Krieg, Klima, Konflikte - An wen geht der Friedensnobelpreis?

Die Antikorruptionskommission von Bangladesch lädt den Friedensnobelpreisträger von 2006 vor. Foto: epa/Monirul Alam
Die Antikorruptionskommission von Bangladesch lädt den Friedensnobelpreisträger von 2006 vor. Foto: epa/Monirul Alam

OSLO: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine prägt seit anderthalb Jahren das Weltgeschehen. In Zeiten des Krieges kommt ein Preis für den Frieden gerade recht. Wer ihn bekommt? Dazu haben führende Friedensforscher unterschiedliche Ideen.

2023 ist das nächste Jahr des Ukraine-Kriegs, zugleich aber auch eines, in dem Hitzewellen, Überschwemmungen und andere vom Klimawandel verstärkte Extremwetterereignisse so häufig und heftig zuschlagen wie selten zuvor. Auch abseits dieser Riesenthemen beherrschen Krisen und Konflikte die Welt, von Chinas Drohgebärden gegen Taiwan bis zu Militärputschen in Afrika und Verteilungskämpfen um immer knapper werdende Rohstoffe.

Wie passt in diese Weltlage nun der Friedensnobelpreis hinein? Sollte die wichtigste politische Auszeichnung der Erde diejenigen würdigen, die sich Autokraten und Kriegstreibern in den Weg stellen? Oder sollten Menschen und Organisationen geehrt werden, die fernab der militärischen Konfliktherde für eine bessere Welt kämpfen?

An diesem Freitag um kurz nach 11.00 Uhr wird die Weltöffentlichkeit erfahren, wie das norwegische Nobelkomitee darüber denkt. Dann wird in Oslo verkündet, wer in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. Mögliche Kandidaten gäbe es genug - von Wolodymyr Selenskyj bis Greta Thunberg.

351 Kandidatinnen und Kandidaten sind diesmal für den Preis nominiert worden, darunter 259 Personen und 92 Organisationen. Mehr Nominierungen gab es nur 2016, damals waren es 376. Wer zum Kreis der Aspiranten gehörte und leer ausging, wird nach der Preisvergabe nicht öffentlich verraten. Die Nobel-Institutionen halten die Listen 50 Jahre lang geheim - gerade das heizt die Spekulationen vor der Bekanntgabe jedes Jahr an.

Das Rätselraten vor der Verkündung sowie die oft auseinandergehenden Meinungen danach gehören zum Nobelpreis dazu wie ein sattes Preisgeld und die prestigeträchtige Nobelmedaille. Ersteres wurde in diesem Jahr um eine Million auf nun elf Millionen schwedische Kronen (rund 950.000 Euro) pro Kategorie hochgesetzt, Letztere dürfen die Geehrten traditionell am 10. Dezember in Empfang nehmen, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).

Vielfalt des Friedens

Wer Friedensnobelpreisträger wird, das hängt am Ende auch immer damit zusammen, wie der Begriff Frieden ausgelegt wird. Manche Leute führen an, dass es darum gehen sollte, Frieden zu bringen - und dass den Preis deshalb Menschen erhalten sollten, die Kriege beendet haben.

Dies würde aber etwa den Kampf für Menschenrechte, die Umwelt und nukleare Abrüstung ausschließen - alles Themen, für die der Preis in der Vergangenheit bereits vergeben wurde, wie Dan Smith, der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, zu bedenken gibt. «Die Leute haben unterschiedliche Definitionen, was ihrer Meinung nach die Grenzen des Preises sein sollten», sagt er. «Und das ist eine Art philosophische Diskussion.»

Im Vorjahr bewies das Nobelkomitee einmal mehr, dass es die Menschenrechte in seine Definition von Friedensstiftung einschließt. Der inhaftierte belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki sowie die Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland und Center for Civil Liberties aus der Ukraine bekamen den Nobelpreis damals zugesprochen. Mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Lage in Belarus sahen Experten darin auch ein Signal an Kremlchef Wladimir Putin, den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und andere Autokraten.

Wird der Nobelpreis auch diesmal mit Russland oder der Ukraine zu tun haben? Ein britisches Wettbüro führt den ukrainischen Präsidenten Selenskyj jedenfalls als Topfavoriten, auch der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny und die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja werden dort erneut zum Favoritenkreis gezählt.

Friedensforscher zählen diese Namen nicht zu ihren Topfavoriten. Gegen Selenskyj spricht, dass er und die Ukraine sich weiterhin im Krieg befinden. Smith sagt: «Wenn es möglich wird, sein Land in eine friedliche Zukunft zu führen, dann wäre das eine solch enorme Leistung, dass er ein sehr verdienter Kandidat für den Preis wäre. Aber an diesem Punkt ist er noch nicht.»

Wer könnte den Nobelpreis stattdessen bekommen? Auf der jährlichen Favoritenliste des Direktors des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio, Henrik Urdal, stehen unter anderen die Menschenrechtlerinnen Narges Mohammadi aus dem Iran und Mahbuba Seradsch aus Afghanistan. «Die Geschichte hat uns gezeigt, dass Respekt für die Menschenrechte untrennbar mit friedlichen Gesellschaften verbunden ist», sagt Urdal.

Nobelpreis für Fridays for Future?

Smith hielte es dagegen für eine gute Idee, wenn das Augenmerk diesmal auf einem anderen Thema als den Menschenrechten liegen würde. Das würde die Reichweite des Preises unterstreichen und dass es für Frieden vieles brauche - auch den Kampf für Klimaschutz.

«Ich habe das Gefühl, dass es Zeit dafür ist, den Fokus auf den Klimawandel und seine Verbindungen zu Unsicherheit und Konflikten zu richten. Und auf unseren globalen Bedarf an friedlicheren Beziehungen, damit die Großmächte zusammenarbeiten können, um die Treibhausgase zu verringern und den Klimawandel abzubremsen», meint Smith. Schon in der Vergangenheit habe das Komitee Nobelpreise für Umweltschutz verliehen. «Und ich bin mir sicher, dass sie das wieder tun können.»

Smith hat in der Hinsicht einen Vorschlag: Die eine Hälfte des Nobelpreises könnte an die von der schwedischen Aktivistin Thunberg initiierte Klimabewegung Fridays for Future gehen, mit der anderen Hälfte könnte der wichtige Beitrag indigener Völker zu dem Thema geehrt werden, etwa in Person des brasilianischen Häuptlings Raoni Metuktire. «Dies wäre der perfekte Preis, weil er so viele Aspekte abdeckt», ist Smith überzeugt. Der junge Aktivismus würde ebenso berücksichtigt wie eine viel ältere Form der Weisheit, sagt der Brite. «Ich denke, dass wir ein neues Gleichgewicht mit der Natur finden müssen. Und indigene Völker und Anführer können uns dabei helfen.»

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