Der Ausraster: Klaus Kinski

50 Jahre «Du dumme Sau» und 30 Jahre Tod des Filmstars

27.11.1971, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Der Schauspieler Klaus Kinski bietet seine Version des
27.11.1971, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Der Schauspieler Klaus Kinski bietet seine Version des "Neuen Testaments" dar. Foto: Bertram/dpa

BERLIN: Eine Kleinigkeit konnte reichen und er explodierte: Klaus Kinski ist für seine Cholerik mindestens genauso berühmt wie für seine Filme. Nun jähren sich der Todestag und der wohl legendärste Auftritt des Filmstars, über dessen Schaffen inzwischen ein Schatten liegt.

Spätestens nach den Missbrauchsvorwürfen seiner beiden Töchter Nastassja und Pola wird Klaus Kinski mittlerweile in einem anderen Licht gesehen. Da erscheint er bei der Rückbesinnung nicht mehr nur als der geniale Schauspieler mit unterhaltsam-cholerischer Ader, sondern eben auch als ein Mann, der sich des sexuellen Missbrauchs seiner Kinder schuldig gemacht hat. Vor 30 Jahren (23.11.) starb der für seinen Zorn berühmte Filmstar mit 65 Jahren in seinem Haus in Lagunitas in der Nähe von San Francisco.

Der im Ostseebad Sopot bei Danzig geborene Schauspieler ging in die Kinogeschichte vor allem für seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Werner Herzog ein («Aguirre, der Zorn Gottes», «Nosferatu – Phantom der Nacht», «Woyzeck», «Fitzcarraldo», «Cobra Verde»).

Die einen sind von ihm bis heute fasziniert, die anderen empfinden nur Fremdscham. Bei Kinski, den der Comedian Max Giermann zum Verwechseln ähnlich imitieren kann, war schnell die Lunte an.

Der wohl gewaltigste Wutanfall ereignete sich vor 50 Jahren. Es war der 20. November 1971, als Kinski in der (2011 gesprengten) Deutschlandhalle in Berlin-Westend seinen Monolog-Text «Jesus Christus Erlöser» uraufführen wollte. Es war ein Text von 30 Seiten, für dessen Vortrag etwa anderthalb Stunden geplant waren.

Etwa 5000 Menschen kamen, der Eintritt kostete drei, fünf oder zehn D-Mark. Der Abend wurde ein Desaster, wie der Dokumentarfilm «Jesus Christus Erlöser» von Peter Geyer aus dem Jahr 2008 eindrucksvoll zeigt.

Schon nach wenigen Minuten war Schluss mit ungestörter Rezitation. Gelächter, Geläster, Zwischenrufe («Kinski ist nicht Jesus») dominierten die Halle. Hunderte machten sich einen Spaß daraus, die weihevolle Veranstaltung im antiautoritären Happening-Stil zu stören. Und Kinski ließ sich provozieren, fiel rasch aus seiner Rolle.

Ein Höhepunkt des unflätigen Theaters war es, als Kinski einen Störenden auf die Bühne rief: «Komm Du jetzt hierher, der so ein großes Maul hat!». Der Zuschauer kam hinauf und sagte ins Mikrofon, er glaube, Kinski sei nicht der Jesus, den vielleicht manche im Publikum suchten, da Jesus «duldsam» gewesen sei und bei Widerspruch nicht «Halt deine Schnauze!» riefe. Der Schnäuzerträger übergab das Mikro wieder und ging ab. Nun brach es aus Kinski raus: «Nein, er hat nicht gesagt "Halt die Schnauze". Er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen! Das hat der gemacht. Du dumme Sau!»

In der Folge eskalierte die Situation immer weiter. Kinski brach ab, ließ einen Mann von der Bühne schmeißen, sagte Sätze wie «Und wenn nur ein einziger übrig bleibt, der das hören will, so muss er warten, bis das andere Scheiß-Gesindel weggegangen ist!». Zuschauer betraten die Bühne und wandten sich per Mikro ans Publikum und verlangten, Kinski müsse sich für seine «faschistischen Methoden» entschuldigen.

Kinski erklärte den Abend mehrmals für beendet. Irgendwann hatte ein Großteil der Zuschauer den Saal verlassen. Etwa um Mitternacht erschien Kinski dann doch wieder vor der Bühne, wo etwa 100 bis 200 Personen warteten. Er setzte erneut an, ohne Mikro. Er unterbrach wieder wegen Lärms. «Kannst du dir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der 30 Schreibmaschinenseiten reden muss, dass man da einfach nur die Schnauze halten muss? Kannst du es dir nicht vorstellen? Dann lass es dir von irgendjemanden mit dem Hammer in dein Gehirn eindämmern.»

Schließlich trug er noch den ganzen Text vor. Gegen 2 Uhr war Ende.

In den folgenden Jahrzehnten mit internationalem Erfolg, Wohnsitz in Kalifornien und hin und wieder auch TV-Auftritten in Deutschland, etwa 1985 bei Thomas Gottschalk in «Na sowas!», kokettierte Kinski gern mit seiner Rolle als «der Schwierige» und zickiger Star.

Erst posthum 2013 bezichtigte ihn seine Tochter Pola, geboren 1952 in Berlin, des schweren sexuellen Missbrauchs. Die Übergriffe begannen demnach, als sie fünf Jahre alt war, und endeten erst mit 19.

Klaus Kinski kann sich nicht mehr verteidigen. Die Schilderung von Pola Kinski wurde jedoch allgemein als glaubwürdig empfunden.

So erklärte auch seine zweite Tochter Nastassja Kinski, er habe sie belästigt, als sie vier oder fünf gewesen sei. «99 Prozent der Zeit hatte ich fürchterliche Angst vor ihm.» Würde er noch leben, würde sie alles dafür tun, ihn ins Gefängnis zu bringen.

Pola Kinski sagte einst dem «Stern», sie habe ihr Enthüllungsbuch «Kindermund» geschrieben, weil sie es nicht mehr ertragen habe, dass Klaus Kinski immer mehr zum Genie, zum Sensiblen, hochgejubelt worden sei.

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