Italiens Frust und Deutschlands Zögern

ROM/BERLIN: Die Corona-Krise stellt die EU auf eine schwere Probe, so mancher sieht sogar die Existenz gefährdet. Wieviel die vielbeschworene europäische Solidarität wert ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Der Blick richtet sich dabei vor allem auf Deutschland.

An Fenstern, Balkonen und auf den Dachterrassen Roms wehen derzeit immer mehr grün-weiß-rote Italien-Fahnen. Sie sind ein Zeichen des Stolzes, dass sich nach Wochen der Angst und Ausgangssperren erste positive Signale im Kampf gegen das Coronavirus zeigen. Gleichzeitig holen mehrere Bürgermeister, etwa in Grosseto in der Toskana und im Ski-Ort Limone Piemonte am Alpenrand, symbolträchtig die blauen EU-Flaggen an ihren Rathäusern ein.

Rechtsaußenpolitiker wie Ex-Innenminister Matteo Salvini und die in Italien sehr beliebte Giorgia Meloni, Chefin der ultrarechten Fratelli d'Italia, beklatschen das. Ihr Tenor: Europa habe Italien in den ersten Wochen der Krise die kalte Schulter gezeigt. Deutschland sei dabei der Bestimmer.

Diese Haltung gibt es aber nicht nur im rechten Lager. Die Enttäuschung und das Unverständnis in Italien sind groß, dass Hilferufe an die EU-Partner zu Beginn der Krise nicht die erhoffte Reaktion fanden. Besonders negativ ist in Erinnerung, dass Deutschland - ähnlich wie Frankreich - Anfang März zeitweise Exportstopps für Material wie Atemschutzmasken, Schutzanzüge und -brillen verhängte.

Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, schickten zuerst China und andere Länder Flugzeuge mit Geräten und Personal - dann auch Russland. Zur Zeit der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Klischee vom «hartherzigen Deutschen» schon über Wochen festsetzen können. Die Zeit des Wartens, während die Zahl der inzwischen fast 14 000 Corona-Toten immer weiter stieg, habe wie ein «Brandbeschleuniger» der Europa-Skepsis gewirkt, sagt der Italien-Experte Wolfango Piccoli vom Forschungsinstitut Teneo.

Inzwischen ist auch die deutsche Hilfe für Italien in großem Stil angelaufen:

- Deutsche Krankenhäuser haben 81 Betten für schwerkranke Covid-19 Patienten aus den überlasteten Krankenhäusern vor allem Norditaliens zur Verfügung gestellt. 32 Patienten wurden bereits nach Deutschland gebracht, teilweise von Spezialflugzeugen der Bundeswehr.

- Sieben Tonnen Hilfsgüter, darunter Beatmungsgeräte und Atemmasken, wurden nach Italien geschickt. Weitere Lieferungen sind zugesagt.

- Auch kommunikativ gibt sich die Bundesregierung Mühe, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Außenminister Heiko Maas (SPD) gab der italienischen Zeitung «Corriere della Serra» kürzlich ein Interview, in dem er sagte: «Sich gegenseitig in Europa zu helfen, sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein. Die Solidarität, gerade in schwierigen Zeiten, gehört zum Fundament der Europäischen Union.»

Solche Beteuerungen werden der Bundesregierung aber nicht mehr überall in der EU abgenommen. Der Grund: Die deutsche Haltung zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Konkret: Das kategorische Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte «Corona-Bonds». Deutschland setzt stattdessen auf bewährte Instrumente wie den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Investitionsbank. Auch der EU-Haushalt biete Spielräume - hier ist Deutschland der größte Nettozahler.

Das deutsche Hauptargument gegen «Corona-Bonds»: Anders als bei Hilfen über den ESM gäbe es keine Auflagen - Staaten wie Italien aber hätten bereits in der Vergangenheit Fiskalregeln nicht eingehalten. Bei «Corona-Bonds» würden die Regierungen nicht nur gemeinsam Geld an Finanzmärkten aufnehmen, sondern auch gemeinschaftlich für Zinsen und Rückzahlung haften. Das ist vielen gerade zu riskant, vor allem in der Unionsfraktion gibt es massiven Widerstand.

