Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Corriere della Sera»: Covid-19 - Was ist Deutschlands Geheimnis?

ROM: Nachdem Italien am Freitag erneut einen Höchstwert an Corona-Neuinfektionen erreicht hat, blickt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Samstag auf die Situation in Deutschland und schreibt:

«In der Bundesrepublik hat sich etwas geändert, sie ist aus der ersten Welle der Pandemie erhobenen Hauptes herausgegangen und galt weltweit als Modell einer sehr gut durchdachten und wirksamen Strategie gegen Covid-19. Eine glückliche Kombination aus Massentests, starker Krankenhausausstattung und Flexibilität der Regierung dank des Föderalismus hatte es Ende Mai ermöglicht, den Schaden der Pandemie auf 180.000 Fälle und etwas mehr als 8500 Todesfälle zu begrenzen. [...]

Tatsächlich wurde in den letzten Tagen ein Abbremsen des Anstiegs der Kurve verzeichnet. Die interessantesten Daten, die Deutschland zu einem Fall für sich machen, sind jedoch die Todesfälle: Zumindest nach offiziellen Angaben, sterben in der Bundesrepublik weniger Menschen an Covid-19 als anderswo. Warum? Was ist, wenn es das überhaupt gibt, Deutschlands Geheimnis angesichts der Pandemie? [...]

Deutschland hatte das Glück, mit einer Verzögerung von einem Monat von der Pandemie betroffen zu sein, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, vor allem Italien. [...] Das Krankenhaussystem und die Intensivstationen sind die wahre Säule des Modells. [...] Mit seinen rund 500.000 Betten ist es ein weit verbreitetes Netzwerk, das im Notfall einen Unterschied gemacht hat. [...]

Der wesentliche Dreh- und Angelpunkt des Systems sind die fast 380 Gesundheitsämter, die unseren ASL entsprechen (es gibt aber nur etwa hundert) und die von einigen als Geheimwaffe des Krieges gegen die Pandemie, die erste Verteidigungslinie der Bevölkerung, angesehen werden.»


«de Volkskrant: Trumps Verhalten gefährdet die Demokratie

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Samstag den Umgang von US-Präsident Donald Trump mit seiner Wahlniederlage:

«In einer gesunden Demokratie würde sich ein Politiker mit dem Benehmen von Donald Trump auf Dauer unmöglich machen. Aber die Vereinigten Staaten sind schon lange keine gesunde Demokratie mehr. Mit seinem Angriff auf die Wahlen verschafft sich Trump gerade das politische Kapital für die kommenden vier Jahre. Er kann weiterhin so tun, als sei er der Volksheld, der bis zum Äußersten gekämpft hat, dessen Sieg aber von «der Elite» gestohlen wurde. Zugleich untergräbt er damit die Autorität von Joe Biden. (...)

Wenn die Bürger in Wahlen kein Vertrauen mehr haben, bietet die Demokratie keinerlei Rückhalt mehr. Sie werden empfänglich für Lügen, Desinformation und Manipulation. Das grausige Spektakel in den Vereinigten Staaten ist eine Warnung für den Rest der westlichen Welt.»


«De Standaard»: Die Verlobte als Chefberaterin

BRÜSSEL: Zum Abgang des Kommunikationsdirektors sowie des Chefberaters von Boris Johnson heißt es am Samstag in der belgische Zeitung «De Standaard»:

«Viele Tories hoffen, dass damit der gesunde Menschenverstand und der eher verbindende «One Nation Conservatism» in der Partei wieder die Oberhand bekommen. Der Abgang von Lee Cain und Dominic Cummings macht in jedem Fall deutlich, dass Carrie Symonds, die 32-jährige Verlobte des Premierministers und Mutter seines jüngsten Sohnes Wilfred, sich durchgesetzt hat. Nicht Cummings, sondern Symonds kann seit dieser Woche den Titel «Chefberater(in)» von Boris Johnson für sich beanspruchen.

