EU macht Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, spricht während einer Pressekonferenz auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Foto: Geert Vanden Wijngaert
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, spricht während einer Pressekonferenz auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Foto: Geert Vanden Wijngaert

BRÜSSEL: Es ist eine historische Entscheidung - für die EU und die Ukraine: Das kriegserschütterte Land kandidiert nun offiziell für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Doch es dürfte ein langer Weg werden.

Die von Russland angegriffene Ukraine und das kleinere Nachbarland Moldau sind offiziell EU-Beitrittskandidaten. Das beschlossen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die anderen 26 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Bosnien-Herzegowina und Georgien könnten demnächst folgen, sobald sie bestimmte Reformen erfüllen.

Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprachen von einem «historischen Moment». Selenskyj wurde nach der Entscheidung live zum Gipfel zugeschaltet. «Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU», schrieb er auf Twitter.

Macron: «Politische Geste»

Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einer «politischen Geste». Kanzler Scholz schrieb auf Twitter: «27 Mal Ja!» Er ergänzte: «Auf gute Zusammenarbeit in der europäischen Familie!»

Insgesamt kandidieren nun sieben Länder für die EU-Mitgliedschaft. Neben der Ukraine und Moldau sind das Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Serbien und die Türkei. Im Fall Türkei liegen die Verhandlungen allerdings auf Eis. Potenzieller Beitrittskandidat ist neben Bosnien und Georgien auch noch das Kosovo. Den Balkanländern wurde der EU-Beitritt schon vor 19 Jahren in Aussicht gestellt. Die Türkei ist am längsten Beitrittskandidat: knapp 23 Jahre.

Von der Leyen nannte die Entscheidung von Donnerstag ein Zeichen der Hoffnung für die Ukraine, Moldau und Georgien. «Heute ist ein guter Tag für Europa», sagte sie. «Ich bin überzeugt, dass unsere Entscheidung, die wir heute getroffen haben, uns alle stärkt.»

Keine Garantie für zügige Aufnahme

Mit der einstimmigen Entscheidung der 27 Mitgliedstaaten erkennt die EU die Anstrengungen der Staaten um eine Beitrittsperspektive an und will ihnen Mut machen, den Weg entschlossen fortzuführen. Vor allem Selenskyj hatte angesichts des russischen Kriegs gegen sein Land zuletzt immer wieder eine solche Botschaft der EU eingefordert - auch um den mehr als 40 Millionen Bürgern seines Landes zu zeigen, dass sich der Kampf für Freiheit und Demokratie lohne.

Nach einer Empfehlung der EU-Kommission sollen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau erst dann beginnen, wenn diese weitere Reformauflagen erfüllt haben. Dabei geht es etwa um Justizreformen und eine stärkere Korruptionsbekämpfung. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal kündigte an: «Wir sind voller Energie, um den Weg zur Mitgliedschaft so schnell wie möglich zu gehen.»

Balkan-Staaten frustriert - Aber Hoffnung für Bosnien Herzegowina

Zunehmend frustriert sind die ebenfalls auf einen EU-Beitritt hoffenden Westbalkanstaaten. Das EU-Land Bulgarien blockiert seit mehr als einem Jahr die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien, weil sich Nordmazedonien weigert, auf Forderungen zu den Themen Minderheiten, Geschichtsschreibung und Sprache einzugehen. Versuche, die Blockade rechtzeitig vor einem am Rande des EU-Gipfels organisierten Westbalkan-Treffen zu lösen, scheiterten.

Bosnien-Herzegowina kann aber hoffen, bald in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen zu werden. Nach Angaben von EU-Ratspräsident Charles Michel soll die EU-Kommission zügig einen neuen Bericht zu den Reformanstrengungen des Landes vorlegen. Die EU-Staaten wären dann bereit, eine Entscheidung über den Beitrittskandidatenstatus für das rund 3,3 Millionen Einwohner zählende Bosnien-Herzegowina zu treffen, erklärte der Belgier am Rande des EU-Gipfels in Brüssel.

Insbesondere Österreich hatte zuvor darauf gedrungen, auch Bosnien-Herzegowina offiziell zu einem Kandidaten für den EU-Beitritt zu machen. «Der Paradigmenwechsel war, dass Bosnien wieder in den Fokus zurückgekommen ist», betonte Nehammer nach dem Gipfel. «Wir dürfen den Balkan nicht vergessen. Es ist wichtig, sich um Bosnien-Herzegowina zu kümmern.»