Deutschland hat zwar die Niederlande, Finnland und Österreich auf seiner Seite. Der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Süden Europas wächst aber. Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen unterstützt. «Ganz Europa zählt auf Deutschland», sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstag. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch ja gehört wird.

So mancher sieht es längst als Existenzfrage an, ob die EU bei der Krisenbewältigung noch zusammenfindet. Wie ernst die Lage ist, zeigte eine Äußerung des frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors am vergangenen Wochenende. Der 94-Jährige, der sich kaum noch öffentlich zu Wort meldet, zeigte sich angesichts der festgefahrenen Debatte zu einem mahnenden Appell genötigt: Die fehlende Solidarität stelle «eine tödliche Gefahr für die EU» dar.

Der Riss durch die Staatengemeinschaft verläuft nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West - vor allem in Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gerade auszuhebeln versucht.

Alle Annäherungsversuche der Lager in Videokonferenzen der Staats- und Regierungschefs sind bisher gescheitert. Um Ostern soll ein weiterer Versuch stattfinden. Dann wird sich alle Aufmerksamkeit auf Merkel richten, deren Appelle an die Bevölkerung in Deutschland zwar als sehr gelungen gelten. In Sachen Europa hat sie aber noch nicht den Ton getroffen, der den Streit entschärfen könnte.

Stattdessen versucht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Gemüter zu beruhigen. «Es muss anerkannt werden, dass in den ersten Tagen der Krise angesichts der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort zu viele nur an die eigenen Probleme dachten», schrieb sie diese Woche in der italienischen «La Repubblica». «Es war ein schädliches Verhalten, das hätte vermieden werden können.»

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte antwortete am Freitag in derselben Zeitung an die «Liebe Ursula». Von seinen Forderungen nach einer Vergemeinschaftung der Schulden rückte er aber nicht ab: «Wenn man einen Krieg führt, muss man alle Anstrengungen unterstützen, die zum Sieg führen, und sich mit allen Instrumenten ausstatten, die für den Beginn des Wiederaufbaus erforderlich sind.»

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Jürgen Franke 05.04.20 23:29
Lieber Jack, die EU war und ist nach wie
vor der Club, wo man unliebsame Politiker entsorgen konnte. Einige sind nach kurzer Zeit auch nach Deutschland zurückgekehrt. Grundsätzlich besteht jedoch erhöhter Reformbedarf, wenn sie überleben will. Im jetzten Halbjahr übernimmt Deutschland die Regentschaft. Eine Gelegenheit für die Merkel, sich wieder zu profilieren, sollten wir bis dahin überlebt haben.
Norbert Kurt Leupi 05.04.20 14:41
Grosser Fehler bei... Herr H.D.Volkmann
der Aufnahme in den den Bürokraten - Club der EU gemacht ! Da bin ich wieder einmal ganz bei Ihnen ! Viele Länder, die in die EU aufgenommen wurden , leben über den Verhältnissen (Dolce Vita ) , darum bleiben sie unter ihrem Niveau !
Hans-Dieter Volkmann 05.04.20 00:32
Francesco Posca 04.04.20 16:52
Sehr geehrter Herr Posca. der unvoreingenommene Beobachter der italienischen Wirtschaftssituation weiß das dieses Land in einer Rezession mit sehr hohen Schulden steckt. Heute zählen nicht die Schulden aus längst vergangenen Zeiten. Heute zählt die wirtschaftliche Realität. Und da ist Italien für die EU ein Problem. Die EU hat einen großen Fehler bei der Aufnahme der Länder in ihre Gemeinschaft gemacht. Sie wünschen sich Italien aus der Union. Ich glaube Sie wissen gar nicht was das für Italien bedeuten würde. Denken Sie mal über folgende Fakten nach: Die durchschnittliche pro Kopf-Verschuldung in der EU beträgt 24776 Euro. Die Italiens aber 38423 Euro und die Deutschlands 23996 Euro. Im Falle eines Falles, wer kann (nicht wer will) Italien wohl helfen, vielleicht die denen Sie gerne den Rücken kehren wollen?
Thomas Sylten 05.04.20 00:02
Herrn Franke: Ich erinnere dass Deutschland das erste Land war dass die Stabilitätskriterien riss (noch unter Schröder). Da es sich gegen die eigentlich anstehende Strafe durchsetzte, war dann auch kein entsprechender Druck auf andere mehr möglich. Also bitte nicht NUR mit dem Finger auf andere zeigen, sondern zugleich AUCH an die eigene Mitverantwortung denken.
Jürgen Franke 04.04.20 22:50
Herr Posca, ich danke Ihnen für Ihren Kommentar,
in dem Sie daran erinnern, dass 1953 Deutschland die Schulden der beiden Kriege um 50% halbiert hat. In diesem Zusammanhang ist zu erwähnen, dass Frankreich die Einführung des Euros, denn darum geht es in diesem Beitrag, für die deutsche Wiedervereinigiung 1960 von Kohl erzwungen hat. Wenn sich alle Länder an die damals geschlossenen Verträge gehalten hätten, würde der EURO heute noch funktionieren. Leider haben die Länder Italien, Spanien und Frankreich über ihre Verhältnisse gelebt.
Thomas Sylten 04.04.20 20:45
Ich habe den Eindruck dass sich an dieser Frage die Zukunft Europas entscheidet:
Sind wir bereits ein gemeinsames Haus Europa mit "europäischen Staatsbürgern" -
oder fallen wir angesichts der übermächtigen Blöcke USA, Russland und China in nicht konkurrenzfähige Kleinstaaterei zurück.