Alle Whitehall-Beobachter sind sich einig, dass sie Gas gegeben hat, nachdem Johnson ihr von seinem Vorhaben erzählte, Cain auf Vorschlag von Cummings zu seinem neuen Stabschef zu ernennen. (...) In Kreisen rings um Johnsons Verlobte werden diese Beiden abschätzig als die «verrückten Brexit-Mullahs» bezeichnet.»


«The Guardian»: Cummings geht, der Schaden bleibt

LONDON: Zum Abgang des britischen Regierungsberaters Dominic Cummings meint der Londoner «Guardian» am Samstag:

«Boris Johnson hätte seinen Chefberater Dominic Cummings schon vor Monaten zum Rücktritt auffordern sollen, als dieser gegen den ersten Coronavirus-Lockdown verstieß und danach keinerlei Bedauern zeigte. Vielleicht dachte Johnson, er sei auf den Verbündeten und Architekten seines Wahlsiegs angewiesen, um einen harten Brexit durchsetzen zu können. Aber der Schaden war angerichtet. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Umgang der Regierung mit dem Coronavirus war gesunken und sinkt seitdem weiter. (...)

Cummings kann gehen, während Großbritannien mit dem von ihm angerichteten Schaden fertig werden muss. Er hat das Brexit-Referendum gewonnen, indem er Lügen verbreitete, ohne sich um den öffentlichen Vertrauensverlust zu scheren. Er hat das Parlament brüskiert, populistische Gefühle gegen staatliche Institutionen als Waffe eingesetzt und Schindluder mit der Verfassung getrieben.»


«Tages-Anzeiger»: Für Abgesang auf Europas Rechte ist es noch zu früh

ZÜRICH: Zu den Folgen der Wahlniederlage von Donald Trump für den Rechtspopulismus in Europa heißt es am Samstag im Zürcher «Tages-Anzeiger»:

«"Trumps Niederlage kann der Anfang vom Ende des Triumphs des Rechtspopulismus auch in Europa sein", twitterte der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk. Und Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hofft auf eine Rückkehr von Vernunft und Vertrauen in die Demokratie.

Ob sich die Hoffnungen erfüllen, ist eine offene Frage. Donald Trump ist mit Lügen, Verschwörungstheorien und Polarisierung sehr weit gekommen, hat damit selbst als Verlierer rekordhohe Zustimmung erzielt. Europas Populisten werden jetzt genau Richtung Washington schauen. Wie Trump selbst in der Niederlage Rechtsstaat und Demokratie untergräbt, kann durchaus Inspiration sein. Und vielleicht positioniert sich Trump schon bald für den nächsten Anlauf in vier Jahren. Für einen Abgesang auf Europas Rechte ist es jedenfalls zu früh.»


«NZZ»: Hongkongs Parlament wird zur Farce

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Samstag das Vorgehen der chinesischen Führung gegen die Opposition in Hongkong:

«Vom Autopionier Henry Ford soll das geflügelte Wort stammen, dass die Kunden sein Modell T in jeder Farbe kaufen könnten - solange es Schwarz sei. Im Hongkonger Parlament, dem Legislative Council (Legco), gilt künftig die Losung, dass jede Meinung willkommen ist - solange sie mit jener Pekings übereinstimmt. Am Mittwoch wurden 4 Abgeordnete des prodemokratischen Lagers aus dem Parlament ausgeschlossen, worauf aus Protest 15 weitere von sich aus zurücktraten. Damit sind in der Kammer mit ihren 70 Sitzen praktisch nur noch Stimmen aus jenem Lager zu hören, das dem Establishment nahesteht. Dieses hält sich eng an die Linie, welche die Kommunistische Partei (KP) in Peking vorgibt. Eine Opposition, die ihren Namen verdient, gibt es nicht mehr. (...)

Wie schon bei der Einführung des drakonischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong im Juni beweist Peking mit dem jetzigen Vorgehen gegen unliebsame Abgeordnete einmal mehr, dass «ein Land, zwei Systeme» kaum mehr als eine leere Floskel ist. Die Zukunft für ein demokratisches Mitspracherecht der Hongkonger Bevölkerung ist so schwarz wie einst die Autos von Henry Ford.»

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