktiker, der immer wieder größte Widerstände innerhalb und außerhalb der eigenen Partei zu überwinden wusste, immer auf dem politischen Hochseil ohne Netz und doppelten Boden. Zuletzt war er nach den Regionalwahlen von Mai dieses Jahres politisch totgesagt worden, als seine PSOE und die gesamte Linke eine schlimme Pleite erlitten. Nur einen Tag später zog er die eigentlich fürs Jahresende programmierten Wahlen vor - und hatte mit dem Schachzug Erfolg.

Die PSOE belegte bei der Neuwahl im Juli zwar nur den zweiten Platz hinter der PP. Aber die Kandidatur von Feijóo wurde Ende September vom Unterhaus abgelehnt - auch wegen der Zusammenarbeit der PP mit den Rechtspopulisten von Vox auf nationaler und regionaler Ebene. Dass aber Sánchez anschließend vor Ablauf der Frist am 27. November auch die «Quadratur des Kreises» (Zeitung «La Vanguardia») schaffen und durch den Schulterschluss mit den Separatisten neue Wahlen verhindern würde, hatten nur die Wenigsten für möglich gehalten.

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