Paris streitet um Gewalt gegen Frauen

​Eine Ohrfeige, zwei Rücktritte 

Französischer Abgeordneter der linksgerichteten Partei La France Insoumise (LFI) Adrien Quatennens. Foto: epa/Christophe Archambault
Französischer Abgeordneter der linksgerichteten Partei La France Insoumise (LFI) Adrien Quatennens. Foto: epa/Christophe Archambault

PARIS: Frankreichs Linke ist mit ihrem Umgang mit Vorwürfen von Gewalt gegen Frauen in die Kritik geraten. Auch bei den Grünen kriselt es wegen Gewaltvorwürfen. Während das Thema längst nicht nur das linke Lager betrifft, wird bei einer Partei nun ein Komplott befürchtet.

Frankreichs linkes Lager kommt nicht zur Ruhe. Seit Wochen hadert es nach Vorwürfen der Gewalt gegen Frauen mit sich. Nun muss es auch noch mit einer Schlammschlacht umgehen, bei der das eigentliche Problem in den Hintergrund zu rücken scheint. Zwei Parteifunktionäre der Linkspartei und der Grünen sind zurückgetreten, doch die Welle an Kritik und Vorwürfen ebbt nicht ab. Es ist ein gefundenes Fressen für die anderen politischen Lager - aber auch Grund für handfeste Kritik von Aktivistinnen.

Der Auslöser: Der Hoffnungsträger der linken Partei La France Insoumise (LFI), Adrien Quatennens, gibt nach Berichten über eine Aussage bei der Polizei öffentlich zu, seine Frau im Streit geschlagen, sie festgehalten und ihr das Telefon weggenommen zu haben. Er tritt als Koordinator seiner Partei zurück. Parteigründer und Linkenikone Jean-Luc Mélenchon stärkt seinem Schützling den Rücken. «Adrien entscheidet, alles auf sich zu nehmen. Ich begrüße seine Aufrichtigkeit und seinen Mut.» Und damit beginnt der eigentliche Streit in Frankreich.

«Es ist natürlich extrem schockierend, jemanden zu haben, der innerfamiliäre Gewalt banalisiert», wirft Premierministerin Élisabeth Borne Mélenchon vor. Vom «moralischen Ertrinken der Linken» und «totaler Heuchlerei» spricht der Interimschef des rechtsnationalen Rassemblement National, Jordan Bardella. «Für alle anderen bedeutet der Verdacht die Verurteilung. Für sie ist das Zugeständnis von Schuld nichts als Mut und Aufrichtigkeit.»

Ärger gibt es dabei auch bei Grünen. Denn Julien Bayou von Europe Ecologie-les Verts (EELV) wird angelastet, seine Ex-Partnerin psychisch fertig gemacht zu haben. Er bestreitet die von einer Parteikollegin öffentlich gemachten Vorwürfe, tritt aber zunächst als Fraktionschef und dann auch als Generalsekretär seiner Partei zurück.

Für Aufregung sorgt anfangs, dass der Fall einer internen Ansprechstelle für sexuelle Belästigung bekannt war, aber noch keine Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Schön und gut, dass Linke und Grüne parteiinterne Instanzen haben, die sich mit Gewalt gegen Frauen beschäftigen, heißt es in einem Kommentar im Sender France Info. «Doch die Sorge ist, dass sie statt die Justiz anzurufen, diese nutzen, um ihre dreckige Wäsche im Kreise der Familie zu waschen.»

Mittlerweile aber hängt die dreckige Wäsche der Grünen gut sichtbar vor dem Fenster, denn es kursiert nun eine ganz andere Version der Geschichte. Die linksgerichtete Tageszeitung «Libération» berichtet von einer Art Komplott gegen Bayou. Mehrere Frauen hätten über Jahre gezielt ein Dossier gegen ihn erstellt, darunter auch einige seiner Ex-Partnerinnen. Was wirklich gelaufen ist, bleibt wohl ein Rätsel, doch der Imageschaden ist den Grünen gewiss.

Doch während andere Parteien nun mit dem Finger auf das linke Lager zeigen, prangern mehr als 500 Frauenrechtsaktivistinnen ein System des Täterschutzes durch alle politischen Lager hinweg an. Und tatsächlich: das linke Lager ist nicht das einzige, das bei glaubwürdigen Vorwürfen von Gewalt gegen Frauen und sexueller Gewalt nicht handelt.

Wochenlang ließ etwa Frankreichs liberaler Präsident Emmanuel Macron den Minister für Solidarität, Damien Abad, auf seinem Posten, obwohl gegen ihn Vergewaltigungsvorwürfe vorlagen. Macron entließ ihn erst im Rahmen einer Kabinettsumbildung. Gegen Innenminister Gérald Darmanin wurde wegen mutmaßlicher Vergewaltigung ermittelt, ohne dass er um sein einflussreiches Amt bangen musste. Mittlerweile hat die Justiz die Untersuchungen eingestellt. Doch der Fall zeigt, dass der Vorwurf auch von schwerer Gewalt gegen Frauen in der französischen Politik zuweilen wenig Konsequenzen nach sich zieht.

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