Explodierende Energiepreise Thema zum Abschluss des Gipfels

Das Treffen in Brüssel geht am Freitag mit einem Euro-Gipfel zu Ende, bei dem es unter anderem um die hohe Inflation und die explodierten Energiepreise gehen wird. Das Thema treibt die Staats- und Regierungschefs auch deshalb stark um, weil die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar davon betroffen sind. Auch die Möglichkeit eines Preisdeckels für Gas, für den sich unter anderem Italien einsetzt, dürfte wieder aufkommen. Zudem soll darüber beraten werden, wie mit den Ergebnissen des einjährigen Bürgerdialogs zur Zukunft der EU umgegangen wird.


EU-Kandidat - und jetzt?
Michel Winde und Ansgar Haase (dpa)

BRÜSSEL: Seit Monaten drängelt der ukrainische Präsident Selenskyj fast täglich, dass sein Land in die EU aufgenommen werden soll. Nun ist ein erster Schritt gemacht: Die Ukraine ist EU-Beitrittskandidat. Aber was bedeutet das überhaupt?

Wenn es um die Frage eines möglichen EU-Beitritts ging, wurde die Ukraine immer wieder vertröstet. Russlands Krieg gegen das osteuropäische Land hat nun unerwartet Tempo in die Annäherung Kiews an die EU gebracht. Bei einem Gipfel in Brüssel wurde nun eine historische Entscheidung getroffen: Die Ukraine ist jetzt EU-Beitrittskandidat.

Was bedeutet der Kandidatenstatus?

Relevant ist der Status vor allem psychologisch und symbolisch. Die EU zeigt den mehr als 40 Millionen Ukrainern, dass sie eine Perspektive haben, EU-Bürger zu werden. Er soll zudem ein Zeichen sein, dass es sich lohnt, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. «Die Ukraine steht an der Frontlinie und verteidigt europäische Werte», sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich.

Ist der Kandidatenstatus mit Finanzhilfen verbunden?

Einen Automatismus zwischen Kandidatenstatus und Finanzhilfe gibt es nicht. Für die Beitrittskandidaten sind von 2021 bis 2027 allerdings insgesamt 14,16 Milliarden Euro als sogenannte Heranführungshilfen eingeplant. Das Geld soll Reformen unterstützen, die Auszahlung muss jedoch von den Mitgliedstaaten bewilligt werden. Unterm Strich dürften die Finanzhilfen aber ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Der Wiederaufbau der hoch verschuldeten Ukraine wird ersten Schätzungen zufolge weit mehr als eine Billion Euro kosten.

Wie lange dauert der Weg vom Kandidatenstatus bis zum EU-Beitritt?

Das kann niemand vorhersagen. Die Türkei etwa wurde 1999 EU-Kandidat - und war wohl noch nie weiter von einer Mitgliedschaft entfernt als heute. Relevant ist auch, dass jeder Schritt der Annäherung einstimmig von den EU-Staaten beschlossen werden muss. Theoretisch kann ein Beitrittskandidat auch nie Mitglied werden.

Wie geht es jetzt für die Ukraine weiter?

Die Staats- und Regierungschefs stellten sich hinter eine Empfehlung der EU-Kommission. Demnach muss das Land vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zunächst sieben Voraussetzungen erfüllen. Es geht unter anderem um das Auswahlverfahren ukrainischer Verfassungsrichter und eine stärkere Korruptionsbekämpfung - insbesondere auf hoher Ebene. Auch fordert die EU-Kommission, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird.

Kann die Ukraine diese Voraussetzungen in absehbarer Zeit erfüllen?

Das ist äußerst unwahrscheinlich. Der Europäische Rechnungshof stellte dem Land noch im September ein verheerendes Zeugnis aus. «Obwohl die Ukraine Unterstützung unterschiedlichster Art vonseiten der EU erhält, untergraben Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und gefährden die Entwicklung des Landes», hieß es damals.

Zwar hätten EU-Projekte und EU-Hilfe dazu beigetragen, die ukrainische Verfassung sowie eine Vielzahl von Gesetzen zu überarbeiten. Die Errungenschaften seien allerdings ständig gefährdet, und es gebe zahlreiche Versuche, Gesetze zu umgehen und die Reformen zu verwässern. Das gesamte System der strafrechtlichen Ermittlung und Strafverfolgung sowie der Anklageerhebung bei Korruptionsfällen auf höchster Ebene sei alles andere als gefestigt.

Ist die EU überhaupt in der Lage, weitere Länder aufzunehmen?

