Milliarden Menschen gefährdet 

Zeit zum Handeln wird knapp

Foto: Pixabay/Markus Kammermann
Foto: Pixabay/Markus Kammermann

BERLIN/GENF: Das Klimasystem der Erde reagiert stark verzögert auf veränderte Mengen an Treibhausgasen. Umso erschreckender ist, wie deutlich sich jetzt schon Folgen zeigen. Dass Regierungen ihre Aufgaben nicht machten, sei kriminell, wettert der UN-Generalsekretär.

Bis zu 3,6 Milliarden Menschen leben dem Weltklimarat zufolge bereits in einem besonders vom Klimawandel gefährdeten Umfeld. «Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet», heißt es in dem am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarates (IPCC) zu den Folgen des Klimawandels. Weitere Menschen, die in ihrer Heimat kein Auskommen mehr haben, würden zur Migration gezwungen. Die Regierungen täten noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren abzuwenden.

Der Klimarat verlangt fundamentale gesellschaftliche Veränderungen. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen.

«Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster», warnte der Ko-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe, der deutsche Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner. Auch die Bundesregierung tue sich bei der Klimapolitik nicht hervor: «Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

«Einige wenige Länder treten die Rechte des Rests der Welt mit Füßen», wetterte UN-Generalsekretär António Guterres. «Einige wenige Unternehmen streichen reiche Gewinne ein, während sie die Rechte der Ärmsten und Schwächsten ignorieren.» Dass Regierungen ihre Aufgaben nicht machten, sei kriminell.

Der amtierende Präsident der Weltklimakonferenz, Alok Sharma, rief Staaten in aller Welt auf, ihre Klimaziele nachzuschärfen. Die Länder müssten ihre Ziele für das Jahr 2030 erhöhen und sie dringend umsetzen, schrieb Sharma mit seinem ägyptischen Nachfolger Sameh Shoukry und der UN-Klimachefin Patricia Espinosa in einem gemeinsamen Statement. Beim UN-Klimagipfel in Glasgow hatten sich die Staaten im vergangenen November dazu bekannt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen und dazu ihre nationalen Klimaziele bis spätestens zum Jahresende nachschärfen zu wollen. Bislang hat dies noch kein großes Land getan, wie der Klimaforscher Niklas Höhne kürzlich kritisierte.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke erklärte, in nächster Zeit solle ein Sofortprogramm Klimaanpassung verabschiedet werden. Die Bundesregierung wolle ihre Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung deutlich hochfahren.

Längst sind die Folgen des Klimawandels in allen Teilen der Welt sichtbar: Es gibt verheerende Waldbrände wie im Mittelmeerraum und im Westen der USA, Überschwemmungen wie in der Region von Ahr und Erft im Juli 2021, Hitzewellen wie in Sibirien. Am Montag erst meldete der Deutsche Wetterdienst (DWD), dass der Winter 2021/22 der elfte zu warme in Folge gewesen sei.

Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt oder Torfmoorgebiete trockengelegt werden oder der arktische Permafrost schmilzt. «Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden», schreiben die Wissenschaftler. «Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.»

30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche müsse für Naturräume zur Verfügung gehalten werden, erklärte IPCC-Experte Pörtner. Sie könnten genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander von Mensch und Natur. «Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen.»

«Es ist höchste Zeit, Arten- und Klimaschutz als gemeinsame Herausforderung zu betrachten», betonte auch der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Alexander Bonde. «Beides ist notwendig, wenn der Mensch eine Zukunft auf diesem Planeten haben will.»

Viele Arten erreichten bei der Anpassung an den Klimawandel Grenzen und seien vom Aussterben bedroht, heißt es im IPCC-Bericht. Bei einer globalen Erwärmung von vier Grad über dem vorindustriellen Niveau wären demnach 50 Prozent der an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.

«Die Menschheit hat die Natur jahrhundertelang wie ihren schlimmsten Feind behandelt», sagte Inger Andersen, Exekutivdirektorin des UN-Umweltprogramms UNEP. «Tatsächlich kann die Natur unser Retter sein, aber wir müssen sie zuerst retten.»

Die globale Erwärmung treffe noch mit weiteren Herausforderungen zusammen, so der Weltklimarat. Er zählt die wachsende Weltbevölkerung auf, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Corona-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen zu, das Dengue-Fieber etwa werde sich ausbreiten, auch nach Europa.

Der Weltklimarat wurde 1988 gegründet. Der neue Report ist Teil zwei seines 6. Sachstandsberichts zum Klimawandel. Der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen kam im August 2021 heraus. Der dritte Teil befasst sich mit Möglichkeiten, den Klimawandel zu mindern. Er wird im April erwartet.