Im letzteren Fall werden wir - wie es sich gerade andeutet - bald von den verbleibenden Großen gegeneinander ausgespielt und unter verschiedene Einflussspären geraten, weshalb ich nur die erste Variante für erstrebenswert halte: Denn wenn wir in der Not zusammen stehen, werden wir als Gemeinschaft gestärkt daraus hervorgehen und als dann stärkster Block auch gemeinsam davon profitieren.

Es scheint als hängt es zurzeit an Deutschland, welchen Weg die Welt einschlägt -
und ich hoffe sehr dass wir nicht kleinlich, sondern klug sind und die große Europäische Idee nicht endgültig gegen die Wand fahren wg. einiger national-egoistischer Bedenkenträger, die die Größe dieser historischen Gamechanger-Chance nicht begreifen..
Hermann Auer 04.04.20 16:53
@Sylvia Schattschneider
Fehler gefunden. Er liegt bei Ihnen. So lange die Sozialleistungen eines Mitgliedsstaates einer Währungsunion an die Produktivität gekoppelt sind, sind solche Unterschiede unerheblich. Das einzige, was in einer Währungsunion wirklich eingehalten werden muss, ist die Inflationsrate. Und in diesem Punkt ist Deutschland der Störenfried, nicht Italien und auch nicht Griechenland oder sonst wer.
Jürgen Franke 04.04.20 16:49
Es war doch schon lange bekannt,
daß uns der EURO um die Ohren fliege würde, da insbesondere die südlichen Länder, sich nicht nur nicht an die Regeln gehalten haben, sondern versäumt haben, erforderliche Reformen in ihren Ländern durchzuführen. Stichwort: Agenda 2010. Diese Reform war so super, dass Merkel ganz bequem bis zum heutigen Tag durchregieren konnte. Wetten, dass sie heute noch mal gewählt werden würde, wenn sie sich zur Wahl stellen würde?
Ingo Kerp 04.04.20 16:13
Nach dem Ende der C-Krise dürfte wohl ein sehr tiefer Riß in der EU sichtbar sein. Der bezieht sich dann nicht nur auf die Finanzen sondern auch auf die jetzt bereits eingeschlagenen nationalen Richtungen, die mit dem EU Gedanken nichts mehr zu tun haben.
Sylvia Schattschneider 04.04.20 12:17
Die einen gehen mit 60 in Rente ,die anderen mit 67.Selbst Kurzarbeitergeld ist in der Höhe sehr verschieden und in Deutschland mit am geringsten ,aber die Schulden gemeinsam zahlen.Finde den Fehler