Die Europäische Union gilt vielen schon jetzt - mit 27 Mitgliedern - als behäbig. Weil in Bereichen wie der Außenpolitik Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, kommt es immer wieder zu Blockaden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) mahnt deshalb, die EU müsse sich «erweiterungsfähig» machen. Dazu gehöre auch, für einige Entscheidungen das Prinzip der Einstimmigkeit aufzuheben. Jedoch ist sehr unwahrscheinlich, dass alle Staaten bereit sind, ihr Veto-Recht aufzugeben.

Welche Rolle spielt Russlands Krieg auf dem EU-Weg der Ukraine?

Vermutlich eine zweischneidige. Auf der einen Seite hätte die Ukraine ohne den Krieg wohl niemals so schnell den Kandidatenstatus bekommen. Auf der anderen Seite dürfte der Krieg die Bemühungen erschweren, die Auflagen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen zu erfüllen. Zudem gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor Kriegsende EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern - die EU wäre offiziell Kriegspartei.

Welche Länder streben noch in die Europäische Union?

Bereits seit längerem Beitrittskandidaten sind neben der Türkei die Länder Albanien, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien. Hinzu kommen Bosnien-Herzegowina und das Kosovo als sogenannte potenzielle Kandidaten. Kurz nach der Ukraine hatten sich im März auch Georgien und Moldau beworben. Moldau wurde beim EU-Gipfel wie die Ukraine zum EU-Kandidaten gemacht. Georgien soll zunächst Reformen erfüllen, ehe es so weit ist. Die Hoffnungen der Balkan-Staaten auf Fortschritt wurden bei einem gemeinsamen Treffen mit der EU am Donnerstag enttäuscht.

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Hansruedi Bütler 26.06.22 17:20
Angriffskrieg???
Die sind mir eher von den USA bekannt.
Unzählige male haben die ohne UNO Mandat und über false Flake, diverse Staaten angegriffen.
Aber das sind ja die Guten, die das ungestraft und ohne jegliche Konsequenzen seit Jahrzehnten dürfen!!!
In diesem Sinn ist Ihre "Wunschdarstellung" irreführend und nicht nur irrelevant.
Seit der Ansage von Joe Biden in den 90igern wurde fleissig an diesem Szenario, RUS zu provozieren, gebastelt.
USA und EU, allen vorab D, haben viel in der Ukraine zu verbergen.
Durch die aufgefundenen Biolabors, nachvollzogene Geldwäsche, Menschenhandel, Embrionalzellengewinnung etc. etc. etc. haben wir RUS zu verdanken, dass keine NEUEN Labor-Erreger, von dort auf die Menschheit losgelassen werden.
Dies sollte aber besser "gedeckelt" werden, denn es gefällt nicht nur Ihnen nicht. 555
Daher auch die grosse Aufregung im DS, die ihre Felle (abgetriebene Föten) davonschwimmen sehen!!!
Derk Mielig 26.06.22 13:00
@HRB
Das ist irrelevant, was Sie sonst noch so zum Thema behauptet haben. Nun behaupten Sie jedenfalls, dass sich " die bösen Russen der Osterweiterung der NATO zu Wehr setzen,", und dass ist Quark. Die setzen sich nicht zur Wehr, die führen einen Angriffskrieg.
Hansruedi Bütler 25.06.22 20:30
Interessant, wie der Backpulver inhalierende
Politjongleur seine Fan-Gemeinde an der Nase herumführt.
Da sich die bösen Russen der Osterweiterung der NATO zu Wehr setzen, möchte ich nochmals Joe Biden zitieren.
Er sagte 1997:
"Das einzige was RUS zu einer heftigen militärischen Reaktion zwingen würde -
wäre eine Expansion der NATO an sie russische Grenze."
Komisch: so etwas gab es doch gar NIE - oder???
Als im Oktober 1962 die "Kubakrise" hochkochte, war es doch fast für ALLE klar, dass sich die USA wehrten!
Das "böse RUS" darf das aber nicht, derweil das Wunschdenken ein anderes Szenario vorgesehen hat!!!
Wie verdreht und unwissend sind doch viele Menschen in ihrem Starrsinn gefangen. :-(
Ingo Kerp 24.06.22 14:50
Die EU macht sich inzwischen selbst zum Komoedienstadl. Da werden Mitgliedschaften den Ukrainern und Moldau angeboten, die von derselben weiter entfernt sind als vom Mond. Ein Versprechen, daß das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben steht. Da werden Hoffnungen geweckt, die niemals zu erfüllen sind. Es spricht so vieles gegen die beiden Staaten, das es unmoeglich ist, die Probleme zu erledigen. Im Falle Moldau ist es politisch absolut ausgeschlossen.