Der aktuelle IPCC-Bericht zeige eines klar und deutlich, betonten die Umweltaktivisten von Fridays For Future: «Wir haben kein Erkenntnisproblem mehr, wir haben ein Umsetzungsproblem.» Keine Regierung der Welt könne behaupten, nicht zu wissen, was auf dem Spiel stehe. «Wir wissen, dass die Klimakrise Menschen tötet, Natur zerstört, die Welt ärmer macht und dass sich ihre Folgen mit jedem Zehntelgrad weiterer Erwärmung intensivieren.» Konsequente Klimapolitik sei unverzichtbarer Teil von stabilen Demokratien, sicherer Lebensmittelversorgung und sozialer Gerechtigkeit. «Es ist alles gesagt - jetzt zählen Handlungen.»


Wenn Maßnahmen gegen den Klimawandel alles noch schlimmer machen
Christiane Oelrich (dpa)

GENF: Anpassung an den Klimawandel ist gut, aber viele Maßnahmen sind ein zweischneidiges Schwert. Wenn nicht richtig geplant wird, verursachen sie neue Probleme: Ufermauern, Biotreibstoffe, und Baumwolltaschen.

Ein Ziel der internationalen Klimapolitik ist es, die Auswirkungen der Erderhitzung auf Mensch und Natur zu mindern. Dabei lauert jedoch eine Gefahr: «Es gibt wachsende Nachweise von Fehlanpassungen», schreibt der Weltklimarat in seinem neuen Bericht. Gemeint sind Maßnahmen, die ein Problem lösen sollen, dabei aber eher schaden als helfen und im schlimmsten Fall den Klimawandel noch anheizen. In manchen Fällen lassen sich mit richtiger Planung negative Folgen vermeiden. Der Weltklimarat nennt Ufermauern oder künstliche Bewässerung, aber es gibt auch andere Beispiele:

Ufermauern und Deiche

Sie können küstennahe Wohngebiete und Felder schützen, wenn der Meeresspiegel steigt oder stärkere Stürme für Überschwemmungen sorgen. Doch könnten solche Mauern küstennahe Ökosysteme wie Korallenriffe zerstören. Außerdem könnten sie Menschen in falscher Sicherheit wiegen. «Mehr Familien ziehen in eine Gegend, die angeblich sicher zum Leben ist», schreibt der Weltklimarat.

Bewässerung

Mit Bewässerung kann auch dort, wo Wassermangel herrscht, Nahrung angebaut werden. Das ist eine wichtige Anpassungsmaßnahme, aber wenn nicht gut geplant wird, kann zu viel Grundwasser und Wasser aus anderen Quellen entnommen werden, sagt Mitautorin Tabea Lissner der Deutschen Presse-Agentur dpa. Und: «Bewässerung kann regional bis lokal Einfluss auf Temperatur und Niederschlag haben.» Auch das könne nach Studien Temperaturextreme abmildern oder verstärken.

Staudämme

Gerade hat Äthiopien seinen umstrittenen Nil-Staudamm in Betrieb genommen. Mit Wasserkraft wird Energie sauberer hergestellt als mit klimaschädlichen fossilen Brennstoffen, und Stauseen sind Wasserreservoire. Aber die Länder am unteren Lauf des Nils, Ägypten und Sudan, fürchten, weniger Nilwasser zu bekommen. Dann können Landschaften veröden und damit weniger CO2 binden als bisher und es könnte weniger Nahrung angebaut werden.

Biotreibstoffe

Als Alternative für Benzin und Diesel gelten Biotreibstoffe. Aber in Indonesien, Südamerika und anderen Regionen sind für den Anbau etwa von Palmöl und Soja riesige Flächen Regenwald gerodet worden. Damit wird Lebensraum für Tiere und Pflanzen dezimiert. Die Wälder sind auch wichtige CO2-Speicher. Anderswo nehmen solche Plantagen Platz für Nahrungsmittelanbau ein. Allein für Diesel- und Benzinautos in Deutschland werden nach einer Studie der Deutschen Umwelthilfe weltweit auf 1,2 Millionen Hektar wertvoller Agrarfläche Pflanzen für Biokraftstoff angebaut, 500.000 Hektar davon in Deutschland. Wenn auf den Flächen natürliche Vegetation wäre, würde das nach der Studie über 30 Jahre hinweg mehr als doppelt so viel CO2 binden wie durch den Einsatz von Biotreibstoffen eingespart werden kann.

