​Kriminelle Banden fordern den Staat heraus

Nach einer Eskalation der Gewalt erklärt Ecuadors Präsident Noboa den
Nach einer Eskalation der Gewalt erklärt Ecuadors Präsident Noboa den "internen bewaffneten Konflikt". Foto: epa/Jose Jacome

Quito: Nach einer beispiellosen Machtdemonstration der kriminellen Banden im Live-Fernsehen hat die ecuadorianische Regierung den kriminellen Gangs in dem südamerikanischen Land den Krieg erklärt. Tausende Soldaten und Polizisten patrouillierten auf den Straßen, 70 Verdächtige wurden festgenommen, wie die Sicherheitsbehörden am Mittwoch mitteilten. Bei Einsätzen im ganzen Land wurden Schusswaffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt. Zudem befreiten die Beamten drei von Gangmitgliedern verschleppte Polizisten und setzten 17 entflohene Häftlinge fest.

Präsident Daniel Noboa deklarierte 22 kriminelle Gruppen per Dekret als terroristische Organisationen und nicht-staatliche Kriegsparteien, die ausgeschaltet werden sollen. «Alle diese Gruppen sind jetzt militärische Ziele», sagte Militärchef Jaime Vela in einer Ansprache. Ecuador befinde sich im Kampf gegen das organisierte Verbrechen mittlerweile in einem internen bewaffneten Konflikt, hieß es in dem Dekret weiter. Die Sicherheitskräfte seien deshalb auch zum Einsatz tödlicher Gewalt gegen Bandenmitglieder berechtigt.

Am Dienstag waren Bewaffnete während einer Live-Übertragung in die Räumlichkeiten des staatlichen Fernsehsenders TC Televisión in der Hafenstadt Guayaquil eingedrungen und hatten mehrere Journalisten und Mitarbeiter als Geiseln genommen. «Wir sind auf Sendung, damit sie wissen, dass man nicht mit der Mafia spielt», sagte ein Mann in die Kamera. In den Aufnahmen waren Schüsse und Schreie von Menschen zu hören. Spezialeinheiten der Polizei brachten den Fernsehsender später wieder unter Kontrolle und nahmen 13 Verdächtige fest. Es seien Waffen und Sprengstoff sichergestellt worden, teilte die Polizei mit. Den Festgenommenen werde Terrorismus vorgeworfen.

Im ganzen Land verübten Mitglieder krimineller Banden Sprengstoffanschläge, setzten Fahrzeuge in Brand und griffen Sicherheitskräfte an. In Guayaquil kamen nach Polizeiangaben bei Kämpfen mindestens acht Menschen ums Leben. Aus Angst vor Plünderungen verbarrikadierten viele Geschäftsleute ihre Läden. Bis Ende der Woche sollen alle Schulen des Landes geschlossen bleiben, wie das Bildungsministerium mitteilte.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission verurteilte die Gewalteskalation in Ecuador. Sie rief die Sicherheitskräfte dazu auf, bei ihren Einsätzen die Menschenrechte zu achten. «Der Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die Kriminalität ist fundamental in der Region», schrieb der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, Luis Almagro, auf der Plattform X, ehemals Twitter.

Wegen chaotischer Zustände in den Gefängnissen hatte die Regierung des südamerikanischen Landes erst am Montag den Ausnahmezustand verhängt. Kriminelle Banden lieferten sich in den Haftanstalten heftige Auseinandersetzungen und nahmen Wärter als Geiseln. Dem Chef der mächtigen Bande «Los Choneros», Adolfo Macías alias «Fito», und dem Anführer der Gang «Los Lobos», Fabricio Colón Pico, waren dabei laut Gefängnisverwaltung offenbar die Flucht gelungen.

Lange Zeit galt Ecuador als relativ friedliches Land auf dem von Gewalt geprägten südamerikanischen Kontinent - bekannt für die einzigartige Fauna der Galapagos-Inseln, majestätische Vulkane in den Anden, Panflöten und Bananen. Doch die Sicherheitslage hatte sich zuletzt dramatisch verschlechtert. Die Mordrate von rund 46,5 Tötungsdelikten pro 100 000 Einwohner im vergangenen Jahr war die bislang höchste in der Geschichte des einst friedlichen Andenstaates und eine der höchsten Lateinamerikas.

Mitten im Wahlkampf war Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio, der gegen die Korruption zu kämpfen versprach, im August vergangenen Jahres nach einer Kundgebung in Quito erschossen worden. Nach seinem Wahlsieg kündigte der junge Präsident Noboa an, entschlossen gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen und die Macht der aus den Gefängnissen heraus operierenden Gangs zu brechen.

Wie tief die Verbrechersyndikate weite Teile der Gesellschaft bereits infiltriert haben, zeigte sich Ende vergangenen Jahres. Während der Operation Metástasis (Metastasen) wurden über zwei Dutzend Verdächtige festgenommen, darunter Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Beamte des Strafvollzugs. «Die Ermittlungen zeigen, wie der Drogenhandel in die staatlichen Institutionen vorgedrungen ist», sagte Generalstaatsanwältin Diana Salazar damals.

Mehrere Banden mit Verbindungen zu mächtigen mexikanischen Kartellen kämpfen um die Kontrolle über die Routen des Drogenhandels. Auch albanische Drogenhändler sollen mittlerweile mitmischen. Ecuador ist ein wichtiges Transitland für Kokain aus Südamerika, das aus den Produktionsländern Kolumbien, Peru und Bolivien in die USA und nach Europa geschmuggelt wird.

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