Allerhöchster Besuch

Allerhöchster Besuch

Es war am 31. Dezember 2017. Der Besuch war angekündigt. Ich war durch die Mail eines mir unbekannten Gabriel informiert. Darin hieß es: „Gott kommt. Treffpunkt: Alter Markt, um 11 Uhr. Alle sind eingeladen.“

Im kleinen Kreis kam er. Auch der Papst war nicht dabei. Gott hatte nur einen Pressesprecher, zwei Bodyguards und eine Sekretärin mitgebracht. Er war pünktlich. Und da ich rechtzeitig gekommen war, stand ich in der ersten Reihe. Neugierig und aufgeregt wie die vielen anderen, die von allen Seiten herbei- geströmt waren und wohl einen Querschnitt der Bevölkerung darstellten: Alte und Junge, Arme und Reiche, Asylanten und Behinderte. Was würde er sagen? Zunächst sah er sich um und sagte gar nichts. Dann bewegten sich seine Lippen, und er fragte, wenn ich es richtig verstanden hatte: „Ist das hier die Welt, die ich erschaffen habe?“ Da ich ihm am nächsten stand, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß: „Ja, das ist die Welt, die von den Menschen, beim Versuch, ein neues Paradies zu schaffen, daraus entwickelt wurde.“ Er schaute mich traurig an. Wenn ich mich nicht irrte, entdeckte ich in seinem rechten Auge eine Träne. „Das hatte ich mir anders vorgestellt“, sagte er. „Ich wollte eigentlich eine Welt errichten ohne Hunger und Not, eine Welt, in der Nächstenliebe und Frieden eine Heimat finden.“

Ich sah ihm an, dass er sich nicht wohl fühlte. Aber da sein Blick wohlwollend auf mir ruhte, fasste ich mir den Mut und fragte ihn, ob ich ihn auf ein Kölsch einladen dürfe. Entgegen meiner Erwartung sagte er sofort zu. Um die nächste Stunde zusammenzufassen: Wir tranken jeder fünf Gläser und unterhielten uns angeregt wie alte Freunde über Gott und die Welt. Er vertraute mir an, dass er da oben bei sich mehr Scheinheilige beherberge als ihm lieb war. Mit dem Papst, sagte er, habe er nichts am Hut und die Kirche sei ihm zuwider. Etwas später gestand er mir: „Seit Tausenden von Jahren warte ich darauf, dass meine Geschöpfe endlich begreifen, warum ich sie mit einem Hirn ausgestattet habe, das ein eigenständiges, vernünftiges und verantwortungsvolles Leben ermöglicht.“ Ich wagte ganz kurz zu erwidern“ „Aber du, lieber Gott, bist doch allmächtig, du kannst die Menschen doch lenken wie du willst.“ Er lächelte mich zweifelnd an: „Ja, das könnte ich, aber wenn die Menschen nicht aus ehrlicher Überzeugung meinen Gesetzen folgen, dann überlasse ich sie ihrem Schicksal.“ Das war deutlich, aber hieß das jetzt: Gott gegen die Menschen, oder die Menschen gegen Gott? Leben wir noch „gottgefällig?“ Als er sich verabschiedete, fragte ich noch schnell, ob er unsere Welt noch einmal besuchen würde. Jetzt sah ich deutlich die Tränen in seinen Augen. Er antwortete auch nicht mehr. Nur sein Pressesprecher, der sich übrigens als Herr Gabriel vorgestellt hatte, sagte noch kurz: „Wir haben noch ein paar andere Welten zu besuchen.“

Dann wachte ich auf und fragte mich, was war Traum, was war Wirklichkeit? Natürlich war Gott da. Er ist ja immer und überall, warum nicht hier in Köln, warum nicht auf dem Fischmarkt in Hamburg oder auf dem Domplatz in Mainz? Und dann begannen die Zweifel: Wenn er nicht mehr über das Verhalten der Menschen bestimmen kann oder will, ist er dann noch allmächtig? Werden die Menschen ihn vertreiben? Werden sie tun was sie wollen? Werden sie seine Gesetze auf den Müll werfen? Werden sie eigene Geschöpfe erfinden, die jeden Gott leugnen, weil sie ja von Menschenhand erschaffen wurden? Das ist möglich und in relativ kurzer Zeit machbar. Das bedeutet aber auch, dass die Welt sich in ein System verändert, das sich keinerlei Werte oder Moral verpflichtet fühlt. Wissenschaftler werden unsere neuen Götter sein, die uns in eine Zukunft führen, von der wir heute noch nichts ahnen, eine Welt ohne Wiesen und Wälder, eine seelenlose Welt. Es wird vielleicht noch ein paar Bücher geben, in denen die Welt des 21. Jahrhunderts beschrieben wird. Da gab es noch Tiere, die schon lange ausgestorben sind. Da gab es noch Menschen, die sich gegenseitig halfen. Das ist dann auch vorbei. Der sogenannte liebe Gott wird sich dann auch nicht mehr sehen lassen. Ich erinnere mich noch an den letzten Satz seines Pressesprechers: „Eigentlich sind wir nur sehr ungern hierhergekommen.“ Auf meine Frage: „Warum?“ antwortete er. „Wir wollten uns persönlich davon überzeugen, dass Gott etwas erschaffen hat, was sich total anders als geplant entwi­ckelt hat.“ Im Gehen wandte Gott sich mir noch einmal zu: „Ich will noch schnell einen Abstecher nach Limburg machen, um die goldene Badewanne des früheren Bischoffs zu sehen.“ Ich rief ihm hinterher: „Und kommst du auch mal nach Thailand?“ Da blieb er kurz stehen, drehte sich um und sagte: „Ganz bestimmt. Von den Buddhisten könnte auch ich sicher noch einiges lernen.“

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Jan-Christian Severin 06.12.18 00:58
Zu schön diese Geschichte, aber irgendwie wahr. Wir Menschen laufen in ein ungewisses Schicksal, von Digitalisierung und ein leben mir weniger Ethik, Moral und Nächstenliebe.