Intensivere Landwirtschaft

Nach einer Studie der Universität München könnte die heutige Menge an Agrarprodukten durch optimierte Anbaumethoden auch auf der Hälfte der Flächen produziert werden. Es müssten dabei nicht mehr Düngemittel eingesetzt werden als die Pflanzen aufnehmen können. Pestizide hat die Studie nicht berücksichtigt. Wenn der Rest der Flächen anders genutzt werde, könnte damit das Sechsfache der globalen jährlichen CO2-Emissionen gespeichert werden, sagt Studienautor Florian Zabel der dpa. Unabhängig von dieser Studie warnt Klimaforscherin Almut Arneth: «Es ist nicht nachhaltig, die Produktion durch den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln zu erhöhen, weil das die Böden und Gewässer verschmutzen kann.»

Der Umstieg auf pflanzliche Produkte

Selbst das kann in einigen Bereichen problematisch sein: «Tüten aus Baumwolle oder Kartoffelstärke statt aus Plastik - das klingt plausibel, aber die Pflanzen müssen ja auch irgendwo wachsen», sagt Arneth der dpa. «Der Mensch nutzt schon 70 Prozent der eisfreien Flächen der Welt, allein 50 Prozent für Ackerbau, Forstwirtschaft und Weiden, da gibt es bald nicht mehr viel zu nutzen.»

Andere problematische Anpassungsmaßnahmen sind wegen hohen Energiebedarfs, der wieder Treibhausgase verursacht, das Entsalzen von Meerwasser, die stärkere Verwendung von Klimaanlagen oder die Produktion von künstlichem Schnee. Bei den Olympischen Spielen in China seien dafür Unmengen Wasser benötigt worden, die sonst Bauern zur Bewässerung ihrer Felder dienen und die Trinkwasser für Peking bedeuten, sagte Hydrologieprofessorin Carmen de Jong.


Zentrale Ergebnisse aus dem Bericht des Weltklimarats

GENF: Der Weltklimarat beschreibt in seinem 6. Bericht, Teil 2, die Gefahren der Erderhitzung und mögliche Anpassungen daran. Wichtige Ergebnisse:

- Ungefähr 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben in einem Umfeld, das durch den Klimawandel stark gefährdet ist. Durch die Verschlechterung und Zerstörung von Ökosystemen erhöht der Mensch selbst die eigene Anfälligkeit für die Gefahren des Klimawandels.

- Von den Folgen des Klimawandels besonders stark betroffen sind Menschen, die auch sonst am meisten gefährdet sind - zum Beispiel indigene Völker und regionale Gemeinschaften, die direkt von der Natur abhängig sind, um ihre Grundbedürfnisse zu decken.

- Die Forscher lassen keinen Zweifel daran, dass vom Menschen verursachte Faktoren die derzeitige Anfälligkeit der Ökosysteme für den Klimawandel verschärfen - etwa eine nicht nachhaltige Nutzung von Böden und natürlichen Ressourcen, Abholzung, der Verlust der biologischen Vielfalt oder Umweltverschmutzung.

- Weltweit sind weniger als 15 Prozent der Landfläche, 21 Prozent der Süßwasserfläche und 8 Prozent der Ozeane geschützte Gebiete. Es wird gewarnt, dass die meisten Schutzgebiete nicht gut genug geführt werden, um die Schäden durch den Klimawandel zu verringern oder die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.

- Der Schutz von Ökosystemen ist wesentlich für die Erhaltung und Verbesserung der Robustheit der Biosphäre: 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche sollten für Naturräume zur Verfügung gehalten werden, so der Weltklimarat. Diese Räume könnten zwar durchaus genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander zwischen Mensch und Natur.

- Den Forschern zufolge ist absehbar, dass viele Tier- und Pflanzenarten gefährdet sind: Sie gehen bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad davon aus, dass 3 bis 14 Prozent der Arten auf dem Festland einem sehr hohen Aussterberisiko ausgesetzt sein werden. Bei 2 Grad Erwärmung erhöhe sich der Anteil auf bis zu 18, bei 3 Grad auf bis zu 29, bei 4 Grad auf bis zu 39 und bei 5 Grad auf bis zu 48 Prozent. Auch in den Meeres- und Küstenökosystemen könnte das Risiko des Verlusts der biologischen Vielfalt teils sehr hoch liegen.

- Der Weltklimarat warnt: Das Fenster für ein globales Gegensteuern, um den Klimawandel zu bekämpfen, schließt sich. Es heißt im Bericht, wichtig seien die gesellschaftlichen Entscheidungen und Maßnahmen der kommenden zehn Jahre.

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