Willkommen in der Realität

Foto: Orlando Bellini/Fotolia.com
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Wladimir Putin führt einen Angriffskrieg in der Ukraine. Ein Großteil der deutschen Politik ist aufrichtig überrascht und versteht die Welt nicht mehr. Die deutsche Außenministerin wacht nach eigenen Angaben in einer anderen Welt auf und die SPD geführte Bundesregierung vollzieht eine grundlegende Wende in der Sicherheitspolitik. Der Westen verständigt sich auf Sanktionen und Putin droht darauf unverhohlen mit Atomkrieg. Was für ein Scherbenhaufen!

Über den Krieg wird derzeit genug geredet und geschrieben, so dass es hier mehr um grundlegende Probleme des Westens gehen soll, die teilweise bereits Jahrzehnte im Raum stehen, jetzt aber wohl für ein breiteres Publikum offensichtlich werden.

Es bleibt einem doch die Spucke weg, wenn man Donald Trump auf einer Gala in Florida reden hört, Putin sei schlau, weil er mir seinen Aktionen die Ukraine für kleines Geld einkassieren würde. Wenn man Trump reden hört, gewinnt man den Eindruck, er spricht von einem Immobiliengeschäft und nicht von Krieg und Tod. Inhalte sind den meisten Politikern in den USA zwischenzeitlich völlig egal. Es geht nur noch darum, an der jeweils anderen politischen Seite kein gutes Haar zu lassen und diese zu blockieren. Mitch Mc Connell, der derzeitige Minderheitsführer im US-Senat, ist ein Paradebeispiel dieser Geis­teshaltung, die mindestens seit 2008 für wenig Bewegung oder sogar zu Stillstand auf vielen Politikfeldern führt. Eine polarisierte Medienlandschaft tut das übrige, um die Wähler des Landes zu spalten.

In Deutschland ist es Gott sei Dank noch nicht ganz so weit. CDU-Chef Merz hat sich in Sachen Ukraine hinter den Kanzler gestellt und auf Parteipolitik weitestgehend verzichtet. Gut so. Leider scheint jedoch die politische Führung die Wehrbereitschaft Deutschlands bereits weitgehend zersetzt zu haben. Heeresinspekteur Mais sagte vor einigen Tagen „die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da.“ Noch unverständlicher sind die aktuellen Handlungen von Verteidigungsministerin Chris­tine Lamprecht, die mitten in der Ukraine-Krise Vorlagen in ihrem Hause aus den Abteilungen „Politik“ sowie „Strategie und Einsatz“ nicht mehr über Generalinspekteur Zorn laufen lässt, sondern über ihre Staatssekretärin Margarethe Sudhof, die von militärischen Angelegenheiten genauso wenig versteht wie die Ministerin selbst. Kann sie so machen, aber das Ergebnis dürfte entsprechend sein. Wir werden sehen.

Aber auch wenn die Entwicklung derzeit in Deutschland noch nicht so extrem wie in den USA verläuft, so gibt es doch Anlass zur Besorgnis. Wer derzeit in Deutschland lebt, muss zur Kenntnis nehmen und spürt, dass eine zunehmende Zahl von Bürgern für die etablierten Parteien nicht mehr erreichbar ist. Bei der letzten Bundestagswahl wählten ungefähr 25 Prozent überhaupt nicht, ca. 15 Prozent radikal oder AfD und fast 10 Prozent machten ihr Kreuz bei Splitterparteien, wohlwissend dass diese keine Chance auf Einzug in den Bundestag haben. Diese Entwicklung sollte Sorge bereiten, da sie in Kürze zu Diskussionen über die Legitimation unserer gewählten Volksvertreter führen dürfte.

Vielleicht hat der tragische und überflüssige Krieg in der Ukraine aber die unbeabsichtigte Nebenwirkung, dass mehr und mehr Verantwortliche wie die deutsche Außenministerin in der Realität aufwachen und erkennen, dass Europa dringendst eine eigene Außen -und Sicherheitspolitik braucht. Zusammenarbeit mit den USA schön und gut, aber nur, wenn Europa keine eigenen Interessen hat. Die Zeit jetzt zu nutzen ist Gebot der Stunde, denn niemand weiß, wer ab 2025 im Weißen Haus sitzen wird.

Zum Schluss noch ein Hinweis an alle Träumer: Die aktuelle Auseinandersetzung mit Putin dürfte nur ein Vorgeschmack auf eine Welt sein, in der die Nachkriegsordnung unter Führung der USA eher früher als später beendet werden dürfte. Europa hat die Wahl: Entweder weitermachen wie bisher und mit ahnungslosen Vertretern wie dem Außenbeauftragten der EU Borrell offen ausgelacht werden oder das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. So schwer ist die Entscheidung gar nicht, aber viele Weckrufe wird es wohl nicht mehr geben.


Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hong Kong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting Haus und ist seit 2016 als Chairman einer der ältesten digitalen Marketingagenturen in Südostasien tätig. Feedback zum Gastbeitrag per E-Mail erwünscht!

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